Erlebnisbericht aus einem verrückten Land

Bericht zum Thema Lebensbetrachtung

von  eiskimo

Samstag in Deutschland. Ich werde früh geweckt von der jungen Nachbarin, die einen Motorroller fährt. Nach dem Frühstück Radtour vor die Tore Kölns, nach Königsdorf, wo „Hof-Flohmärkte“  stattfinden. Villenviertel, lockere Bebauung, gepflegte Vorgärten und Wohlstand „satt“. Die Bewohner kombinieren Gartenparty mit Garagentrödel. Es gibt frisch gebackene Waffeln und tonnenweise Kinderspielzeug. Die Mütter sind umtriebig, die Kinder flezen sich hinter ihren nicht mehr begehrten Schätzen und starren auf kleine Displays. Die Kaufwilligen fahren per Auto heran, manche erscheinen auch schon vollbeladen mit dem Fahrrad. Das „deutsche“ Königsdorf empfängt überwiegend „Zugewanderte“,  stelle ich fest.

Mittagessen ist bei mir am Samstag gerne „chinesisch Take-Away“. Da hole ich bei Zugewanderten das Menü „Schweinefleisch süß-sauer“ für 8,90 Euro mitsamt Frühlingsrolle. Für das Geld kann ich nicht selber kochen, und es ist jedes Mal reichlich. Mit mir im Restaurant ältere Herrschaften, die das überbordende Büffet heimsuchen – auch Stammgäste.

Nachmittags fahre ich per S-Bahn nach Köln, direkt zum Hauptbahnhof. Der Zug ist tatsächlich pünktlich. Er ist auch gut besetzt. Eine sehr bunte Mischung von jungen Familien und jungen Leuten. Entspannte Atmosphäre. Viele kleben am Smartphone. Ich fühle mich etwas fremd zwischen Kinderwagen, Rucksäcken und dem Sprachgewirr aus Türkisch, Polnisch und Arabisch.

Am Hauptbahnhof herrscht Samstag-Nachmittag-Betrieb. Zu dem bunten Vielvölkergemisch gesellen sich Trupps von Security in Fluo-Westen und Polizisten, die vorbeugend Präsenz zeigen. Auf der Treppe hoch zum Dom ein Kommen und Gehen. Wieder meist junge Leute in Wochenend-Stimmung.

Ich sehe auch die ersten Bierflaschen, ich sehe Bataillone von E-Scootern und wild geparkten Fahrrädern. Zwei Musiker spielen auf, schrille Flöte und blecherne Trommel. Es klingt nach Balkan, vielleicht Albanien. Ein paar Passanten fangen tatsächlich an zu tanzen. Wie gesagt: Buntes Leben. Manche haben eingekauft, tragen dicke Tüten. Manche sitzen nur im Schatten des Doms, chillen. Die weite Welt zu Gast.

Ich gehe ins Museum Ludwig, schaue mir die Ausstellung „Fünf Freunde“ an. Moderne Nachkriegskunst von John Cage, Merce Cunningham, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Cy Twombly  - für mich viel radikal Nichtssagendes , selbst wenn gilt, dass die Fünf es in den 50er Jahren als schwule Künstler nicht leicht hatten.

Mehr als die provokanten Collagen und Draperien dieser Künstler interessiert mich das Publikum, das mit den Leuten in der S-Bahn und auf der Domplatte nun gar nichts mehr gemein hat. Da sind schicke ältere Damen – eher solche aus Königsdorf – in einer Führung unterwegs, da zeigen sich stylish verkleidete Intellektuelle in kluger Pose, und da halten ein paar Freaks intensive Zwiesprache mit von der Decke hängenden Stühlen.

Mich hält es nicht lange in dieser künstlerisch verfremdeten Szenerie – ich verlasse diese intellektuelle Blase und tauche wieder ein in das wahre Leben. Es ist Abend.  Was ich beim Rückweg zum Bahnhof sehe:  Die Einkaufstüten in den Händen sind rar geworden. Dafür werden massig Bierflaschen getragen. Peters Kölsch, Gaffel, auch mal aufgepeppte Cola. Erstaunlich viele Kinder sind da noch unterwegs. Zwölf- oder Dreizehnjährige, schätze ich. Mädchen, die für meinen Geschmack zu stark geschminkt sind. Haben die keine Eltern, frage ich mich.

Der Bahnhof quirlt sie alle durcheinander. Lautsprecherdurchsagen mit samtiger Frauenstimme übertönen das Gedränge. Die engen Aufgänge zu S-Bahnen und Fernzügen sind dicht umlagert. Ich lasse mich treiben.  Es ist ein ganz normaler Samstag, sage ich mir. Mit mir auf dem Bahnsteig drei der schicken älteren Damen aus dem Museum. Sie wirken hier fremd in ihrem teuren Outfit. Um sie und mich herum viele junge Leute, viele Bierflaschen. Immerhin: Die S-Bahn nach Königsdorf ist nur fünf Minuten verspätet. Alles gut, sage ich mir. Alles normal in diesem verrückten Land.

Z



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Kommentare zu diesem Text


 franky (12.10.25, 10:37)
Hi lieber Eiskimo,
Ein stinknormaler Samstag, mit frischen, flockigen Worten erzählt.  
Sehr gerne gelesen😉
 
Grüße von Franky

 Quoth meinte dazu am 12.10.25 um 10:56:
Dem kann ich mich nur anschließen. Gerne mehr davon!

 eiskimo antwortete darauf am 12.10.25 um 11:09:
Danke Euch beiden.
Montag begleite ich jemanden zur Uni. War da jahrzehntelang nicht mehr. Vielleicht gibt es aus dieser Welt auch etwas zu berichten.

 dubdidu (12.10.25, 11:13)
Eine gute Beobachtung, dass die schicken älteren Damen im Museum anders wirken als auf dem Bahnsteig; sie lässt sich beliebig ausdehnen: der soziale Habitus eines jeden Menschen wird in unterschiedlichen sozialen Räumen anders gedeutet.

 eiskimo schrieb daraufhin am 12.10.25 um 14:48:
Wobei sich viele - je nach aufgesuchtem Raum - ja auch  bewusst unterschiedlich kleiden.

 EkkehartMittelberg (12.10.25, 11:47)
Hallo eiskimo,

du hast mit dem verrückten Land deinen Frieden gemacht. Leider sieht es ein Teil der Bevölkerung aggressiv als aus den Fugen geraten.

LG
Ekki

 eiskimo äußerte darauf am 12.10.25 um 12:48:
Lieber Ekki!
Wir erleben einen sehr schnellen Wandel, viele Umbrüche , immer wieder Neues. Ich kann nachvollziehen, dass diese Veränderungen manchen Menschen Angst machen. Aber ich sehe auch die Freiheiten und Chancen, die sich uns dadurch bieten. Und ich will das Positive wahrnehmen.
Daumen hoch!
Eiskimo

 Moppel ergänzte dazu am 12.10.25 um 13:13:
ja, schön bunt so wie es gewollt war.  Ist dich alles prima...
früher gab es da auch Sprachengewirr, aber vonn Touristen. Die kommen  nicht mehr nach Köln scheinbar, seitdem es Reisewarnungen gibt.
Ansonsten schließe ich mich Ekki an...
lG von M.

 eiskimo meinte dazu am 12.10.25 um 14:50:
Ich sah auch sehr viele Touristen.

 Moppel meinte dazu am 12.10.25 um 15:04:
steht aber  nich im Text...

 eiskimo meinte dazu am 12.10.25 um 17:49:
"Die weite Welt zu Gast."
Fünfter Absatz, letzte Zeile

 AchterZwerg (13.10.25, 07:14)
Lieber Eiskimo,

das ist für mich ein wirklich sehr guter Text mit passendem Foto, der die Einsamkeit des Individuums veranschaulicht, die offensichtlich weder durch seine vermeintliche Gruppenzugehörigkeit noch durch andere Gemeinsamkeiten behoben werden kann.

Im Bild fällt (deshalb?) auf, dass fast alle den Kopf senken, kaum einer fröhlich wirkt.

Gut erkannt und gut gemacht!  <3

 eiskimo meinte dazu am 13.10.25 um 12:32:
Danke! 
Gut im Foto die verkniffene Grundstimmung erkannt. Die mitgeführten Bierflaschen sorgen dann für bessere Laune.
LG
Eiskimo
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