Wider die Einsamkeit

Kommentar zum Thema Sensibilität

von  eiskimo

Überraschende Aktion gestern Abend in der Länderspiel-Pause: Da riefen Stars wie Lukas Podolski, Peter Maffay oder Caroline Kebekus dazu auf, der Einsamkeit in dieser Gesellschaft etwas entgegen zu setzen. Ein per Einsamkeitsszenen unterlegter Appell, auch mit erschreckende Zahlen gestützt...

Gute Aktion eines Mediums, das das da zur besten Sendezeit seine ganze Reichweite nutzte, um die Welt ein bisschen wärmer zu machen? 

Spontan ist man geneigt, Ja zu sagen. Das war gut gemacht, sehr emotional, von sehr engagierten Stars dargeboten und es berührte.

Paradox an der Aktion ist aber, dass ausgerechnet das Medium Fernsehen sich hier hervor tat, tut es doch alles, um die physischen Begegnungen und Interaktionen in unserem Alltag zu reduzieren. Fernsehen ist längst der Alleinunterhalter geworden, wo früher einmal Spiele-Abende stattfanden, Stammtische, Klönschnack vor der Haustür oder einfach nicht angemeldete Besuche bei den Nachbarn. 

Wenn die Soap läuft, die Sportschau oder der Bergdoktor, dann  vereinsamen schlagartig viele Orte, um der Glotze ihren abendfüllenden Platz zu geben. Privat, im stillen Kämmerlein. Und der Gedanke an die allein lebende Oma, der da vielleicht noch einmal aufkommt, wird schnell verdrängt. Oma hat ja ihren Fernseher.

Fernsehen, so könnte man etwas überspitzt sagen, macht einsam. Und ohne - wieder überspitzt -  gäbe es mehr echtes Leben.


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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (11.10.25, 11:56)
Stimmt. Und kam der Ratschlag, weniger fernzusehen, in der Sendung nicht vor?

 eiskimo meinte dazu am 11.10.25 um 12:13:
Nein, dieser Ratschlag kam da nicht. Fernsehen will sich ja nicht selber abschaffen. 
Man müsste es wie bei den Zigaretten machen. Ein Aufkleber auf allen TV-Geräten. "Achtung, ruft Einsamkeit hervor" oder "Vorsicht! Erstickt das Miteinander"

 dubdidu antwortete darauf am 11.10.25 um 14:52:
Ich möchte das Fernsehen noch um die Scham und das Misstrauen ergänzen; die daraus folgende spärliche Kommunikation außerhalb der Kleinfamilie trägt sicher auch zur Einsamkeit bei.

Auf der Konferenz in Basel stellte der Humangeograph Daniel Mullis seine Diss. am Frankfurter Institut für Sozialforschung vor. Seine für die Diss. erhobenen Daten eines Frankfurter Bezirks, in dem die AfD besonders gut abschneidet, zeigen, dass dort zwar die Gemeinschaft gelobt, der tatsächliche Kontakt mit den gleichsinnten Nachbarn aber gemieden wird.

Ps: Was meint ihr, wie viele alleinstehende Omas gucken Länderspiele?





Antwort geändert am 11.10.2025 um 18:29 Uhr

 eiskimo schrieb daraufhin am 11.10.25 um 18:31:
Auch Dir Danke für die vertiefenden Worte. Bei den Omis würde ich mich nicht festlegen - da gibt es echte Fußballfans. Im Fernsehen ist Fußball ja auch längst sehr viel Klatsch und Tratsch - der Sport stört nicht.
LG

 Quoth äußerte darauf am 11.10.25 um 18:59:
Es gibt nicht nur die zu beklagende, widerwillig ertragene Einsamkeit, es gibt auch die zu suchende  Einsamkeit, die in einer Mönchszelle zu finden manche Menschen viel Geld ausgeben. Sie ist die Grundlage für Sinnsuche, für metaphysische Betrachtungen, für Selbstfindung, dafür, aufs Existenzielle zurückzukehren, heraus aus tausenfacher Kontakthuberei und Verzettelung - und auch die beklagte Einsamkeit kann plötzlich umkippen in die kreative, gute, wohltuende Einsamkeit, aus der man gestärkt in den Alltag zurückkehrt. Altern ist mit Vereinsamen zwingend verbunden - immer mehr gleichaltrige sterben weg - gar nicht zu reden von den jüngeren - aber im einsamen Erinnern bleiben die geschätzten und geliebten präsent.

 dubdidu ergänzte dazu am 11.10.25 um 20:27:
Ja, Quot, das ist eine sehr gute Ergänzung, ich stimme dir zu. Dazu kommt dann noch die Einsamkeit zu zweit, die Erich Kästner in Kleines Solo so schön ausdrückt:


Einsam bist du sehr alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Träumst von Liebe. Glaubst an keine. Kennst das Leben.
Weißt Bescheid. Einsam bist du sehr alleine -
                            und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Wünsche gehen auf die Freite.
Glück ist ein verhexter Ort.
Kommt dir nahe. Weicht zur Seite.
Sucht vor Suchenden das Weite.
Ist nie hier. Ist immer dort.
Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.
Sehnsucht krallt sich in dein Kleid.
Einsam bist du sehr alleine -
                           und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.
Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren.
Magst nicht bleiben, wer du bist.
Liebe treibt die Welt zu Paaren.
Wirst getrieben. Musst erfahren,
dass es nicht die Liebe ist ...
Bist sogar im Kuss alleine.
Aus der Wanduhr tropft die Zeit.
Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine.
Brauchtest Liebe. Findest keine.
Träumst vom Glück. Und lebst im Leid.
Einsam bist du sehr alleine -
                           und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.


 eiskimo meinte dazu am 11.10.25 um 22:25:
Huhu, ganz schön harte Kost...
Aber das Thema ist hart. Millio en von Singles werden dem zustimmen. Und bleiben doch Singles.
LG

 Graeculus meinte dazu am 11.10.25 um 22:57:
Millionen von Singles werden dem zustimmen

Das ist ein Mißverständnis! Kästner denkt doch nicht an Singles - er spricht von der Einsamkeit in Paarbeziehungen, dem Alleinsein beim Kuß, der Einsamkeit zu zweit.

 Graeculus meinte dazu am 11.10.25 um 23:11:
Und dieses sehr eindrucksvolle Gedicht stammt noch aus einer Zeit, bevor Bildschirme unser Sozialverhalten verändert haben.

 eiskimo meinte dazu am 12.10.25 um 00:00:
Verheiratet sein oder zu zweit zu leben, das schließt Einsamkeit nicht aus. Wer sich dann in so einer Beziehung nicht verstanden fühlt, leidet doppelt.
Singles umgehen das.

 Saira (11.10.25, 18:32)
Moin Eiskimo,

wir leben in einer paradoxen Kultur der Vermittlung: Wir sehen Nähe, statt sie zu erleben. Wir sprechen über Gemeinschaft, statt sie zu praktizieren.
Einsamkeit wird gesendet, geteilt, kommentiert und bleibt doch unberührt, weil sie keine Resonanzfläche mehr findet jenseits der Bildschirme.


Liebe Grüße
Saira

 eiskimo meinte dazu am 11.10.25 um 22:29:
Da sprichst Du etwas sehr Wichtiges an - diese Lebensferne. Der Bildschirm statt die wärmende Hand...
Und dass dies ein Verlust ist, sollten wir laut sagen!
LG
Eiskimo

 Moppel (11.10.25, 19:06)
ich habe das auch gesehen und darübeer egtwas geschrieben. Muss es aber noch tipen. Ich fand die Aktiuin grunsdätzlich gut, und ich glaube auch nicht, dass es das TV ist, das Menschen nicht mehr kommunizieren lässt. Denn es wurden 63 Prozent einsame junge Menschen genannt.
Ich sehe wie schwierig es ist in einer neuen Stadt Fuss zu fassen. Lange schon habe ich allkes unternommen, was als Tip auf der Internetseite melddichmalwieder.de genannt wurde. habe wegen einer Lyrikgruppe angesprochen, Kaffeetrinken oder sogar Mopsgruppe. Das Problem sind die Mentalität, die Trauer um verstorbene Partner, Freunde. Man will sie nicht ersetzen. Vielleicht auch die Angst sich zu öffnen, dass über einen getratscht wird ect. Menschen gehen sich heute eher aus dem Weg. Und das ist schade.
lG von M.

 eiskimo meinte dazu am 11.10.25 um 22:35:
Das klingt nicht ermutigend. Wenn Betroffene selber zu stolz sind, wenn die helfende Hand nicht ergriffen wird...
Wiederum ermutigend, dass irgendwo, ohne Fernsehen, Leute wie Du die Initiative ergreifen!

 Fridolin (12.10.25, 18:11)
Wo Menschen aufeinander schießen
macht Einsamkeit sich gar nicht schlecht.
Ach wenn sie doch vom Schießen ließen!
Als Anfang wär mir das schon recht.

Kommentar geändert am 12.10.2025 um 18:12 Uhr
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