Brauchst du Brötchen

Bericht zum Thema Wohlergehen

von  eiskimo

Zwischen Black-Friday-Werbung, Bildern aus dem zerbombten Gaza und Aldis Vorschlägen für das gelungene Festmenü öffnet Markus F. sein Mail-Portal, um im Bekanntenkreis die heutige Brötchen-Lieferung anzukündigen.

Es ist Mittwoch, da fährt Markus nämlich Punkt 18.30 Uhr zur Bäckerei Schwab, um dort die Brötchen zu retten. Einmal in der Woche, so hat der 62jährige es versprochen, „tut er sich das an“, weil sonst alles, was bei Schwab um die Zeit nicht verkauft ist, in den Container kommt.

Den Brötchenretter-Job, den hat Markus von einem Bekannten aus dem Fahrradladen übernommen, der in der Nähe dieser Bäckerei gewohnt hat, bevor er wegzog. Und der Bekannte war einer der Ehrenamtlichen, die sich um ein Übergangswohnheim am Stadtrand kümmerten – da schienen Hilfsbedürftige in großer Zahl zu wohnen.

Markus hält die Tradition „Übergangswohnheim“ aufrecht. Bei jeder Mittwochs-Tournee ist das sein erstes Ziel. Im Sommer sitzen abends die Empfänger draußen – meist Frauen, die dann die Tüten mit Backwaren lachend untereinander aufteilen. Wobei nicht alle zugreifen – einige lehnen die gutgemeinte Gabe schon höflich, aber bestimmt ab.

Im Herbst und anstehenden Winter, da ist es um die Anlieferungszeit bereits dunkel. Markus hat Not, jemanden zwischen den schmucklosen Bauten anzutreffen. Er muss an etlichen Eingängen klingeln, bis er endlich an einer der Türen mal einen der prall gefüllten Beutel loswerden kann.

Darum kündigt er jetzt im Bekanntenkreis per Mail an, dass er wohl wieder Brötchen abzugeben habe. Seine Bekannten, das sind keine Armen. Einige nehmen Markus` Lieferung als eine Art Freundschaftsdienst an. Manche verteilen sie dann direkt weiter, an Nachbarn. Andere frieren sie im Tiefkühler ein, wenn da Platz ist. Letztlich braucht sie keiner, diese gratis Brötchen-Beglückung.

Was sie wohl alle unabhängig voneinander mal anmerken: Dass es schon verrückt ist, so viel Wohlstand zu erleben, in einem satten Land, wo nicht nur Brötchen zu viel sind, sondern auch im Überfluss noch andere Lebensmittel…..

Markus nickt dann nur weise. Und wenn er dann wieder Bilder aus Gaza oder dem Sudan sieht, hat er gleich diese so treffende Überschrift vor Augen: Verrückte Welt !




Anmerkung von eiskimo:

Eine Geschichte, die in dem Zusammenhang mal wieder des Lesens wert wäre: Wolfgang Borchert "Das Brot" (1947)
Mich hat als Schüler damals diese Geschichte sehr beendruckt.

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Kommentare zu diesem Text


 Saira (29.11.24, 10:11)
Lieber Eiskimo,
 
du schaffst es, die Diskrepanz zwischen dem Wohlstand, den viele von uns genießen, und dem Leid, das in anderen Teilen der Welt herrscht, auf eine berührende Weise darzustellen.
 
Markus Engagement zeigt, dass selbst in einem gesättigten Markt wie unserem, wo Lebensmittel im Überfluss vorhanden sind, die Bereitschaft, etwas zurückzugeben und anderen zu helfen, von unschätzbarem Wert ist. Doch gleichzeitig spürt man die Ohnmacht von Markus. Wie dankbar wären die gebeutelten, hungernden Menschen im Sudan, Gaza für die Backwaren!
 
Wir leben in einer Welt, die nicht nur verrückt ist, sondern auch ungerecht und grausam.
 
Herzliche Grüße
Saira

 eiskimo meinte dazu am 29.11.24 um 10:16:
Danke, liebe Saira! Es tut schon weh, diese Diskrepanz zu spüren. Und weh tut besonders, wie ungerührt manche das einfach hinnehmen.
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (29.11.24, 11:36)
Bei uns im Städtchen gibt es (mindestens) zwei Sammelstellen, an denen übrig gebliebene Lebensmittel, auch aus Privatbeständen, der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. In großen Kühlschränken und Regalen.
Diese Orte sind gut frequentiert - manchmal wohl auch von Leuten, die solche Lebensmittel dann weiterverkaufen(!). Ebenso verhält es sich mit wirklich guter (!) Kleidung.

Trotz der erwähnten kleinen Missstände finde ich diese Weitergabe super, und sie lässt meine Öko-Herz jauchzen.

Deins bestimmt auch. <3

 eiskimo antwortete darauf am 29.11.24 um 12:46:
Ja. Ich habe immer die Klamotten meiner älteren Brüder aufgetragen; Brotreste hat meine Mutter zu einer Suppe verkocht - diese Art Armut hat mich geprägt.
Deswegen ertrage ich nur schwer, wenn um mich herum zum Beispiel Kinder mit 12 Jahren schon ihr fünftes Fahrrad kriegen...
Öko-Grüße von
Eiskimo

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 29.11.24 um 17:04:
Geht mir genauso.

Und das Gute bei mir daheim ist, dass die sog. Bedürftigen das alles mehr oder weniger in Eigenregie treiben.
Sie habe ein Haus mit Verkaufsstelle für die gebrauchte Kleidung (Forum), mittlerweile eine kleine Bäckerei und ein Cafè und, und und.
Alles Geld fließt wieder ins Projekt zurück.

Eine der wenigen Stadtteilprojekte, die super funktionieren.

 AndreasGüntherThieme (29.11.24, 12:03)
Was ist mit den Brötchen der anderen Tage?

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.11.24 um 12:16:
Hallo Eiskismo,                                                                 die Diskrepanz zwischen Armut und Wohlstand besteht natürlich. Aber man täusche sich nicht. Auch in der Wohlstandsgesellschaft gibt es einige, die die Brötchen dankbar empfangen.

LH
Ekki

 eiskimo ergänzte dazu am 29.11.24 um 12:38:
@andreas
Laut Markus kommen über die Woche verteilt noch andere Ehrenamtler.
@Ekki
Das glaube ich unbesehen, dass bei manchen niemals Brötchen auf den Tisch kommen, sondern nur das billigste Brot, und das vom Vortag..
LG

 Quoth (29.11.24, 12:45)
Einfrieren? Nein, einige sofort essen, den Rest trocknen und in den nächsten Frikadellen- oder Hackbratenteig tun.

Kommentar geändert am 29.11.2024 um 16:27 Uhr
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