Der verflixte siebente Rattenstammtisch

Absurdes Theaterstück zum Thema Absurdes

von  Dart

Personen:
Jörg
Gisela
Ginger
Martina
Andreas
Oskar
Kellner
Polizist
Bankräuber
Verkleideter
Triangelmann
Diverse Ratten und sonstige Nagetiere

Die Bühne ist wie gehabt. Jörg sitzt am allein an einem Ende des Tisches inmitten von Papierstapeln.

Jörg:

Also…kommen wir nun zu Punkt siebentausendsechshundertzweiundneunzig der Tagesordnung: Die Ausweitung der Mindestkämmanzahl bei Ratten von einhundert auf zweihundertdreiundzwanzig. Wer ist dafür?
[Er schaut sich suchend im Raum um und hebt die Hand.]
Sehr schön. Gegenstimmen?
[Er schaut sich noch einmal im Raum um.]
Keine. Enthaltungen?
[Er schaut sich wieder um, nickt dann und schreibt etwas auf ein Blatt Papier.]
Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen, eine Ja-Stimme…
[Pause.]
Einhundert Ja-Stimmen.
[Der Kellner kommt mit einer Tasse und stellt sie neben Jörg.]

Kellner:
Also wissen sie…Als ihre anderen Spießgesellen vor drei Monaten spurlos verschwunden sind, hätte ich mir nie träumen lassen, sie mal in normaler Verfassung zu erleben.

Jörg:
Was macht mein Antrag auf einen Stammtisch?

Kellner:
Der heizt meinen Kamin an.
[Ab. Während Jörg im Papier wälzt, kommen plötzlich Andreas, Ginger, Oskar, Gisela und Martina in gelassener Stimmung herein. Außer Ginger tragen alle Klamotten wie im Skiurlaub und halten Skibretter in den Händen.]

Andreas:
Grüß Gott.

Jörg:
Was? Wo kommt ihr denn her?

Martina:
Also…tja…Skiurlaub.

Jörg:
Skiurlaub?

Martina:
Ja, war schön.

Jörg:
Skiurlaub? Ihr wart drei Monate lang weg!

Gisela:
Es war sehr schön.

Jörg:
Und warum habt ihr immer noch diese Klamotten an?

Ginger:
Er glaubt’s euch nicht…

Martina:
Die Klamotten? Die haben wir an, weil…tja…

Oskar:
Draußen ist schlechtes Wetter.

Andreas:
Ganz genau.

Jörg:
Ihr wart drei Monate lang Skifahren?

Gisela:
Wir hatten dich gefragt, aber du wolltest ja nicht!

Jörg:
Niemand hat mich was gefragt! Irgendwas ist hier doch faul!

Ginger:
Stimmt – wir haben uns in Wirklichkeit bloß ein Vierteljahr Urlaub von dir genommen.

Jörg:
Was habt ihr?

Oskar:
Warum verrätst du das?

Ginger:
Mehr Spaß für mich.

Jörg:
Wozu sollte man denn von mir Urlaub nehmen wollen?

Gisela:
Also…es liegt nicht direkt an dir…eher…

Andreas:
Genau genommen ist es eher die pure Nähe deiner schieren Existenz.

Jörg:
Ach…bin ich tatsächlich so erhaben?

Ginger:
Und überheblich, arrogant, selbstverliebt, egoistisch…
[Sie wird dadurch unterbrochen, dass Jörg ruckartig aufsteht.]

Jörg:
Soll das etwa heißen, eure Loyalität mir gegenüber ist nonexistent? Ich reiße mir hier den Arsch auf, um dem Rattenstammtisch endlich seine Stammtischwürde zu verleihen und was macht ihr? Ihr rammt mir ein Messer in den Rücken!

Martina:
Um einen Stammtisch hatten wir dich eigentlich nie gebeten…

Jörg:
Und nun stellt ihr auch noch meine Entscheidungen in Frage?
[Oskar, der in der Zwischenzeit ein paar von Jörgs Blättern inspiziert hat, unterbricht ihn.]

Oskar:
Jörg? Hast du in unserer Abwesenheit Mitgliederversammlungen durchgeführt? Und wenn ja – wie hast du neunundneunzig Leute dazu gebracht, einerseits Mitglied bei uns zu werden und andererseits zu einem geschlossenen Ja für deine Ideen stimmen?

Jörg:
Die Imperative ist auch ohne euch handlungsfähig!

Gisela:
Wer?

Andreas:
Gibt’s denn so was überhaupt im Vereinsrecht?

Jörg:
Wozu? Wir sind kein eingetragener Verein. Wir sind der Rattenstammtisch a.V.

Ginger:
A.V.?

Jörg:
Antieingetragener Verein.

Martina:
Soll das heißen, unsere ganzen Spendenquittungen sind wertlos?

Jörg:
Papier verliert nie seinen Wert!

Gisela:
Jörg, wir sollten über mehr demokratische Strukturen sprechen!

Jörg:
Demokratie? Demokratie? Demokratie ist der direkte Weg in den Kommunismus! Ihr müsst doch mal was aus der Geschichte gelernt haben, oder? Und eure Loyalität mir gegenüber ist ja… also, ich bin erschüttert! Ihr verhaltet euch nicht sehr integer zu mir! Treuloses Pack!

Gisela:
Ich bin deine Frau!

Ginger:
Immer noch?

Martina:
Ich glaube, es war doch ganz gut, mal in Urlaub zu fahren.

Andreas:
Ganz genau.

Jörg:
Das geschah ohne mein Einverständnis! Tod! Tod und Verderben über euch alle!

Gisela:
Ich bin immer noch deine Frau!

Ginger:
Jetzt wäre ein guter Moment, damit aufzuhören…

Oskar:
Also ich fand den Urlaub schön.

Jörg:
Du verreck zweimal!

Oskar:
Ich habe einen Skihasen kennengelernt.

Jörg:
Dreimal!

Oskar:
Nein, nur einmal. Ich habe ihn sogar mitgebracht.
[Während sich alle verwundert im Raum umschauen, holt Oskar eine kleine Pappschachtel aus seiner Jacke und gibt sie Jörg.]

Jörg:
Was ist das?

Oskar:
Der Skihase.

Jörg:
Skihase? Willst du mich veräppeln?
[Er öffnet die Schachtel.]
Oh mein Gott…Oskar, das ist ja…also…

Oskar:
Hübsch, oder? Das flauschige Fell, die Öhrchen, das Schwänzchen…

Jörg:
Oskar, das ist ja eine echte Ratte!

Oskar:
Was? Buäh!
[Er schlägt Jörg die Schachtel aus der Hand und trampelt sie platt.]

Jörg:
Bist du wahnsinnig? Wie…du hast…tot!

Oskar:
Hab mich lange nicht so erschrocken.

Jörg:
Du Wahnsinnigster aller Bekloppten – wie konntest du nur dieses Gottesgeschöpf einfach so…einfach so töten? Du…du Bastard!

Oskar:
Das war eine echte Ratte?

Jörg:
Natürlich war das eine echte!

Martina:
Mensch, Oskar – großartig! Endlich eine echte.

Jörg:
Großartig? Mord ist nicht großartig!

Gisela:
Also wenn Oskar nun endlich eine echte Ratte mitgebracht hat – ist er dann jetzt endlich ein vollwertiges Mitglied?

Jörg:
Er hat einen Mord begangen. Stört denn das hier keinen?
[Ginger legt ihm die Hand auf die Schulter.]

Ginger:
Jörg, sieh es doch mal von der Seite: Sie ist jetzt an einem besseren Ort. Denn ganz egal, wo der auch sein mag, er ist weit außerhalb deiner Reichweite.

Jörg:
Oh mein Gott, oh mein Gott, sie ist tot! TOT! Mörder! Mörder!
[Ein Polizist taucht im Hintergrund auf.]

Polizist:
Ein Mörder! Ehrenhafte Mitbürger – rennt um euer Leben!
[Ein klischeehaft verkleideter Bankräuber taucht neben dem Polizisten auf.]

Bankräuber:
Ein Polizist! Ganoven – rennt um euer Leben!

Ginger:
Kann es sein, dass wir schon wieder ins Lächerliche abgleiten?
[Ein Verkleideter in einem Rattenkostüm taucht neben dem Polizisten auf.]

Verkleideter:
Da ist Jörg! Ratten – rennt um euer Leben!
[Zwischen den dreien taucht der Triangelmann mit einer Triangel auf.]

Triangelmann:
Und jetzt: Das retardierende Moment!
[Er schlägt einmal kurz die Triangel. Alles klatscht Beifall, er verneigt sich kurz nach allen Seiten. Dann mit Polizist, Verkleidetem und Bankräuber ab. Der Kellner kommt.]

Kellner:
Alles Gute hat wohl mal ein Ende.
[Er zeigt auf Jörg.]
Und sie sind wahrscheinlich mal wieder schuld.

Jörg:
Ich? Was kann ich denn für die uniformierte Staatsgewalt?
[Der Kellner bemerkt die Schachtel von Oskars toter Ratte.]

Kellner:
Was ist das da?

Oskar:
Das ist eine Ratte. Ich habe sie tot getreten.

Kellner:
Wie meinen sie das? Haben sie sie getreten, als sie kurzzeitig mal tot waren, als die Ratte tot war oder haben sie sie durch einen Tritt ins Jenseits befördert?

Jörg:
Getötet! Getötet hat er sie! Polizei! Kripo! Morko! 110! CSI!
[Er bricht heulend auf dem Boden zusammen.]
So jung…in der Blüte ihres Lebens. Herausgerissen! Da – da ist der Mörder! Mag er euch auch noch so unschuldig erscheinen, die Sünde lastet schwer auf ihm! Ihr, ja ihr – ebenso euch klage ich an, denn wie sonst hätte ein solches Monster zu so einer blutrünstigen Tat ausholen können? Ja, auch ihr! Mörder, Mörder überall!

Gisela:
Weißt du eigentlich, was es heißt, jemandes Frau zu sein? Deine, zum Beispiel?
[Der Kellner umarmt Oskar.]

Kellner:
Hach, sie sind auf dem richtigen Weg! Wenden sie sich von dem Irren ab, bieten sie dem Wahnsinn die Stirn.

Oskar:
Ich hatte mich eigentlich nur erschrocken. Ich dachte, sie wäre ein Skihase.

Ginger:
So können Träume platzen.

Kellner:
Apropos Platzen. Haben sie noch irgendwelches Viehzeug tot getrampelt?

Oskar:
Vor zwölf Jahren habe ich mal eine Kakerlake zertreten.

Kellner:
Dann sind sie hiermit mein Held des Tages! Kommt alle zusammen und lasst uns singen: For he’s a jolly good fellow…
[Außer Jörg fallen alle in den Gesang ein. Oskar tut verlegen.]

Jörg:
Mörder, Mörder! Wahrlich – ich schwöre euch Vendetta! Vendetta, Vendetta!
[Alle hören auf zu singen.]
Vendetta!

Ginger:
Och nöö…nicht schon wieder!

[Licht aus, Ende.]


Anmerkung von Dart:

For he's a jolly good fellow, for he's a jolly good fellow.
For he's a jolly good fellow (pause), and so say all of us.
And so say all of us, and so say all of us.
For he's a jolly good fellow, for he's a jolly good fellow.
For he's a jolly good fellow (pause), and so say all of us!

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Kommentare zu diesem Text

KeinB (34)
(14.02.12)
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 Dart meinte dazu am 15.02.12:
Ich freue mich immer, wenn ich dir deinen Tag machen kann. Was auch immer das heißen soll...

 Lluviagata (14.02.12)
Ich bin schon bei [Dreimal!] das erste Mal zusammengebrochen!

Manometer, mehr geht beinahe nicht! :)))
Llu ♥
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