Luhmann und Gnosis

Essay zum Thema Nihilismus

von  toltec-head

Die Systemtheorie ein wenig gegen den Strich gelesen und schon gelangt man zu einer modernen Gnosis. Luhmann selbst interessiert nur Soziologie. Seine Ausgangspunkte sind immer die sozialen Systeme, also Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Familie, Kunst, Religion etc. und deren Autopoiesis. Aber die radikale Verbannung der einzelnen Menschen in die Umwelt der sozialen Systeme, in der sie als Parasiten erscheinen, eröffnet die Möglichkeit und prinzipielle Legitimität einer umgekehrten, nicht-soziologischen Sichtweise, in der die sozialen Systeme als Parasiten in der Umwelt der einzelnen Menschen erscheinen. In dieser umgekehrten Sichtweise sind Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Familie, Kunst, Religion etc. als Bewusstseins-Parasiten mit einem das, was sie bereits für die antike Gnosis waren: böse Götter, deren einziger Sinn in der Verdunkelung des Lebensfunkens besteht.

Modern ist an dieser Gnosis zum einen, dass die alten bösen Götter und ihre Statthalter auf Erden, die Archonten, als rein soziale Wesen entlarvt werden. Das Böse bedarf keines virus from outer space, bloße Kommunikation reicht. Das ganze antik-gnostische Brimborium einer außerirdischen Genesis des Bösen können wir uns also sparen. Kommunikation ist die Genesis. Wenn eine Yvonne oder ein Lukas den Mund auftut, sind wir bereits im Zentrum allen Bösens, ein anderes Böses als Kommunikation gibt es nicht.

Man beachte zum anderen die Verschärfung des gnostischen Szenariums des Kampfes des Lebensfunkens gegen die bösen Götter durch die berühmte Luhmann´sche Totale. Diese versperrt billige Ausflüchte vor der Wirtschaft, dem Recht oder Wissenschaft in Richtung Familie, Kunst, Religion oder eines anderen vermeintlich "guten" sozialen Systems. Alle sozialen Systeme sind gleich gestrickt und aus Sicht des Bewusstseins gleich parasitär. Zwar trug schon die antike Gnosis afamiliäre sowie areligiöse Züge, naturwissenschaftliche Fragestellung nahm sie gar nicht erst zur Kenntnis (wie sollte man das auch, wenn man an seinem Seelenheil interessiert ist?), und auch Kunst als Verhübschung der vom Demiurgen geschaffenen Welt war Sache der Gnosis nicht. Der Mythos von den bösen, außerirdischen Göttern und die damit einhergehende Nicht-Verortung des Bösen in der Kommunikation ermöglichte jedoch allerlei sozial-illusionäre Ausflüchte, welche die Luhmann´sche Totale versperrt. Liebe ist übrigens nur ein anderes Wort für das soziale System Familie, ob mit Kind oder ohne, ob schwul oder lesbisch oder sonstwie.

Als Ausgestoßener nicht nur der Wirtschaft, der Wissenschaft und des Rechts, sondern auch der Familie, der Kunst und der Religion, als außerhalb aller Kommunikation stehender erscheint der Mensch heute zum ersten Mal in der Geschichte als das, was die Alten wohl ahnten aber nie ganz einsahen: als absoluter Fremdling.

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Kommentare zu diesem Text

JakobJanus (35)
(25.10.13)
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 toltec-head meinte dazu am 15.11.13:
Der ganze Frieden der Natur ohne die Menschen, das wäre das Glück:

Eu nunca guardei rebanhos,
Mas é como se os guardasse.
Minha alma é como um pastor,
Conhece o vento e o sol
E anda pela mão das Estações
A seguir e a olhar.
Toda a paz da Natureza sem gente
Vem sentar-se a meu lado.
Mas eu fico triste como um pôr de sol
Para a nossa imaginação,
Quando esfria no fundo da planície
E se sente a noite entrada
Como uma borboleta pela janela.
(Antwort korrigiert am 15.11.2013)
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