Unterlaufen Internetliteraturforen die funktionale Differenzierung?

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Der Bildband von Leni Riefenstahl über die Nuba enthält zwar kein einziges Foto, das an archaischer Pracht an das berühmte Foto  heranreicht, deswegen sie sich auf den Weg machte, dem Essayteil entnehme ich jedoch eine interessante Information: Jeder Nuba hatte sein eigenes Lied. Manchmal hörte man schon von weitem, dass eine bestimmte Person einen besuchen kommt, weil auf einmal ihr Lied in der Luft war.

Für uns gilt hingegen: Born originals how come that we all die copies?

Funktionale Differenzierung heißt nun einmal (bezogen auf das Liedermachen): Es gibt das Kunstsystem mit seinen Auswahlverfahren, Beobachtern, die sich auskennen und hartem Markttest und wer außerhalb des Kunstsystems zu singen versucht, versprüht nicht den Charme seiner unverwechselbaren Persönlichkeit, sondern wirkt wie ein Krüppel, der sich an Akrobatik versucht. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass selbst die Heroen des Kunstsystems für sich nicht mehr viel mehr in Anspruch nehmen können, als anerkanntermaßen gelungene Variationen von Variationen zu sein.

Oder ist alles ganz anders und unterlaufen Internetliteraturforen die funktionale Differenzierung? Wenn ein Hartz-4 Empfänger, die ihm von der Solidargemeinschaft zur Verfügung gestellten Mitteln, mit denen er sich für den Arbeitsmarkt fit machen soll, missbraucht, indem er einfach jeden Tag von seinen Erfahrungen mit der ARGE bloggt, ist das eigentlich noch Literatur oder ist es schon wieder der Nuba, der sein eigenes Lied singt? Schauen wir nicht auf die Realität von Internetliteraturforen, die irgendwo zwischen billigen Hesse- oder Bukowski-Imitationen schwankt. Schauen wie auf die von Internetliteraturforen zur Verfügung gestellten Möglichkeiten und da zeigt sich: Der bloggende Harz4-Empfänger stellt sich tatsächlich als so etwas wie ein neues Formprinzip da, dem zum Beispiel aber auch der bloggende Steuerbeamte aus Quakenbrück als vollkommen gleichwertig entspricht, immer unter der Voraussetzung, dass beide sich strikt an ihrem Alltag und nicht an billigen Hesse- oder Bukowski-Imitationen orientieren.

An schlechten Tage gleichen Internetliteraturforen einer Ansammlung von Deutschlehrern, die statt der Sozialkrüppel, die sie sind, Originalgenies spielen.

An guten Tagen liegt ein Hauch Afrika in der Luft. Die Krüppel-Akrobaten, die nur noch Krüppel-Akrobaten sein wollen, gewinnen auf einmal eine eigene Schönheit. Von weitem hört man einen Nuba, der einen besuchen kommt, mit seinem eigenen Lied in der Luft.

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Kommentare zu diesem Text

lucien (26)
(14.01.14)
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 toltec-head meinte dazu am 14.01.14:
Gräm dich nicht, bei mir hat´s auch nur zu einem schwulen Bukowski-Verschnitt gereicht.

 FRP (14.01.14)
Ich habe Deine Idee bezüglich der Nuba mal aufgegriffen, und ein Szenario textlich ausgeführt.

Übrigens: Die Mittel vom Arbeitsamt sind nur zu einem geringen Teil für die Bewerbungen zu verwenden - diese Kosten werden mit 25,- Euro pro Monat zusätzlich verrechnet, wenn man dazu mindestens 5 Bewerbungen an das Amt dokumentierend sendet.
Der Bedürftige kann die "normalen" Mittel durchaus also auch für seinen Aufenthalt im Internet, der stets auch zur Information über Gesellschaft und Arbeitsmarkt dient - einsetzen. Auch muss er sich nicht rund um die Uhr besinnungslos bewerben. Mit dem ALG II-Antrag verliert er auch nicht sein Recht auf Freizeit und intellektuelle Erfüllung - noch nicht. Aber es wird so kommen; ganz sicher.
JakobJanus (35)
(14.01.14)
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parkfüralteprofs (57)
(14.01.14)
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 toltec-head antwortete darauf am 14.01.14:
Du hast natürlich wie immer mit allem Recht, aber überschätz mal nicht, was Politiker und Juristen so sagen. In den 90ern machte ich ein längeres Praktikum in der wunderschönen Stadt Bad Neuenahr. Da fand sich gegen Monatsende immer ein illustres Publikum in den Gängen ein. Und zwar war das so: Wenn du zum Monatsende hin deine Sozialhilfe vertrunken hattest, konntest du zur Kasse gehen, musstest sagen, dass du bedürftig seist und dann bekamst du noch mal einen kleineren Betrag. Im Prinzip konntest du das am nächsten Tag wiederholen. Denn, wie eine der netten Damen von der Kasse mir damals erklärte, das Grundgesetz verlangt, dass Bedürftigen geholfen wird. Menschenwürde. Am Grundgesetz hat sich aber nichts geändert seitdem. Nur hat das BVerfG eben die Hartz4-Gesetze durchgewunken. Im Prinzip kannst du Gesetze immer so auslegen, wie du willst. Erst Recht das Wort Menschenwürde. Oder nimm die Rechtsprechung zu HIV und Strafrecht. Nie hatte es vergleichbares zu Syphillis oder anderen Geschlechtskrankheiten gegeben, es wurde immer gesagt, dass das Mittel der Körperverletzung selbst gefährlich sein müsse, nicht erst der Erfolg und HIV ist nachweislich weniger ansteckend als Syphillis. Aber die allgemeine Stimmung zu HIV war anders, also kam es zu einer Sonderrechtsprechung. Die allgemeine Stimmung, von der niemand weiß, wo sie her kommt, ist immer alles. Irgendwann kippte dann also die allgemeine Stimmung, was sogenannte Arbeitsscheue angeht. Die Politik und die Juristen sind in solchen Dingen vollkommen machtlos. Es ist wie in Internetliteraturforen, man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen.
(Antwort korrigiert am 14.01.2014)
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