Vedisches mit Langzeitfolgen

Erörterung zum Thema Religion

von  loslosch

Umbram suam metuit (Quintus Tullius Cicero, 102 v. Chr. bis 43 v. Chr.; Commentariolum petitionis). Er fürchtet (sogar) seinen eigenen Schatten.

Vom einzigen Bruder des berühmten Cicero geschrieben, dieses Commentariolum, eine Art sehr bescheidene Denkschrift zu einer Amtsbewerbung. Nur ein äußerst schreckhafter Mensch könnte seinen eigenen Schatten fürchten. Anders verhält es sich mit dem fremden Schatten. Vor dem fürchten sich im Hinduismus die Angehörigen der höchsten Kaste (Brahmanen), wenn er vom Angehörigen der untersten Schicht (die Unberührbaren) auf sie herniederfällt, sie "berührt". Die Hindu-Traditionen sind erheblich älter als das Christentum, mindestens 1000 Jahre früher beginnend. Den Römern, diesen Seefahrern mit ihren sporadischen Kontakten zum asiatischen Subkontinent, könnte dieses Phänomen begegnet sein, allerdings erst nach der Zeitenwende. Angst vor fremdem Schatten als Ausdruck von Unwissenheit passt auch in europäische Kulturen, dann wäre Angst vor dem eigenen Schatten eine stilistische Zuspitzung.

Kein Scherz: Noch in den 1990er Jahren hat mancher Angehöriger der Brahmanenschicht, nachdem ihn der Schatten eines Unberührbaren (Paria) gestreift hatte, voller Ingrimm ein Duschbad außer der Reihe genommen - zum doppelten Reinigungszweck. Open End im 21. Jahrhundert.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (04.04.14)
Kein Scherz: Mancher Mitteleuropäer vergewaltigt ein Kind und tötet es dann. Möchtest du das immer und immer wieder in ausländischen Zeitungen lesen? Es ist die Wahrheit. Das gibt es tatsächlich heute noch. Des weiteren: Angst vor dem eigenen Schatten oder vor Hitlers langem? Sicherlich doch.
Da sollen die Leute doch lieber im Urin einer Kuh baden, die ist erstens heilig ist, und zweitens ist das wirklich desinfizierend.
Offiziell wurden die Kasten um 1960 abgeschafft, aber Indien ist groß. Vor allem im Süden sieht man manchmal dreckverkrustete, nackte, bettelnde Menschen, die auch das Wasser vom Dorfbrunnen nicht nehmen dürfen. Manche treten dann zum Islam über, der die Kasteneinteilungen nicht hat. Diese gehen mit den arrangierten Ehen einher, von denen sich vor allem diejenigen lösen, die im Ausland studieren. Ehe und Familie sind aber die einzigen sozialen Absicherungen, neben den Tempeln, die oft Speisungen durchführen. Das Individuum zählt in diesen Familienkulturen jedenfalls weniger als im Westen.
In Kerala allerdings ist das indische Christentum älter als unseres. Und: für die streng traditionell hinduistischen Vorstellungen ist auch jeder Ausländer ein Paria, da keiner Kaste zugehörig. Das ließ man in der Geschichte auch die Briten spüren, die das Land kolonialisiert hatten. Deutsche spielten eine andere Rolle, sie sind seit eh und je fasziniert von den alten Schriften über Transzendenz.
Es gibt auch Inder mit ganz modernen Ansichten. Manchmal habe ich das Gefühl, die haben noch Potential zum Aufsteigen, während Europa fällt.
(Kommentar korrigiert am 04.04.2014)
(Kommentar korrigiert am 04.04.2014)

 loslosch meinte dazu am 04.04.14:
warum sollte ich nicht einverstanden sein, wenn über monströses aus mitteleuropa weltweit berichtet wird?

"... Diese gehen mit den arrangierten Ehen einher ..." (habe ich nicht verstanden.)

potential zum aufsteigen? leider noch zu selten. ein vorbild ist viswanathan anand, ein brahmane, der die nase gar nicht hoch trägt:

 hier.

der exschachweltmeister wird mit dann fast 45 im spätherbst erneut um den titel kämpfen. ein andere thema.

 Regina antwortete darauf am 04.04.14:
Ich meinte, das Kastensystem geht mit den arrangierten Ehen einher, weil nur in die eigene Kaste, deren es Tausende gibt, geheiratet werden darf. Das gehört alles zusammen. Die Nase hoch tragen wäre nicht im Sinne des Erfinders. Brahmanentum heißt Priester- und Lehrerschaft. Aber vielleicht tragen manche Brahmanen die Nase hoch. Ohne weiteres ist uns da vieles nicht einfühlbar, weil wir auf Individualismus, Durchsetzungsfähigkeit und berufliche Leistung hin erzogen werden und anders leben und denken. Wir tragen die Nase meistens höher als die und glauben, alles besser zu wissen. Aber zu deiner Beruhigung modernisiert sich auch Indien peu à peu.
(Antwort korrigiert am 04.04.2014)

 loslosch schrieb daraufhin am 04.04.14:
jetzt klar.

wishi anand ist deshalb so eindrucksvoll, weil er sich dezent zurücknimmt. im nov. 13, als er den titel gegen das 22-jährige schachwunder magnus carlsen verlor: sein gegner habe ihn zu den wenigen fehlzügen verleitet. für mich ein kompliment an carlsen.

 niemand (04.04.14)
Vielleicht ist dieses "den eigenen Schatten fürchten" nur ein Bild fürs: Der Mensch, wissend, oder ahnend um seine dunklen Seiten der Psyche/Seele fürchtet diese. Und er fürchtet sie zurecht, denn nur der Dumme wird diese Seiten leugnen. Der Nichtdumme weiß genau, dass die ausbrechen können und zwar zu jeder Zeit, in jeder Situation. Er schleppt sie, gleich einem Schatten, mit sich, kann sich ihrer nicht entledigen, wie er sich auch seines Schattens nie entledigen kann, es sei denn nachts, oder an nichtsonnigen Tagen. Dies ist allerdings dann kein Entledigen, sondern ein "verschwinden" auf Zeit, so wie es Zeiten gibt in welchen man die dunklen Ich-Seiten nicht so verspürt, weil die hellen überwiegen. LG Irene

 loslosch äußerte darauf am 04.04.14:
je mehr man sich der dunklen seite bewusst wird, umso geringer wird deren einfluss, außer wenn man sich "hingebungsvoll" damit beschäftigt.

an dieses thema hatte ich beim texten nicht gedacht. aber es gehört kulturhistorisch sicher dazu.

 niemand ergänzte dazu am 04.04.14:
So harmlos sind die dunklen Seiten des Menschen nicht, Lo,
es sei denn man versteht diese nur als eine Art Harmlosigkeit/ein Webfehler des Charakters. Die liegen viel tiefer und brechen oft bei Menschen aus, bei denen man nicht im Entfernten daran dächte. Man muss nur in eine
vertrackte Situation kommen und der Mensch wird zum Tier
(Tier=hier negativ betrachtet) da kann sich keiner von frei sprechen, es ei denn er ist vielleicht romantisch-naiv strukturiert. Das alles hat mit einem "hingebungsvollen" Umgang mit diesen menschlichen Seiten nichts zu tun.
Du wolltest sagen, dass so mancher diese Seiten pflegt,
sich in ihnen suhlt. Wenn das nur so einfach wäre ...
Du bist jemand, der fest davon überzeugt ist, der Mensch hätte sich im Griff, er bräuchte nur zu wollen ... wenn Du Dich da mal nicht täuschst ...

 LotharAtzert meinte dazu am 04.04.14:
@ Irene: so oder ähnlich hätte ich es auch gesagt.
Die dunkle Seite ist unsere stoffliche Herkunft und wenn ein "Lichtonkel" (" ... je mehr man sich der dunklen seite bewusst wird, umso geringer wird deren einfluss) hier meint, sich in abendländischer Hybris über sie erheben zu können, werde ich ihn in mein Gebet einschließen, was natürlich für sich genommen noch nicht ausreicht.
Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hat viel über die Anima bzw. die dunkle Seite unsres Hierseins geschrieben, das sich im übrigen mit jener der gebildeten Brahmanen durchaus deckt. Auch gibt es eine Reform, das sogenante "Vedanta", aus welchem wiederum C.G. Jung viel herausgezogen hat.
Auch möchte ich erinnern, daß in unserm christlichen Abendland sogar noch im 18. Jh. Hexen verbrannt wurden. Hochnotpeinlich ...

 loslosch meinte dazu am 04.04.14:
tiefer hängen, irene. "... umso geringer wird deren einfluss" heißt ja nicht, dass er danach gering ist. da bin ich ganz realist. altersdemenz enthüllt oft die dunkle seite. da ohrfeigt eine 90-jährige öffentl. ihre 60-jährige tochter. die meisten menschen denken: oooch, die wirre alte. die tochter wird auch nicht ohne sein. ich denke so: da kommt eine der dunklen seiten hoch. warum nicht gleich alle? die dementen hüten ihr "geheimnis" wie normalos, es ist tief in ihr langzeitgedächtnis eingebrannt.

also nochmal: ich täusche mich da (leider gottes) nicht! (komisch, dass hier keiner an die hitlerei und die judenpogrome erinnert.)

 LotharAtzert meinte dazu am 04.04.14:
Du täuschst mich auch nicht, Lothar, da sind wir schon zwei!;-)

 EkkehartMittelberg (04.04.14)
Noch schlimmer als seinen eigenen Schatten zu fürchten, ist wohl, ihn zu verlieren. Dazu hat Adelbert von Chamisso (1781-1838) eine spannende Novelle geschrieben. "Peter Schlemihls wundersame Geschichte". ( Sie ist unter diesem Titel zu googeln.)

 loslosch meinte dazu am 04.04.14:
aha, er verkaufte seinen schatten, später aber nicht seine seele.

von chamisso kannte ich einige gedichte aus einer anthologie von ludwig reiners (der ewige brunnen). wie der sich eine 2. muttersprache, nach franz., zugelegt hat! und die segelreise um die welt. ein kl. humboldt.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.04.14:
Ein kleiner Humboldt charakterisiert ihn gut.
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