Kleist, Sibylle Lewitscharoff und das "Neue Biedermeier" in der Literatur

Kritik zum Thema Literatur

von  toltec-head

Um von einem "neuen Biedermeier" zu sprechen, reicht es nicht aus, Texte aus Internetliteraturforen durchzugehen. Der Geschmack der allermeisten Menschen zu den allermeisten Zeiten war immer biedermeierlich und wird es immer bleiben. Um von einem Zug der Zeit zu sprechen, muss man auf das Kulturestablishment schauen. Und siehe da, die frisch gekürte Büchner-Preisträgerin Frau Sibylle Lewitscharoff fällt unter genau die Kategorie, die wir meinen.

Ein paar Jahre zuvor hatte Frau Lewitscharoff bereits den Kleist-Preis erhalten und anlässlich der Preisverleihung eine viel beachtete Rede gehalten, die das Gemeinte gut zu illustrieren vermag. In ihrer Rede sagte sie, mit Heinrich von Kleist eigentlich gar nichts anfangen zu können, weil ihr sein Werk zu radikal, haßerfüllt und negativ vorkomme. Zitat: "Ein Tohuwabohu aus Gut und Böse anzurichten, ohne mehr den mindesten Begriff davon zu haben, daß das Böse mit Macht die Wurzel des Seins zerstört und darum auch in einem poetischen Text ein Minimum an Widerstand dagegen aufgeboten werden muß, ist nicht unbedingt das, was ich in der Literatur suche und was mich begeistern könnte."

Hier wird formuliert, was das "Neue Biedermeier" in nuce ausmacht: Dem Tohuwabohu aus Gut und Böse der Welt ein Minimum von Widerstand oder Moral entgegenhalten. Oder mit anderen Worten: Kurzschluss an Gauck und alle anderen Menschen guten Willens. Adé ihr Blumen des Bösen, adé ihr Tagebücher von Strichern und Dieben, adé das, was das beste der Literatur der letzten zweihundert Jahre ausgemacht hat, nämlich Transgression. Willkommen im neuen Biedermeier! Als Symbol dieses neuen Biedermeiers steht im Werk von Frau Lewitscharoff ein Löwe, der einem stubenhockenden BRD-Philosophen erscheint. Betulich, bildungsbürgerlich und bettvorlägrig: so geht es zu in der schönen neuen Welt "poetischer Texte mit einem Minimum an Widerstand gegen das Tohuwabohu der Welt aus Gut und Böse".

Zurück aber zur Kleist-Rede der Frau. Überhaupt nicht begeistert zeigte sie sich darin vom Aussehen Kleists, von seinen "weichen, etwas verschwebten Zügen" und seiner "dezenten Dicklichkeit". Und dann fällt der überraschende Satz: "Hätte Kleist den muskulären, festen, männlichen Körper seines geliebten Freundes Ernst von Pfuel als eigenen besessen, hätte er gewiß anders gedacht und anders geschrieben, womöglich überhaupt nicht geschrieben."

Wie bitte?

Das Aussehen von Kleist erscheint mir, um es kurz zu machen, weitaus interessanter als das Werk unserer stubenhockenden Löwenabeterin. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Kleist als junger Kadett Opfer einer Art Gruppenvergewaltigung im Offizierkorps wurde, ein traumatisches Ereignis, das für seine doch Recht verqueren und gar nicht biedermeierlichen Vorstellungen von Gewalt und Sexualität Pate stand. Ganz hässlich wird er also als junger Mann nicht gewesen sein. Und in Anbetracht der schlechten Ernährungsgewohnheiten im 19. Jahrhundert wird man ihm seinen späteren Schmerbauch wohl kaum vorwerfen können. Dass ein ähnlich traumatisches Ereignis Auslöser des literarischen Werks Frau Lewitscharoffs gewesen ist, möchte ich bezweifeln. Vielleicht eher ein gegenteiliges Phänomen.

Schauen wir uns doch nur mal ein Foto der diesjährigen Büchner-Preisträgerin an:

 externer Link.

An der Schminke wird´s, Kleist war 16, nicht gelegen haben.

Die Reduktion auf den Körper ist bei einem echten Künstler, wie Kleist einer war, durchaus unzulässig. Aber die Art und Weise wie sich jemand putzt ist doch immer hochbedeutsam. Denn Kunst ist ja nur eine höhere Form des Putzes.

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Kommentare zu diesem Text

ChrisJ. (44)
(10.06.13)
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 toltec-head meinte dazu am 10.06.13:
Ein Internetliteraturforum ist wie ein Stahlgewitter. Eine Lewitscharoff traut sich da nicht rein. Aber witzig ist, dass sie bestimmt auch Ego-Surfing betreiben wird und dann irgendwann über den Text hier stolpert.

 niemand (10.06.13)
Ich habe das Bild der besagten Dame mal angeguckt.
Normalerweise widerstrebt es mir, mich über jemandes körperliche Ausstrahlung auszulassen, aber da diese Person
diesbezüglich auf solch einem hohen Ross zu sitzen scheint, kann ich nur fragen ob sie sich schon Mal in einem Spiegel betrachtet hätte? Ich denke nein, und wenn dann mit allzu blauen Äugelein. Man dürfte ihr zumindest eines entgegenschleudern: Wer im Glashaus sitzt ...
Schon die Tatsache, dass sie jemanden, egal ob Künstler oder nicht, auf seine Körperlichkeit reduziert, bescheinigt
der Dame nicht grade viel Geist. Es gibt da noch eine Möglichkeit die ihr Verhalten (Rede) einigermaßen erklären könnte und die wäre: Sie wollte um jeden Preis Aufmerksamkeit erregen/provozieren, weil man heutzutage dadurch immer noch die Augen vieler auf sich richten kann.
Blöd ist es allemal, egal weshalb und weswegen.
LG niemand

 toltec-head antwortete darauf am 10.06.13:
Ja, die Art und Weise wie sich schminkt ist derart ungeschickt, dass es beinah doch schon wieder sympathisch wirkt. Man merkt, dass sie sich Zeit ihres Lebens eher mit anderen Dingen beschäftigt hat. Jetzt will sie auch auf andere Weise glänzen. Wer wollte ihr das verdenken?
LottaManguetti (59)
(10.06.13)
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 toltec-head schrieb daraufhin am 10.06.13:
Eigentlich sehe ich dies als einen literarischen Text. Ihre Person ist mir dabei ziemlich egal. Ich denke, dass sie ihre Kritik an Kleist auch so gesehen hat. Die Frage, ob Literatur letztlich nur Kompensation sein könnte, ist spätestens seit Nietzsche aktuell. Frau L. wird klug genug gewesen sein zu sehen, dass die Körperfrage auf sie zurück fällt. Und ich bin natürlich auch klug genug zu sehen, dass sie dies früher oder später auch auf mich tut. Eigentlich bin ich ein bischen auf ihrer Seite. Man muss die Körperfrage stellen. Gerade in der Literatur. Und auch, wenn sie auf einen zurückfällt. Und ihren Mut sich so zu schminken: ein bischen bewundere ich ihn doch auch. Gibt genug graue Mäuse im Literaturbetrieb, die ihn nicht haben (und die Körperfrage für sich gar nicht erst stellen).
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