Kleinstadt mit Autofahrer-Challenge

Glosse zum Thema Psychologie

von  eiskimo

Wenn ich von Bonnard aus dreißig Kilometer nach Osten fahre, erreiche ich die alte Römerstadt Augustodonum, vor 2000 Jahren einer der wichtigsten römischen Knotenpunkte im besetzten Gallien -  heute zu einem Provinz-Nest namens Autun geschrumpft.
Seitdem man in den 1970er Jahren beim Bau der TGV-Linie Paris-Lyon beschlossen hatte, Autun links liegen zu lassen, seitdem lebt diese 15 Tausend Einwohner zählende Stadt aus Protest rückwärts. Übertrumpfen vergleichbare französische Städte sich förmlich in futuristischen Neubauten, pflegt dieses Autun behäbig ein paar antike oder auch mittelalterliche Schmuckstücke – mehr ist da nicht. Man hat halt den Anschluss verpasst.
Stop! Das stimmt spätestens seit der Neugestaltung des Champs de Mars – Platzes, zentrale Anlaufstelle und Haupt-Parkplatz des Ortes, nicht mehr ganz.
Denn dort hat man als ausgeklügelte Maßnahme gegen chronische Dauerparker und das Weiterreichen von nicht „abgeparkten“ Tickets eine ganz neue Generation von Parkautomaten installiert, solche, die scharf geschaltet sind auf das jeweilige Fahrzeug. Das heißt: Wer da heute eine Parknische ergattert, muss beim Ticket-Bezahlen nicht nur die erwünschte Parkdauer angeben, sondern auch sein Kennzeichen.
Klingt erst einmal ganz pfiffig, aber wie viele Autofahrer kennen ihr Kennzeichen auswendig?
Ich beobachte jeden Freitag – dann ist in Autun Markt – dass das zwar die Einheimischen mittlerweile gerafft haben, alle anderen Besucher aber hektisch werden. Sie kramen umständlich ihre Zulassung heraus, andere schicken -husch-husch - den Ehepartner zurück zum Auto, um nach der Nummer zu spinxen, um sich dann öffentlich zu streiten, ob das tatsächlich die eigene Matrikel sein könnte.
Ich selber habe als Kennzeichen – wie sinnig! - meine Initialen  und das Geburtsdatum. Für Autun ein echter Vorteil! Nur musste ich lernen, den Automaten dahin gehend zu überzeugen , dass er den in Deutschland üblichen Bindestrich auch machte.
Ist das Kennzeichen erfolgreich eingetippt, folgt schon die nächste Hürde. Man muss sich nämlich für einen Zahlungsweg entscheiden: Bar oder per Karte?
Auch hierbei scheitern erstaunlich viele Autofahrer kläglich, da sie die Anzeigetafel des Automaten für einen Touch-Screen halten. Tatsächlich ist da aber nur eine Liste von Symbolen abgedruckt, welche dann auf der daneben angebrachten Tastatur gedrückt werden müssen. Es wird also fleißig gewischt, geklopft, geflucht...
Die Luft um den Automaten herum knistert förmlich. Bei jedem weiteren Fehlversuch hört man  hinter sich eine der sieben oder acht andere Wartenden aufjaulen! Ganz zu schweigen von abfälligem Grinsen, verdrehten Augen, genervtem Kopfschütteln.  Ja,im Stress werden halt auch scheinbar einfache Dinge hoch komplex!
Mutter raunzt Vater an, weil der sich ja ach, so dumm anstellt. Vater schreit nach dem Sohn, der eigentlich im Auto geblieben war, um ungestört chillen zu können – nun muss also der verschlafene Nerd den auf zehn Personen angewachsenen Stau auflösen.
Da fällt aber leider das Geld durch oder die ausländische Kreditkarte wird nicht akzeptiert – stimmte denn die PIN? - und die Szenerie wird zu allerbestem Straßen-Theater. Triumph der wenigen  „Könner“ wechseln sich ab mit der Verzweiflung der  zahlreichen „Doofen“.
Soll ich noch verraten, dass es eigentlich eine dritte Alternative gegeben hätte?  Der Automat bietet nämlich für Studierte, das heißt:  in der Automaten-Sprache versierte Nutzer die ersten dreißig Minuten auch ….gratis an.
Komisch, ich habe bei meinen Beobachtungen nie jemanden diese Kurzzeit-Taste wählen sehen. Alle wollten bei dieser Nummern- und Kartenlotterie den höchsten Level erreichen, der da heißt:  Die Zahlung ist erfolgt, Ihr Park-Coupon wird gedruckt!
Ja, Autun ist da auf einen ganz modernen Zug aufgesprungen.  Sein Champs de Mars ist inzwischen eine großflächige Spielhölle, ein raffinierte Autofahrer-Challenge, garantiert interaktiv, mit enorm  hohem Aufforderungscharakter.
Zurück in Bonnard, in diesem 500-Seelen-Dorf , fällt mir dann auf, dass dort alle parken, wie und wo sie wollen. Wie langweilig.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(01.09.19)
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 eiskimo meinte dazu am 01.09.19:
Sehr löblich. Jetzt im Sommer, bei 36 Gad, in einem nicht klimatisierten Auto, dafür einem Défilé von anderen Parkplatzsuchenden durch eine knatschvolle Kleinsstadt schleichen, verdirbt jegliche Urlaubsstimmung.
Danke für Deine Empfehlung!
ciao
Eiskimo

 AZU20 (01.09.19)
Köstlich. LG
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