Werther, Ari Behn, Tasso

Tagebuch zum Thema Tod

von  Augustus

Dieser Text ist Teil der Serie  Tagebuch
Der Werther Goethes erschießt sich am Ende des Büchleins. Der Verlust der göttlich Angebeteten an den Konkurrenten Albert zerstört nicht seine Liebe zu ihr, da die Liebe weiterhin fortbesteht, aber die Liebe kann keinen Fuß mehr ins Haus des Herzens der Lotte fassen, da das Haus nun durch Albert besetzt ist und die Türen, die einst Werther offen standen, ihm nun für immer durch die Heirat Lotte und Albert verschlossen sind. Die im Herzen volle Liebe Werthers für Lotte verliert sich in der Unendlichkeit, in der Gestalt, dass ihm nur noch Leid und Qual übrig geblieben sind. In dem Feuer, das ihn eine Zeit lang erwärmte, sollte er letztlich umkommen. Wie in der Liebe scheitert Werther auch beim Ergreifen eines seinen Talenten entsprechenden Berufes. Auf den Höfen der Grafen trifft er stets auf „verzerrte Originale“, die ihn als Konkurrenten betrachten oder auf Grafen, die ihn nicht zu fördern suchen, sowie Vorgesetzte, die sich beim Grafen über seine Arbeitsweise beschweren. Nur bei Lotte fand er sich glücklich, genauso wie wenn er in der Einsamkeit verweilte und der Kunst nachging. Der Hof entzog ihm die Kunst, Lotte entzog ihm die Liebe. Beides führte dazu, dass des Werther‘s Bild von sich selbst er in der Welt nicht mehr fand; dieses Verlorensein, ohne Identität seiner Selbst in der Welt bestätigt zu bekommen, ist der eigentliche Tod, dem der wirkliche Tod nachfolgte.

Ari Behn, der geschiedene Ex-Mann von der Prinzessin Märtha Louises von Norwegen hat mit 47 Jahren Suizid begannen. Er war Designer und Schriftsteller, war verheiratet mit einer schönen Prinzessin von Norwegen und zeugte drei Kinder. Eine solche Konstellation grenzt nahe der Vollkommenheit. Status, Geld, Familie, Nähe zum Könighaus und dergleichen weltlichen Güter, alles das besaß der Ari Behn; und doch sollte das alles nicht zu einem zufriedenem Leben gereicht haben? Hier ist die Scheidung von bedeutender Rolle, ja von der absolut tragenden Rolle. Denn so wie beim Werther der Verlust der Lotte seine beständige Liebe ins Chaos stürzte, stürzte die Scheidung – als Verlust des Beständigen – seiner Ehe, ihn in Chaos der Gefühle. Da aber Ari Behn durch seine Ehefrau im gesellschaftlichen Status aufgewertet wurde, wurde ihm der Status durch die Scheidung wieder genommen. Wenngleich nicht formell, so doch trug er‘s im Bewusstsein mit, dass er ohne seine Ehefrau nicht den Status gehabt hätte, den er durch sie erst erworben hatte. Genauso wie Werther nicht um Lotte kämpft, kämpft Aro Behn auch nicht um seine Ehefrau. Wie Lotte, so auch die Märtha Louise haben das letzte Wort. Wie Werther zieht sich Ari Behn komplett zurück ins Häuschen und verbarrikadiert sich ein. Die Scheidung bei Ari Behn nimmt ihm seine Identität, sein Selbstbild vom Ehemann und Vater, ohne diese erkennt er sich nicht mehr selbst und geht zugrunde.

Der Tasso von Goethe überlebt merkwürdigerweise seine fehlende Identität. Seine Liebe zur Prinzessin wird abgewiesen und auch am Hof hat er durch Antonio einen Konkurrenten. Ari Behn hatte am Hof wohl keinen Konkurrenten, aber Werther. Werther scheitert an der Liebe und am Beruf, Ari Behn scheitert in der Ehe, dem Mittelpunkt seiner Beständigkeit. Während Tasso nach Rom fliehen möchte, um dem Hof und der Prinzessin zu entfliehen, fliehen Werther und Ari Behn in sich selbst. Dort wartet nur der Tod für die beiden. Eine Flucht in sich selbst, wenn einem alles genommen wird, was einem lieb ist, führt immer zu Tod. Tasso will das anders angehen und will nach Rom fliehen. Aber Antonio soll ihm der rettende Fels in der Brandung sein. Warum ist es beim Werther der Albert nicht? Einen solchen Felsen hat Ari Behn nicht, sein Schiff kracht gegen die Riffe und Klippen und geht unter. Werthers Schiff ebenso. Tasso dagegen erkennt in Antonio jene beständige Kraft, die jedes Chaos im Gleichgewicht hält. Fraglich ist es, ob Tasso in Rom sich letztlich doch erschossen hätte? Dass Tasso aber in einem Feind den Erretter sieht, mutet dem Leser viel zu, als ob eine christliche Geste wäre. Schlägt der Feind dir die linke Backe so halte ihm auch die rechte hin. Sowohl Werther als auch Ari Behn beherzigten nichts von beiden. Tasso dagegen stürmt nach vorne, er wirft sich in die Arme des Antonio, Werther und Ari Behn werfen sich niemanden hin. Sie vertrauen also niemanden ihr Scheitern an, darum scheitern sie auch letztlich. Tasso bürdet sein Scheitern Antonio, der die Bürde gefasst entgegennimmt. Dass Goethe Tasso nicht bis zur letzten Konsequenz scheitern lässt, obwohl der gesteigerte Werther den gleichen Lauf geht, ist, wie gesagt, merkwürdig, obwohl vorstellbar wäre, dass Tasso eigene Kunst in Rom zu vervollkommnen zu trachten, geneigt war zu tun, dass er unteranderem deswegen eben nicht aller Identitäten geraubt war. Er ist sogar vorstellbar, dass Tasso in Antonio eine für sich neue Identität gefunden hatte. Werther sah in Albert eher den Gegensatz zu sich selbst, und verwarf eine neue Identität. Er ging um seiner Identität willen eher in den Tod als eine neue Identität anzunehmen, Ari Behn genauso. Tasso dagegen ist wohl mehr befähigt sich den Umständen nach der Umwelt anzupassen, trotz der verlorenen Schlachten, schien der Krieg für ihn nie verloren zu sein, wie bei Werther und Ari Behn, die bei wenigen verlorenen Schlachten den Krieg verloren glaubten. Aber nochmal; Werther und Ari Behn haben gar keine Schlachten geschlagen, nirgends Krieg geführt, denn diese würde bedeuten, sie hätten vorher gekämpft. Das haben sie nicht. Beide haben sich aufgegeben, nachdem ihnen klar wurde, dass der Krieg längt verloren war, noch ehe die erste Schlacht geschlagen wurde.

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