Im Himmel

Märchen zum Thema Wunsch

von  Graeculus

Einer meiner Bekannten, der es mit dem Christentum sehr ernst nimmt, kann nicht verstehen, daß ich keinerlei Interesse daran habe, in seinen Himmel zu kommen – selbst jetzt nicht, wo er mir versichert hat, ich käme dort nicht in meinem jetzigen, renovierungsbedürftigen Zustand hin, sondern als knackiger 25jähriger, der ich einst – man glaubt es kaum – tatsächlich war.

 

Nun steht es nicht so, daß ich überhaupt keine Vorstellung von einem Himmel als ersehntem Ort hätte. Hier ist sie:

Als junger Mann von Stand und Vermögen möchte ich für ein Jahr im Rom zur Zeit des Kaisers Augustus leben. Augustus ... Pax Augusta, keine Kriege, bitte – ich bin so vulnerabel.

Dort sähe ich mir die Stadt an, die damals umgebaut und prachtvoll ausgestattet wurde. Das Pantheon könnte ich in seinem ursprünglichen Zustand bewundern, Thermen besuchen, am geschäftigen Treiben auf den Foren teilnehmen, Kulthandlungen in den zahlreichen Tempeln verfolgen. Möglicherweise stünde auch gerade – trotz Pax Augusta – ein feierlicher Triumphzug an. Ich würde die Bekanntschaft der zu dieser Zeit lebenden Schriftsteller suchen: Vergil, Horaz, Ovid. Der mir liebste von allen, Catull, wäre dann freilich leider schon tot.

Anschließend würde ich, ebenfalls für ein Jahr, Aufenthalt in Kampanien nehmen. Besonders die Bucht von Neapel mit ihren extravaganten, am Meer gelegenen Villen reizt mich. Der Hafen der römischen Kriegsflotte in Misenum muß spektakulär anzusehen sein, wobei ich freilich auf ein Proberudern verzichten könnte. Aber in Baiae, dem Kult-Badeort der Antike mit seinen hoch- und halbseidenen Gestalten, würde ich mich tummeln. Und ja, ich nähme gerne an zwei oder drei Orgien teil, für die Baiae damals berühmt war. Warum auch nicht? Die Sünde war ja noch nicht erfunden.

Abgerundet würden die Eindrücke durch ein halbes Jahr auf der malerischen Insel Capri, möglichst als Gast in der Villa Iovi, hoch oben auf der Klippe, mit einem überwältigenden Fernblick auf die Bucht.

Nach diesen zweieinhalb Jahren wäre es dann genug. Länger ertrüge ich, kulinarisch gesehen, das allgegenwärtige Ketchup der Antike, die garum genannte Sauce aus fermentiertem Fisch, wohl nicht. Nicht ohne Grund lagen die Produktionsstätten für garum weit außerhalb von Ortschaften.

Wie ich mich allerdings kenne, wäre das alles, was hier so problemlos klingt (ein Himmel eben), letztlich doch nicht ohne Drama abgegangen. Vermutlich hätte ich mich in eine reizende Römerin verliebt und stünde dann vor der bedrückenden Wahl, bei ihr zu bleiben oder der Fischsauce zu entkommen.

 

Sollte sich der eingangs erwähnte Christ entschließen, an dieser Zeitreise teilzunehmen, würden sich unsere Wege gewiß bald trennen. Ihn zöge es nach Judäa, wo er in Bethlehem die einschlägigen Ställe aufsuchen würde und bei ihnen in Wartestellung ginge.


So verschieden kann der Himmel sein.



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Kommentare zu diesem Text

klausKuckuck (71)
(11.12.21, 02:38)
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 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 18:20:
Länger halte ich eben keinen Himmel aus.
Danke.

 Regina (11.12.21, 06:13)
Und wie stünde es mit dem antiken Planetengötterhimmel, wärest du auch da ein Ungläubiger?

 LotharAtzert antwortete darauf am 11.12.21 um 11:38:
Bei Pluto - das wäre die Hölle!

 Graeculus schrieb daraufhin am 11.12.21 um 18:24:
An Regina:

Interessante Frage. Den Besuch von Tempelkulten ließe ich nicht aus. Aber Glauben?
Eine Affinität verspüre ich zu Dionysos (römisch: Pater Liber).
Aber mehr als in den monotheistischen Religionen kam es in den antiken auf die Riten an, von deren Beachtung man sich eine Bewahrung der Gemeinschaft bzw. des Staates versprach.
Es gab allerdings auch damals schon Skeptiker, und die Zeit des Augustus gilt als nicht mehr sehr gläubig. Das wurde erst in der Spätantike wieder anders.

 Dieter Wal äußerte darauf am 11.12.21 um 20:03:
@Graeculus:

"Interessante Frage. Den Besuch von Tempelkulten ließe ich nicht aus. Aber Glauben?"

Glaube ist eher eine christliche Erfindung. Auch das religiöse jüdische Leben versteht sich weniger als Glaubens- und mehr als Kult- und Schicksalsgemeinschaft. Teilnahme an antiken Tempelkulten verlangte eher keinen Glauben, bedingt Initiation.

Wunderschöne(r) Essay bzw. Satire.

 Graeculus ergänzte dazu am 11.12.21 um 23:01:
An Regina (und im Grunde auch an Dieter Wal):

Darüber habe ich nochmal nachgedacht. Die 'heidnischen' Götter sind ganz und gar weltlich. Das macht sie mir sympathisch. Mir fehlt jeder Sinn für Jenseitigkeit, d.h. für eine andere, gar höhere Welt oder für Überweltliches. Es mag höhere Arten als uns im Universum geben, aber im Universum. Jenseits des Universums kann ich mir nichts vorstellen.

An Dieter Wal:

Eine interessante Information, daß auch Juden sich eher als Kult- und Schichsalsgemeinschaft verstehen.

Kürzlich habe ich mich mit der Frage befaßt, warum im Römischen Reich zwar Christen, aber nicht Juden wegen ihrer Religion verfolgt worden sind. "Christianus sum" war seit Nero ein Straftatbestand, der die Hinrichtung zur Folge haben konnte. Für Juden galt derartiges nicht.

 TassoTuwas (11.12.21, 10:17)
Himmel ja, wenn man es sich aussuchen kann...
...dann doch lieber im Kolosseum auf der Tribüne, als mit Dreizack und Netz bei den Löwen!
LG TT

 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 18:27:
Da braucht man nicht lange zu überlegen! (Das Kolosseum gab es zur Zeit des Augustus freilich noch nicht: Amphitheatrum Flavianum - erbaut unter Vespasian, eingeweiht unter seinem Sohn Titus.)

Eine andere Frage ist es, ob man sich den Besuch von Gladiatorenspielen antun sollte. Neugier oder Menschlichkeit?

 Quoth (11.12.21, 10:31)
Lieber Graeculus, sehr amüsant! Aber ich fürchte, die reizenden Römerinnen wären die kleinere Gefahr gewesen! Das riesige Reich mit seinen immensen Grenzen bewahrte seine "pax augusta" nur, indem es sie mit Massen von Grenztruppen schützte, und in die wäre der knackige 25Jährige mit Sicherheit eingereiht worden, ja, vielleicht hättest Du so die Chance bekommen, unter Varus nach Germanien einzumarschieren und im Teutoburger Wald einen ruhmlosen Heldentod zu sterben! Ach, Du bist ja schon tot - man stirbt auch zweimal! Gruß Quoth

 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 18:29:
Hoppla, ja! Mit 25 wäre ich legionsgefährdet gewesen, sofern römischer Bürger. Und Du nennst eine besonders katastrophale Schlacht. - Siehst Du, man muß vorsichtig sein mit seinen Wünschen. Sie könnten in Erfüllung gehen.

 AlmaMarieSchneider (11.12.21, 11:47)
Gefällt mir, Dein Himmel. Ich hätte mir allerdings was anderes ausgesucht. Ibiza wäre schon mal nicht schlecht.

LG
Alma Marie

 Moja meinte dazu am 11.12.21 um 17:10:
Jeder verdient eine zweite Chance, besonders Du, lieber Graeculus!
In meinem nächsten Traum - wenn die Seele wieder auf Reise geht, wie mir ein muslimischer Freund verriet - lege ich ein gutes Wort für Dich ein, inschallah wird Dir dieses  "himmlische Vergnügen"  gegönnt werden - zumindest für eine Weile.

Mit Vorfreude auf Deine Erlebnisse,
grüßt Moja

 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 18:31:
An AlmaMarieSchneider:

Die Himmel(swünsche) sind individuell & verschieden. Ibiza, gut ... aber wann? Welche Zeit wählst Du aus? Das interessiert mich persönlich eigentlich noch mehr als der Ort.

 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 18:34:
An Moja:

Nichts gegen eine zweite Chance, aber 25 werden wir nicht mehr, liebe Moja. Da muß man schon träumen. Und ein gutes Wort wird mir nicht schaden. Die islamischen Vorstellungen mit den 72 Jungfrauen sind freilich mein Fall nicht, das sind mir 71 zu viel.

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 11.12.21 um 19:36:
Lieber Graeculus,

gibt es überhaupt eine Zeit, in der nicht irgendein Despot sein Unwesen treibt oder getrieben hat?
Ich würde vielleicht die 70er oder 80er Jahre wählen.
LG
Alma Marie

 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 23:08:
Aha! Sozusagen unsere Jugend ... naja, bei mir kämen dann noch die 60er dazu. Das erinnerte Gefühl sagt: eine Zeit der Befreiung, in der vieles möglich wurde, was vorher nicht möglich war. Auf der anderen Seite gab es auch damals, wenngleich jenseits der bundesrepublikanischen Grenzen, Despoten. Und es gab den Kalten Krieg, in dem wir jederzeit mit der globalen atomaren Vernichtung rechnen mußten. (Müssen wir das heute nicht mehr?)
Ein Vorzug der Antike, wie ich meine: Man konnte damals noch nicht die gesamte Welt vernichten, nur einzelne Staaten. Man konnte Italien für den Badespaß abholzen, aber noch nicht das Klima der Erde verändern.
(Meine Liebe zur Antike ist eine persönliche Sache; ich will niemanden dazu bekehren.)

 Graeculus meinte dazu am 11.12.21 um 23:08:
Nachtrag: Liebe Alma Marie ...
... Grüße von Graeculus

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 11.12.21 um 23:39:
Soviel ich weiß haben die Römer den Urwald an der Küste des ehemaligen Jugoslawien abgeholzt für ihre Schiffe. Das ehemalige feuchte tropische Klima veränderte sich in das heutige erträgliche Mittelmeerklima. Nachgewachsen ist nicht mehr viel.

LG
Alma Marie

 Graeculus meinte dazu am 12.12.21 um 15:32:
Ah, Pannonien alias Jugoslawien! Das mag sein, daß die Abholzung das Klima regional verändert hat. Ich wußte das nicht.
Bekannt ist - neben Italien - auch Nordafrika, das damals als die Kornkammer des Reiches galt und sich bei weitem nicht in dem heutigen klimatischen Zustand befand.

Regionale menschengemachte Einflüsse auf das Klima gab es also damals, in der Antike, schon. Heute sind wir mit den technischen Möglichkeiten in dieser Hinsicht natürlich schon viel weiter, wie bekannt.

 AchterZwerg (12.12.21, 09:04)
Deinen Wunsch kann ich gut nachvollziehen.
Parole:
Mein Himmel gehört mir!

Zustimmende Grüße
der8.

 Graeculus meinte dazu am 12.12.21 um 15:33:
Jedem seinen Himmel! Und manche werden eine Überraschung erleben, wenn sie erst darin leben und ewig leben müssen.

 AchterZwerg meinte dazu am 12.12.21 um 18:22:
Genau wie bei uns daheim! 8-)

 Graeculus meinte dazu am 12.12.21 um 22:31:
Seien wir also vorsichtig ... mit unseren Himmeln!

 Bergmann (12.12.21, 22:41)
Lieber Graeculus, 
ich würde mir auch diese Zeit wählen, als Patrizier - obwohl ... kein Zahnarzt mit Betäubungsspritze -
Kennst du John Williams' großartigen Roman AUGUSTUS?

 Graeculus meinte dazu am 12.12.21 um 23:26:
Ja, mein Lieber, den kenne ich - ein Roman aus Briefen und anderen "Dokumenten".
Übrigens sind auch seine anderen Romane ("Stoner", "Butcher's Crossing") überaus lesenswert. Aber vermutlich kennst Du die ebenso?

 Bergmann meinte dazu am 13.12.21 um 14:11:
Ja, ich kenne diese 3 Romane, und ich weiß nicht, welcher am besten ist - vielleicht "Stoner" knapp vor "Augustus" (als ich Augustus" nach "Stoner" las, war's umgekehrt). Bei "Butcher's Crossing" faszinierte mich die Spannung aufs ungefähr geahnte Ende: Wann passiert's? Und: Wie sieht die nebulös erahnte Schlusspointe aus? 
Alle diese drei Romane sind existentialistisch ohne Hoffnung grundiert. 
Seinen Romanerstling "Nichts als die Nacht" las ich auch, allerdings mit gemischten Gefühlen und Urteilen.

 Graeculus meinte dazu am 13.12.21 um 17:09:
Oh, danke für den Hinweis. "Nichts als die Nacht" kenne ich tatsächlich noch nicht.

Zu "Butcher's Crossing" fällt auch mir als erstes ein: (atemlose) Spannung angesichts der Extremsituation.

 Bluebird (13.12.21, 18:27)
Ich suche nicht den Himmel auf Erden, höchstens die himmlische Unterstützung. Für den Himmel selber habe ich dann ja noch eine Ewigkeit Zeit, um ihn genauer kennenzulernen.

 Graeculus meinte dazu am 13.12.21 um 18:48:
Bei der Geburt Jesu just in time dabei zu sein, wäre das nichts für dich?
Ich genieße derweil Capri.

 EkkehartMittelberg (30.12.21, 00:45)
Hallo Graeculus,
wenn ich als Schüler deinen Latein- und Griechischunterricht genossen hätte, wäre ich i9m Himmel gewesen.

 Graeculus meinte dazu am 30.12.21 um 14:16:
Bist Du sicher? Man kann sich diese Konstellation vorstellen, auch wenn das altersmäßig nicht ganz hinkommt und ich nie Latein- und Griechischlehrer war; aber es gehört schon Phantasie dazu. Lassen wir es bei meinem Status als Dilettant. Vielleicht reicht das.

 Dieter_Rotmund (30.12.21, 13:33)
Interessante Idee, dass im Himmel Zeitreisen (mit längeren Aufenthalten am Zielort) möglich sind. Ich hänge eher dem Wunsch nach, eine Zeitlang eine Frau zu sein, Mann war ich ja dann lange genug. Geht das auch im Himmel?

 Graeculus meinte dazu am 30.12.21 um 14:17:
In meinem Himmel darfst Du eine Frau sein. Allerdings gibt es in meinem - antiken - Himmel kein Kino, nur Theater.

 Graeculus meinte dazu am 30.12.21 um 14:20:
Und ins Theater durften Frauen nicht hinein. Teufel auch!

 Lluviagata meinte dazu am 18.01.22 um 06:15:
...vielleicht, weil sie selbst gern Theater machen?
Himmlisch interessant - wie immer!

Schmunzelgrüße
Llu ♥

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 14:03:
Vielleicht ist das Theater im Grunde sogar eine weibliche Erfindung? Meine Vermutung: Frauen haben das Drama, Männer ("Der größte Jäger bin ich!") die Komödie erfunden.

 Lluviagata meinte dazu am 18.01.22 um 15:31:
Wobei die größten Komödianten die Frauen sind, meine ich! ;)

 Graeculus meinte dazu am 18.01.22 um 23:20:
Aber solche, denen man das besser nicht sagt, oder? (Gewährst Du mir im Notfall Asyl?)
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