Jupp K. oder der frist- und formgerechte Wochenmarktdauerstandplatz-Antrag

Bericht zum Thema Bürokratie

von  eiskimo

Alles muss seine Ordnung haben. Richtig. Und jeder Wochenmarkt braucht geordnete Abläufe und eine ordentliche Marktordnung.  Die Stadt muss schließlich kontrollieren, dass da alles seine Ordnung hat: Wer da was genau anbietet, dass ordentlich gewogen wird, dass die Waren ordentlich ausgezeichnet sind, dass der Müll sauber weggeräumt und natürlich auch die Standgebühren im Stadtsäckel landen.

Jupp K., der Kleinbauer aus dem Vorgebirge,  hat das alles über 40 Jahre lang sehr ordentlich gemacht. Er hat sich, lange bevor der Bio-Boom einsetzte,  schon eine treue Klientel verschafft mit seinem selbst angebauten Obst und Gemüse, das schon mal etwas schäbig aussieht, das tatsächlich aber noch so schmeckt wie früher.

Samstags und mittwochs kann man beobachten, dass Jupp mit diesem sehr kleinen Angebot großen Erfolg hat. Von früh um sieben bis nachmittags halb drei ist bei ihm Betrieb –zum größten Teil Stammkunden, und die meisten von ihnen kommen auch, weil Jupp einfach anders ist. So verlässt er manchmal einfach seinen Stand, um einer gebrechlichen Kundin die Tasche zur Bushaltestelle zu tragen. Oder ein älterer Herr bekommt Eier und Kartoffeln fast geschenkt – „das ist ein armer Teufel,“ klärt Jupp dann später die Umstehenden auf. 

Der Kleinbauer hat seine eigene Weltsicht, und was ihn auszeichnet: Er redet unumwunden, sehr klar und oft auch ziemlich radikal.  

„Ich bin ja nur ein primitiver Bauer,“ pflegt er mit hintersinnigem Lächeln zu sagen, „aber ihr könnt mich nicht für dumm verkaufen!“

Seit einer Woche hat dieser Jupp nun Stand-Verbot. Nicht etwa, weil er das Standgeld nicht bezahlt oder seine Waren falsch ausgezeichnet hätte.

Nein, Jupp F. hat sich geweigert, das digitalisierte Verfahren der Erfassung aller auf dem Markt Verkaufenden anzuwenden.

„Seit über 40 Jahren stehe ich hier zweimal die Woche. Es hat nie irgendeine Beschwerde gegeben; ich habe der Stadt viele Tausend Euro Standgebühren entrichtet, und auch jetzt, für 2023 im Voraus, fast drei Tausend Euro überwiesen – aber dass ich da jetzt einen Computer kaufen muss, den ganzen Kram mit Internet und so alles lernen soll, und dass die dann jedes Jahr so einen dreiseitigen Fragebogen von mir ausgefüllt haben wollen, jedes Jahr neu  – nä! Diesen Striptease mache ich nicht mit.“

Jupp hat  neben seinem Kleintransporter gestanden und herausfordernd gelacht. Nein, seinen Stand hat er nicht aufgebaut. Er hat aus dem Wagen heraus verkauft. Sehr umständlich. Er musste die Kisten hin und herräumen, immer wieder rein und raus aus dem Wagen – aber er hat verkauft, und vor allem hat er allen seinen Kunden die Lage erklärt. Kämpferisch. „Was soll das?“ fragte er mehr als ein Mal.

Die meisten Kunden haben sich auf seine Seite geschlagen, gegen die Stadt und ihre „ausufernde Bürokratie“! Manche sprachen davon, dass man die Presse einschalten müsste, oder besser noch das Fernsehen. Sie wollten natürlich ihr liebgewonnenes Obst und Gemüse nicht missen.

„Dann können wir auch direkt zum Discounter gehen,“ befand einer, der möglicherweise schon weiter gedacht hatte. Ordnung muss ja sein. Ordnung muss durchgesetzt werden.

Heute, Mittwoch, war Jupp zum ersten Mal nicht auf dem Wochenmarkt, weder mit seinem Stand noch mit dem umfunktionierten Lieferwagen.  Dafür stand ein Polizeiwagen da mit zwei Beamten, die ein waches Auge auf das Geschehen hatten. Ja, die Ordnungshüter in Alarmbereitschaft.  Jupp F. hätte ja erscheinen und eine Ordnungswidrigkeit begehen können.

Wer auch immer bei der Stadt in dieser Form für Ordnung gesorgt hat: Er hat jemanden aussortiert, der wohl zu rebellisch geblieben war für unsere angepassten Zeiten.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (01.02.23, 23:19)
Das breitet sich jetzt allenthalben aus: undigitalisiert bist du aufgeschmissen, hast du die Arschkarte. Ein 49-Euro-Ticket bekommt Jupp dann auch nicht, denn das gibt es nur aufs Smartphone.
Toll ist es, wenn das mit Energieersparnis (weil papierlos) begründet wird. Energieersparnis für wen? Schließlich fressen Computer und Smartphones Strom ... auf seiten des Verbrauchers.

 eiskimo meinte dazu am 02.02.23 um 09:34:
Da sagst Du was!

 AchterZwerg (02.02.23, 07:33)
Mir gehen diese Vergewaltigungen schon seit Jahren auf die Eierstöcke!
Ich saach nur "Onlinekonten" ...

 eiskimo antwortete darauf am 02.02.23 um 09:40:
Wieder Be-Geisterung... Ich lerne gerade zum dritten Male um, von TAN-Listen (Papier) auf so einen launischen TAN-Generator und jetzt aufs Smartphone.
Wenn sie verlangen, dass wir auf einem Bein stehend Kikeriki rufen, werden wir das auch tun...
LG
Eiskimo

 Quoth (02.02.23, 09:16)
Hallo eiskimo, millionenfach tritt dies Problem jetzt auf im Zusammenhang mit den Anträgen zur Grundsteuerreform. Wer ist hier Hausbesitzer? Antrag fristgerecht gestellt?

Andererseits: In Estland hätte Jupp K. kein Problem. Da hätte er sich schon vor 20 Jahren an die Digitalisierung gewöhnt.

Und schließlich: Nach vierzig Jahren Marktbeschickung hätte Jupp K. es verdient, sich aufs Altenteil zurückziehen zu dürfen.

Schöner Text zum Thema "Zeitenwende"! Gruß Quoth

 eiskimo schrieb daraufhin am 02.02.23 um 09:34:
Danke für den einfühlsamen Kommentar - so viel Verständnis hätte ich gerne von den städtischen Beamten erwartet. Aber die "walten ihres Amtes", und so wird es auf unserem Wochenmarkt einen Stand weniger geben. Leider wird es der sein, mit dessen Betreiber ich manch schönes Viertelstünchen plaudern konnte. Über Gott und die Welt. Von den Kartoffeln "Sieglinde" ganz zu schweigen, die es nur bei Jupp in dieser Qualität noch gab.
LG
Eiskimo

 TassoTuwas (02.02.23, 11:51)
Darf Jupp nicht mehr auf den Markt, könnten die Leute doch zum Jupp fahren.
Wie wäre es mit einem Hofladen?

Die Digitalisierung tut den Menschen nicht gut, meine Meinung!

LG TT

 eiskimo äußerte darauf am 02.02.23 um 12:59:
Auf den Hofladen wird es wohl hinauslaufen, wobei: Der liegt sicher nicht so dicht bei der Kundschaft.
Das die Digitalisierung (plus demnächst immer mehr KI) voller Tücken steckt, merken wir peu à peu. Wer durchschaut denn wirklich, was da (mit einem) passiert? Was droht bei Stromausfall, bei (noch mehr) Tricksereien durch Hacker? Zu welchen Zwecken dienen unsere gesammelten Daten?
Cave canem! fällt mir dazu nur ein.
LG
Eiskimo

 tulpenrot (06.03.23, 06:08)
Ich mag solche Markt-Leute wie Jupp und hätte ihm angeboten, die Computerarbeit für ihn zu machen, es geht aber leider entfernungstechnisch nicht. Es ist wirklich schade, wenn es seinen Marktstand nun nicht mehr gibt. Aber es ist gut, wenn ihm solch ein Text gewidmet wurde
Traurige Grüße
tulpenrot

 eiskimo ergänzte dazu am 06.03.23 um 08:02:
Danke für die Grüße. Ich halte auch weiter zu Jupp, und Jupp ist ein sturer Kopf, ein bisschen wie Michael Kohlhaas. Das heißt: Er verkauft weiter "illegal" aus seinem Transporter, stellt sich einfach neben den Markt irgendwo auf die Straße. Zweimal musste er schon das Feld räumen, 60€ Strafe...
Das Pikante an der Sache: Die Leiterin des Marktamtes, die, so heißt es, "durchgreifen" will, ist eine Grüne...
LG
Eiskimo
kipper (34) meinte dazu am 06.03.23 um 10:24:
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 eiskimo meinte dazu am 06.03.23 um 11:26:
Aus der Warte der Steuerprüfer betrachtet, hast Du wahrscheinlich Recht. Ich sehe es als Kunde... nicht ganz so heiter
Eiskimo

 tulpenrot meinte dazu am 06.03.23 um 11:59:
@kipper
Es geht doch gar nicht um Steuerhinterziehung! Jupp hat seine Steuern schon längst im Voraus bezahlt!
Zitat 

„Seit über 40 Jahren stehe ich hier zweimal die Woche. Es hat nie irgendeine Beschwerde gegeben; ich habe der Stadt viele Tausend Euro Standgebühren entrichtet, und auch jetzt, für 2023 im Voraus, fast drei Tausend Euro überwiesen – aber dass ich da jetzt einen Computer kaufen muss, den ganzen Kram mit Internet und so alles lernen soll, und dass die dann jedes Jahr so einen dreiseitigen Fragebogen von mir ausgefüllt haben wollen, jedes Jahr neu  – nä! Diesen Striptease mache ich nicht mit.“
Bitte in aller Heiterkeit korrekt lesen! 

tulpenrot
kipper (34) meinte dazu am 06.03.23 um 15:45:
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 06.03.23 um 15:59:
Marktordnung und Standgebühren werden in Deutschland von den jeweiligen Städten und Gemeinden festgelegt.
Wer etwas anderes behauptet, irrt.
kipper (34) meinte dazu am 06.03.23 um 17:28:
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