Kriegsrhetorik

Glosse zum Thema Erschöpfung/ Müdigkeit

von  eiskimo

Nein, nicht Baudelaire, Bachmann, Benn, Erneau, Handke, Kästner, Strout, Brecht, Mantel, Rowling oder Murakami sind die Namen, die in diesem als literarisch firmierenden Forum die Beiträge bestimmen.

Viel brisanter wirken vielmehr die Wagenknechts, Höckes, Putins, Söders, Selenskyis, Macrons, Erlers, Trumps, Merz oder Orbans. Die werden hoch- und niederzitiert. Bekenntnislyrik ist angesagt. Und Besserwisserei. Dass Frieden doch ganz einfach wäre, wenn, ja wenn ...Aber man weiß ja, wie gehirngewaschen der andere ist. Opfer infamer Propaganda. Nachplapperer von gezielter Desinformation. Unbelehrbar....

Und deswegen bleibt es bei persönlichen Anfeindungen. Meist sehr langatmigen. Vor allem fruchtlosen. Verbaler Stellungskrieg, so könnte man das Ganze nennen. Die Kriegsrhetorik färbt längst schon ab.

Für ein Literaturforum eine bemerkenswerte Entwicklung. Eher unerfreulich, wenn immer wieder die Vokabel Angst im Fronteinsatz ist.

Wobei: Es könnte eine Trotzreaktion geben und verstärktes Verlangen nach wirklich guter Literatur. Nach Persönlichkeiten, die etwas zu sagen haben. Und offener Diskussion.

Für die weiter verbal Scharmützelnden könnte man ja eine Rubrik einrichten „endlich die Wahrheit“ oder „Nur WIR entlarven wirklich“





Anmerkung von eiskimo:

Ich habe den Fehler gemacht, mich in einer dieser Tiraden kurz zu Wort zu melden … mit der völlig falschen Sicht der Lage. Trommelfeuer, sage ich nur...

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Kommentare zu diesem Text


 Saira (19.09.25, 17:56)
Hallo eiskimo,

das Thema „Erschöpfung/ Müdigkeit“ ist nicht nur Erschöpfung, sondern auch eine Ohnmacht angesichts der immer lauter werdenden rechtsextremen Stimmen. Und die Kriegsrhetorik, die du anprangerst, ist längst nicht mehr nur Metapher, sondern Ausdruck einer gefährlichen Entwicklung.
 
Traurige Grüße
Saira

 eiskimo meinte dazu am 19.09.25 um 20:13:
Danke, liebe Saira, für Deinen Kommentar und die Ausweitung auf "Ohnmacht"...
Ich will das Feld 
trotzdem nicht einfach räumen. Auch Ironie und leiser Spott sind manchmal hilfreich.
LG
Eiskimo

 Graeculus (19.09.25, 23:51)
Es herrscht Krieg in Europa; daß das Spuren im Denken der Menschen, auch bei kV, hinterläßt, überrascht mich nicht.
Aber daß immer mehr Menschen in Echokammern leben und nicht mehr mit Andersdenkenden kommunizieren können, ohne persönlich herabsetzend zu werden, also daß man Meinungsverschiedenheiten nicht mehr sachlich diskutieren kann, das ist nochmal eine Sache für sich ... und vermutlich auch nicht allein durch den Krieg zu erklären.

Wenn man sieht, was derzeit in Deinem geliebten Frankreich passiert, ist das schon schrecklich. Es läßt ahnen, daß die Demokratie an ihre Grenzen stößt. Dort ebenso wie hier ... und noch an vielen Orten der Welt.

Ich weiß nicht, was dagegen zu tun ist; aber in den Eskapismus einer Blümchendichtung auszuweichen, erscheint mir nicht zufriedenstellend.
Was können die großen literarischen Autoren, die Du erwähnst, uns in dieser Situation noch sagen?

 Saudade antwortete darauf am 20.09.25 um 00:03:
einer Blümchendichtung auszuweichen
Bist du nicht jetzt etwas unfair? "Normale Zeilen" werden permanent in so ein Eck geschoben und das ist nicht fair. Es wird seit je her alles Mögliche geschrieben. 

Nein, ich erachte es nicht für sinnvoll, wenn man eh schon weiß, dass das Gegenüber stur verharrt, ebenso stur seinen Standpunkt vertritt. So krachen dann zwei Stierköpfe aneinander und weil keiner abweicht, hagelt es dann persönliche Beleidigungen, Kriegsrhetorik und manchmal auch Nazijargon, leider.

 Graeculus schrieb daraufhin am 20.09.25 um 00:14:
Mit "Blümchendichtung" - zugegeben, ein polemischer Begriff - meine ich eine Literatur, die das, was derzeit in der Welt geschieht, verdrängt. Eskapismus halt. Das mag eine verständliche Reaktion sein, eine Flucht in die Idylle, aber es ist nicht meine Art der Reaktion. Mehr als das habe ich weder geschrieben noch gemeint. Demokratie, soll sie denn gelingen, erfordert politisch denkende Menschen, denke ich. 
Daß man sich von morgens bis abends nur mit Politik befaßt und nicht auch einmal mit etwas Schönem, ist nicht meine Ansicht. Also: ich meinte Menschen, die sich komplett in ihren Garten, ihr Privatleben, ihre Träume zurückziehen.
Das ist mir einfach fremd. 

Ich weiß nicht, ob ich eiskimo mißverstehe, aber ich habe den Eindruck daß er von politischen Texten vs. "wirklich gute Literatur" ausgeht. Und dann nennt er Brecht und Kästner als Heroen! Auch Handke ist ja nun alles andere als unpolitisch.
Doch vielleicht verstehe ich eiskimo falsch.

 Saudade äußerte darauf am 20.09.25 um 00:16:
Ja, mag sein, jedoch, mein zweites Geschriebenes sollte wahrlich auch gedacht werden...

 Graeculus ergänzte dazu am 20.09.25 um 00:20:
Ja, das sind die erwähnten Echokammern, innerhalb derer man sich auf die Schulter klopft und zwischen denen eine eigene Art von Krieg stattfindet.
Furchtbar. Trostlos.

 Saudade meinte dazu am 20.09.25 um 00:22:
Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin... Zitat wird ja jedem zugeschoben. Denk darüber nach.

 Graeculus meinte dazu am 20.09.25 um 00:28:
Es gibt zweierlei, was mich - eigentlich ein Pazifist - von der Kriegsenthaltung abhält:
1. die Angegriffenen, die Opfer
2. "Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit". Die Wahrheit gilt mir viel. Es ist die Propaganda, die mich aufregt, der grassierende Bullshit.

Anders ausgedrückt: Ich bekomme die österreichische Neutralität nicht hin.

 Saudade meinte dazu am 20.09.25 um 00:30:
Seufz. Dann wird es immer Krieg geben.
Die Propaganda- wäh- aber du änderst nichts. Das muss dir doch schon aufgefallen sein. :D

Antwort geändert am 20.09.2025 um 00:32 Uhr

 DanceWith1Life meinte dazu am 20.09.25 um 00:30:
Interessante Ansätze finde ich hier, im Text und in den Kommentaren. Gestern als ich nachts losmusste, gab es plötzlich Sirenen, um 0100x und das übliche, ah Probesalarm brauchte ein geschlagene halbe Minute länger, bis der gewohnte Betriebsmodus der Nachtschicht wieder hergestellt war, also in dem Betriebsystem das ich unter normalen Umständen meinen Kopf, oder meine Gedanken nenne. Das machte mich doch ein wenig stutzig, muss jetzt leider los und später weiter schreiben

 Graeculus meinte dazu am 20.09.25 um 00:39:
Die Propaganda - wäh- aber du änderst nichts. Das muss dir doch schon aufgefallen sein.


Versteht sich, ich werde solch eine Mauer nicht mit dem Kopf einrennen, wenn ich tatsächlich nicht die Kraft dazu habe, aber ich werde mich mit ihr doch nicht aussöhnen, bloß weil es eine Mauer ist und meine Kraft nicht ausreicht.

[F. M. Dostojewskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund]

 Saudade meinte dazu am 20.09.25 um 01:05:
Sagt ja keiner. ;) Rest weißt du...

 DanceWith1Life meinte dazu am 20.09.25 um 01:31:
Ich denke, ich bin nicht der einzige der solche subtilen Veränderungen erlebt und wir konnten ja während Corona schon beobachten, wie absurd Verunsicherung kompensiert wird, ich gehe davon aus, dass seinen Frieden finden Toppriorität hat, und den finden wir weder in politischen Diskussionen, noch in Kriegsberichterstattung und gute Literatur kann dabei schon helfen, sofern sie es schafft, die Verzerrungen die eine solche Situation zwangsweise mit sich bringt zu klären.

 dubdidu meinte dazu am 20.09.25 um 08:45:
Guter Beitrag, Dance, und: gute Literatur, die es in Fülle gibt, beschäftigt sich ja nicht mit diesen austauschbaren Figuren aus dem Text, sondern (auf höchst unterschiedliche Weise) mit den Menschen und wovon sie sich leiten lassen (können); ich würde soweit gehen, zu behaupten, dass das Sich-an-Propaganda-Nähren selbst ein Eskapismus ist. Flucht, nicht auf die Blumenwiese oder ins beschauliche Tal, sondern unter die gepanzerten Fittiche eines Oberbefehlshabers, der keine Differenzierung zulässt und allein durch den Konsum seiner Grandiosität Teilhabe daran verspricht. Und: so wenig es hilft, mit Leuten, die andere Menschen als Insekten und deren Gedanke als Rotz bezeichnen, sachlich diskutueren zu wollen, so wenig hilft es, gegenwärtige Bewegungen zu ignorieren oder kleinreden oder einhegen zu wollen. Denn ein anderer Spruch könnte lauten: "Stell dir vor, du wachst auf und es ist Krieg" Tausendmal passiert.

 eiskimo meinte dazu am 20.09.25 um 12:42:
@ alle
Ich muss hier, denke ich, keinem in Erinnerung rufen, wie bereichernd gute Literatur ist. 
Die von mir eingangs genannten Autorinnen/Autoren sind rein willkürlich zusammengestellt - wahrscheinlich gibt es noch viel wichtigere.
Für mich sind sie jedenfalls im besten Sinne Augenöffner. 
Sie helfen, die Dinge, meine Mitmenschen und mich selbst neu und mit Abstand zu betrachten - ein erster Schritt zu Respekt und Großzügigkeit.
Hetze kann da eigentlich schlecht gedeihen, eher Entspanntheit und Lust auf Positives.

 dubdidu meinte dazu am 20.09.25 um 12:58:
Ja, Augenöffner, Wegweiser- und begleiter, Händchenhalter, Zum-Lachen-Weinen-Wundern-Selbermachen-Anreger.
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