Zukünfte grammatikalisch

Erörterung zum Thema Sprache/ Sprachen

von  loslosch

Futurum exactum (bildungssprachlich) heißt der lateinische Fachausdruck für das vollendete Futur, auch Futur II genannt. Es war immer schon ein Folterinstrument für die Latein-Adepten. Die verbale Umschreibung des Gemeinten würde den Lesegenuss ungemein mindern. Lieber das konkrete Beispiel:

Wenn ich meinen Schirm verloren haben werde, werde ich mich ärgern.

Ach so, erst muss die Bedingung für das Ärgernis eingetreten sein (vollendetes Futur), bevor ich mich ärgern kann (einfaches Futur). So erklärte es die routinierte Lateinlehrerin (mit den weiteren Lehrfächern Französisch und Englisch!) den 12-Jährigen anno 1953. Und setzte noch hinzu: So spricht Gott sei dank niemand. Aber kennen müsst ihr es trotzdem. So etwas aussprechen kann man, durchaus zeitgemäß, schon, etwa so:

Sollte ich mal meinen Schirm verlieren, so ist (bei mir) der Ärger groß.

Bereits das einfache Futur vermag dem Gebüldeten einiges abzuverlangen. Mustersatz: Morgen wird Marion gegen 16:30 Uhr eintreffen. Aussagen, die bereits einen klaren Zukunftsbezug aufweisen, benötigen aber keine zusätzliche Kennzeichnung der Zukunft im Verb, sie sind aus sprachökonomischen Gründen unnötig. Die eigentliche Zukunftsform der deutschen Sprache ist das Präsens, wie hier im Mustersatz, also:

Marion trifft morgen gegen 16:30 Uhr ein.

Basta. Gelegentlich mag allerdings eine gewisse Redundanz der Information (mündlich, nicht schriftlich) angeraten sein, um Hörfehler zu vermeiden. Im Futur Passiv klingt die deutsche Sprache sogar leicht schwülstig, wie hier: Morgen wird die Ernte eingefahren werden. Hört sich gestelzt an. Warum nicht "Morgen wird die Ernte eingefahren"? Eine gute Alternative ist: "Morgen soll die Ernte eingefahren werden" (als Ausdruck der Planungsunsicherheit). Der Römer im Kapitol mag so gesprochen haben, geschliffen, fein. Kaum hatte er es verlassen, redete er, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Aber wer weiß das schon so genau? Es gibt ja keine Tonbandaufzeichnungen.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (19.09.10)
Das ist ein sehr schöner Sonder-Latino!
Es ließe sich auch mal reflektieren:

Ich wollte das schon längst getan haben. (Ein beliebter rheinischer Verbalkomplex.)

Auch:

Ich will (wollte) das morgen gemacht haben.

Ob derlei im Lateinischen formulierbar war?
Die deutsche Sprache ist wunderbar biegsam.

 loslosch meinte dazu am 19.09.10:
Lo nach dem Netzstöbern: Futur I (einfache Zukunft), (meist) in der gesprochenenen Sprache.

a) Vorschau in der Vergangenheit:
„Kolumbus entdeckt 1492 Amerika. Er wird lange Zeit glauben, dass er einen neuen Seeweg nach Indien entdeckt habe [oder hat].“

b) Modal (Vermutung): "Das wird schon seine Richtigkeit haben."
(Aufforderung): "Du wirst alles aufessen!"

Futur II (vollendete Zukunft), fast nur modal (Vermutung): "Wo ist Robert?" - "Er wird schon gegangen sein."

Das machen wir (alle!) intuitiv richtig, Uli. Der gewitzte rheinländische Schüler sagt wohl in seiner Not: Ich will das morgen gemacht haben. Ein wunderschönes Versprechen.

Der Römer sah schon eine Nähe zwischen Zukunft und Modalform. 1. Person, Singular, kons. Konj.: legam = legam (ich würde oder werde oder will lesen). Boah, mehr weiß ich aus dem Effeff nicht. Lo

 Bergmann antwortete darauf am 19.09.10:
Reicht ja. Hilfe! Genug!
Graeculus (69)
(14.04.15)
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 loslosch schrieb daraufhin am 14.04.15:
nö, bedauern wir nicht.

uli bergmann war übrigens paar wochen in tsingtau, einer kleinen millionenstadt mit 5 mio einwohnern, gab dort studenten eine einführung in die deutsche literatur, nahm vorher privaten chinesisch-unterricht und will ein büchlein herausbringen mit übersetzter chin. lyrik.

mail ihm doch mal!
Hannahlulu (18)
(27.01.16)
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 loslosch äußerte darauf am 27.01.16:
jaaa. gut so!
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