Ich nahm ein Bild von meiner Mutter, auf dem sie blühend aussah und steckte es in meine Brieftasche. Ihr Enkelkind würde sie nicht mehr kennenlernen. Die Wahrheit lag bei mir.
Ich würde gewappnet sein, und ich würde nicht klein bei geben. Warum auch? Vater hatte alles kaputt gemacht, nicht ich. Warum fühlte ich mich dann so klein?
Das Taxi hielt vor dem Haus. Der Taxifahrer reichte mir meine Tasche an, ich verhedderte mich beim Aussteigen mit meiner Jacke an der Wagentür und riss so ein Loch hinein. Unordentlich sah ich aus.
Am Fenster der Diele tauchte Vaters Kopf auf, und als ich mich der Haustür näherte, machte Vater sich gerade an der Tür zu schaffen. Er schloss von außen die Tür auf, und da stand er plötzlich vor mir. Vater zuckte zusammen, als er mich sah. Ich streckte ihm eine rechte Hand entgegen, doch er nahm sie nicht, sondern sagte nur barsch: "Guten Tag." und schlurfte mit seinen Schuhen ins Wohnzimmer. Er bot mir keinen Platz an, so dass ich ihn fragte, ob ich mich setzen könne. Er deutete mit dem Kopf in Richtung Sofa. Ich zog meinen Mantel aus, legte ihn seitlich über die Sofalehne und setzte mich.
Auf dem Tisch standen zwei Dosen Mineralwasser und eine angebrochene Packung mit Plätzchen. Gläser oder Geschirr waren nicht gedeckt.
Vater wusste, wie eine angemessene Bewirtung aussehen musste. Er war in gehobenen Verhältnissen aufgewachsen und legte Wert auf Etikette. Ich fragte ihn, ob ich ihm beim Kaffeekochen helfen könnte, doch er murmelte etwas von einem defekten Herd. Dann setzte er sich auf den großen Ohrensessel, der gegenüber dem Kamin stand. Immer. So musste er mir nicht in die Augen schauen. Wie immer.
Von seinen Gewohnheiten wich er so gut wie nie ab, deshalb wunderte ich mich, dass er nichts vorbereitet hatte.
Ein Lob über seine blühenden Forsythien nahm er gleichgültig entgegen. Meine Frage nach dem Zustand seines Insektariums beantwortete er nicht.
"Vater, ich komme, um dir etwas Wichtiges mitzuteilen.", sprach ich ihn an.
"Was?", fragte er abwesend.
"Vater, ich erwarte ein Kind. Es wird ein Junge werden. Ich will, dass er dich kennenlernst. Er soll einen Großvater haben.", sprach ich weiter.
"Großvater!", wiederholte er. " Großvater. Mein Großvater war nicht da. Was ist ein Großvater? Was soll das?"
Ich erinnerte mich, dass die Familie des Vaters umgezogen war, als er noch ein kleiner Junge war. Die Großeltern blieben zurück, und es bestand kaum ein Kontakt.
"Willst du Paul, meinem Kind, ein Großvater sein?", fragte ich ihn.
"Opa.", sagte er dann verächtlich.
"Opa wird das Kind mich rufen, und es wird etwas Unordentliches und Unruhiges damit verbunden sein, mit diesem Wesen zu tun zu haben. Und wer bringt das alles dann in Ordnung?"
Ordnung und Disziplin waren Freunde, die stets im Gehirn meines Vaters hausten, und das ganze Arsenal seiner inneren Begleiter würde mein Kind und mich natürlich auch begleiten. Wollte ich das?
Doch konnte er nicht auch so etwas wie Herz zeigen?
Hatte er das kalte Herz durch einen Deal bekommen? Und wer hatte mit ihm gedealt? Und zu welchem Preis? Zu meinem Vater fiel mir doch noch etwas ein, obwohl ich lange glaubte, dass Verbitterung und Ärger auf beiden Seiten einen Kontakt unmöglich machten.
Ich brach innerlich auf, und ich wollte jetzt das Herz des Vaters.
"Ein hehres Ziel!", giftete Katrin später, als ich sie anrief. "Lass die Finger davon!"
"Ich will die Operation am offenen Herzen!", sagte ich, doch da hatte sie schon aufgelegt.
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Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass nur hoch spezialisierte Kardiologen eine Operation am offenen Herzen durchführen sollten. Im vorliegenden Fall allerdings könnte der Eingriff dieses eine erkaltete Herz gerade dann auftauen, wenn er durch dieses eine Nichts vorgenommen wird.