Ratgeber in Nöten

Fabel zum Thema Schreiben

von  EkkehartMittelberg

Der alte Löwe wollte die Regierungsgeschäfte in die Hände seines Sohnes legen und freute sich auf die Zeit der Muße, in der er endlich über seine Erfahrungen als Herrscher schreiben konnte. Er hatte viel erlebt und meinte, Glück und Wohlstand seines Reichs mit Klugheit gemehrt, aber auch vermeidbare Fehler gemacht zu haben. Über beides wollte er berichten, aber so, dass ihn seine Leser bei aller Offenheit für weise hielten. Doch in welchem Genre konnte er seine Erkenntnisse am besten vermitteln, ohne sich angreifbar zu machen? Bevor er sich entscheiden wollte, berief er seinen Thronrat ein.
Der Löwe war dafür bekannt, mit schlechten Ratgebern kurzen Prozess zu machen. Deshalb herrschte langes Schweigen, nachdem er sein Problem verkündet hatte. Der freche Dachs wagte sich als erster aus der Deckung. „Schreibt in doppelbödigen Aphorismen, Durchlaucht. Wenn Ihr falsch verstanden werdet, könnt Ihr Euch auf eine andere Deutungsmöglichkeit zurückziehen.“ Mit undurchschaubarer Miene nahm der Löwe diesen Vorschlag zur Kenntnis. Die sonst so listige Schlange reckte zögerlich ihr Haupt empor und zischelte:  „Ich empfehle euch in Anekdoten zu schreiben, Hochwohlgeboren, diese Erzählform stimmt ihre Leser heiter, und humorvolle Pointen werden nie gegen den Erzähler gewendet. Nach einem sekundenschnellen Lächeln wahrte der Herrscher wieder seine steinerne Miene. Auf langes ängstliches Schweigen verkündete die weise Eule: „Warum solltet Ihr gewagte Experimente eingehen, Serenissimus. Vertraut doch auf die bewährte Form der Memoiren. Sie wurde so oft erfolgreich benutzt, dass man ermitteln kann, wer sie besonders gut beherrschte. Wir alle wissen, dass Ihr als der Feind des Guten es in diesem Genre noch besser machen werdet.“
Der Fuchs hatte sich geduckt und glaubte schon, dass der konservative Herrscher jetzt seine Entscheidung treffen würde.  Als dieser ihn um seine Meinung fragte, schlug dem alten Schlaumeister das Herz bis zum Halse: „Ich weiß, dass Ihr Eure Entscheidung längst getroffen habt, Klügster aller Weisen. Wer bin ich, Euren göttlichen Ratschluss zu erahnen? Ja, die Memoiren haben sich bewährt, aber was hindert Euch daran, sie mit Anekdoten aufzuheitern und mit geistreichen Aphorismen zu würzen?“
Jetzt lächelte der Herrscher über das ganze Gesicht und befahl dem Fuchs, einige Stichwörter von ihm entgegenzunehmen und mit dem ersten Kapitel der Memoiren des Serenissimus zu beginnen.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (29.11.18)
Jemandem das zu sagen, was er hören will, ist einfach. Eine Kunst ist es hingegen, jemandem das zu sagen, was er hören will, bevor der überhaupt weiß, dass er es hören will.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Ha,ha,ha, das ist gut. Ob man das auf Diplomatenschulen lernen kann? Merci.
Sätzer (77)
(29.11.18)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 29.11.18:
Danke, das freut mich. dieses Getue kann sehr gefährlich sein.
LG
Ekki
fdöobsah (54)
(29.11.18)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 29.11.18:
Hallo fdöobsah, ich vermute, dass du wie zu Äsops Zeiten in Fabeln nur dann Tiere, Pflanzen etc. als Handelnde sehen möchtest, wenn Menschen als solche in Gefahr wären. Ich denke, schon Lessing sah das weniger streng. Mit Tieren als Akteuren liest es sich einfach amüsanter.
Sei dem, wie ihm wolle, ich freue mich über deine Empfehlung.
Gruß mit Götterfunken
Ekki
Echo (34)
(29.11.18)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.11.18:
Grazie, das trifft es genau.

 AZU20 (29.11.18)
Ja, so findet man seinen Ghostwriter. Weiser Serenissimus. LG

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 29.11.18:
Danke, Armin, der sitzt auf einem heißen Stuhl. Ich möchte in seiner Haut nicht stecken.
LG
Ekki

 Didi.Costaire (29.11.18)
Ja, lieber Ekki, so fügt sich vieles zusammen. Ich hätte es ganz ähnlich gemacht, vielleicht auch in Form einer fabelhaft geschüttelten Ekloge, z.B. jener


Vom lausigen Hirten

Bedächtig sprach die Laus zu Schafen,
mal wieder richtig auszuschlafen.


Beste Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Gracias, Didi, solange du in einem thread ek-logierst, schläft der Leser nicht ein.
Beste Grüße zurück
Ekki

 TassoTuwas (29.11.18)
Hallo Ekki,
schönes Beispiel wie man sich aus der Not heraus windet,
Die Kunst ist, es darf nicht so plump sein, dass es den Verdacht der Majestät erregt, aber Eitelkeit lässt vieles zu!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Merci, Tasso, es ist eine interessante Frage, wann narzisstischen Herrschern die Schmeichelei zu viel wird. So gerne sie sie hören, dann wird es für den Schmeichler gefährlich.
Herzliche Grüße
Ekki
Piroschka (55)
(29.11.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Grazie, Liebe Petra, ich vermute, dass du auf Selbstkritik anspielst. Sie darf ja auch im Stillen stattfinden. Wenn man sie laut in Form von Selbstironie äußert, ist das gewagt. Mir hat man schon meine Selbstironie um die Ohren gehauen. Da hatte ich mein Fett und konnte mich nicht wehren, denn ich hatte es ja selbst gesagt.
Ebenso herzlich
Ekki
Piroschka (55) meinte dazu am 29.11.18:
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 Habakuk (29.11.18)
Ich versuche mich gerade daran, schwarze Zahlen zu schreiben, was ungereimt und prosaisch erscheinen mag, aber durchaus fabelhaft ist. Falls ich das erfolgreich hinter mich gebracht haben sollte, probiere ich es mit der roten Null.
Wenn dann noch Zeit ist, nehme ich meine Memoiren in Angriff. Dann schreibe ich mal einen Aphorismus ähnlich diesem: Mein schriftstellerisches Leben war ein einziger Desiderativsatz, dem stets das Subjekt und Prädikat fehlten. Bis dahin dürfte selbst kV samt seinen Serenissimi endgültig zur Anekdote geworden sein und ich gebe den Schreiber-Löffel ab im Bett und hauche formvollendet letztmals aus. Mit einem Sonett selbstredend.
Und bitte, Ekki, wegen meiner Empfehlung keinen Kotau machen, nicht überschlagen.

BG
H.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Lieber Habakuk, Kotau hin, Kotau her, es muss aber gesagt werden dürfen, dass du in deinem schriftstellerischen Leben eine amüsante Form wahrst.
In diesem Sinne möchte ich über allen Wipfeln noch manchen formvollendeten Hauch von dir spüren.
BG
Ekki
Dieter Wal (58)
(29.11.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Meinst du nicht, dass die Ratgeber von Trump zum Beispiel ebenfalls in Nöten sind? Freilich gibt es sogenannte Demokraten, die fatal an Monarchen erinnern.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 29.11.18:
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 GastIltis (29.11.18)
Hallo Ekki, ich musste den Text, infolge eines anderen Beitrages, der mich so mitgenommen hat, zweimal lesen. Nun habe ich ihn begriffen, stehe aber trotzdem noch unter dem Schock des anderen. Insofern haben mich Nuancen deiner Fabel zwar erreicht, emotional bin ich aber, wie es Dieter Wal formuliert, sehr weit von der Monarchie und hierarchischen Gepflogenheiten entfernt.
Dennoch: wer das von anderen bekommt, was er haben möchte, ohne sich selbst bemühen zu müssen, ist fein raus. LG von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.18:
Merci, Gil, ich kann mich nur wiederholen: In den USA gebärdet sich gerade der wichtigste Staatsmann unserer Zeit wie ein Monarch. Ich weiß es aber zu schätzen, dass du den Text trotz deines Vorbehalts empfehlen hast.
LG
Ekki
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