Ein Schreibtisch erzählt

Erzählung zum Thema Schreiben

von  EkkehartMittelberg

Ich begleite ihn mehr als ein halbes Menschenleben. Als er mich kaufte, hatte es ihm meine antike Gestaltung, die dem Schönheitsideal der Renaissance entspricht, angetan. Ich wusste sofort, dass er mich hoch schätzte und dass die alte Liebe nicht rosten würde. Ich wurde nicht enttäuscht, denn er verbringt jeden Tat mehrere Stunden mit mir, da ich seinen Computer trage.

Ich gestehe, dass auch ich ihn liebe und  dass ich sehr anhänglich bin, denn ich möchte, dass seine alte Zuneigung zu mir erhalten bleibt. Aber ich werde seiner Wertschätzung immer wieder versichert, denn bevor er sich setzt, gleitet sein zärtlicher Blick über mich hin.

Ich glaube, dass nur wenige Menschen ihn so gut kennen wie ich, widmet er mir doch einen großen Teil seiner Zeit. Es ist interessant, seine Mimik zu beobachten, wenn er die Beiträge von KeinVerlag liest. Ich weiß aus Gesprächen mit seiner Frau, dass diese seine erste Lektüre nach dem Frühstück sind. Meistens blickt er dabei gut gelaunt, aber zuweilen verfinstert sich seine Stirn und einmal hat er zornig mit der Faust auf meine Platte geschlagen. Doch er bleibt nicht lange heftigen Emotionen verhaftet, schon bald blickt er wieder milde auf die Mattscheibe. Manchmal fällt er mir ein wenig zur Last, wenn er neue Texte verfasst. Dann stützt er sich mit beiden Ellenbogen auf mich und schaut sinnierend in die Ferne. Aber ich sage mir: Solange seine Arme auf mir ruhen, bleibt er mir treu. Die Spitzfindigen von Ihnen, liebe Leser, werden jetzt sagen, nicht mir, sondern dem Computer. Aber wo wäre der, wenn ich ihn nicht ertrüge.

Ich kenne inzwischen auch die Mischpoke meines Besitzers, von der er einige Bilder auf meine Fläche gestellt hat. Ich liebe sie bald so wie ihn und ich freue mich auch über die schönen Paperweights, mit denen er mich verziert hat. Ich hoffe, dass das Schicksal mir den alten Zausel noch lange erhält. Ohne ihn wäre es doch arg langweilig, denn des Schreibtisches höchstes Studium ist der Mensch.

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Kommentare zu diesem Text


 AvaLiam (17.11.20)
Geschätzter Ekki,

auch ich hoffe, dass uns der alte Zausel noch lange erhalten bleibt.
Gern möchte ich ihn und seine Geschichten noch besser kennenlernen.
Kaum vorstellbar für mich, dass sein Blick faustgeballt alle Freundlichkeit, Wärme und Güte verlieren kann.

Ich wünsche beiden noch eine gute, lange Zeit miteinander und dass in ihrer Verbundenheit noch einige Geschichten entstehen, die wir hier - in KV - lesen dürfen.

Liebe Grüße - Andrea

 monalisa meinte dazu am 17.11.20:
Was den "alten Zausel" betrifft, schließe ich mich gern Ava an, ganz persönlich für mich, aber auch hier auf KV ist er nicht wegzudenken!

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 17.11.20:
Vielen Dank für eure guten Wünsche, Andrea und Mona. Ich bin in einer Hinsicht ein abergläubischer Mensch. Ich glaube nämlich, dass aufrichtige gute Wünsche, die mich begleiten, in mir Kräfte freisetzen, die in Verbindung mit vernünftiger medizinischer Betreuung Krankheiten aler Art weniger Angriffsfläche bieten.
Liebe Grüße
euch beiden

 TrekanBelluvitsh (17.11.20)
Natürlich darf ein Schreibtisch denken, was er mag. Solange er nur keine Einzelheiten preigibt.
;-)

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 17.11.20:
Danke Trekan, ich hoffe, dass er gut erzogen ist. Jedenfalls hat er sich gut gemerkt, dass ich einmal drauf gehauen habe.

 monalisa (17.11.20)
Lieber "Zausel"-Ekki,

du hast, glaube ich ziemliches Glück mit deinem Schreibtisch! Und wir hier wohl auch, dass er uns so intime Einblicke in eure von Schreiben, Lesen, Kommentieren geprägte Beziehung gewährt. Schön, dich da größtenteils gut gelaunt und ausgeglichen zu wissen.

Liebe Grüße
mona

Kommentar geändert am 17.11.2020 um 08:05 Uhr

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 17.11.20:
Grazie, Mona, das mit dem Glück kann man wohl sagen. Aber Dinge verhalten sich nicht anders als Menschen. Sie geben nur dann etwas her, wenn sie sich geliebt fühlen.
Liebe Grüße
Ekki

 harzgebirgler (17.11.20)
ich schreibe gern am sekretär -
der hält die klappe auch je mehr
ihm ich dann mit dem stehpult droh'
schreibend dran gerne ebenso.

lg
henning

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 17.11.20:
Merci, Henning, uns verbindet die Achtung vor den Dingen. Du schreibst gerne am Stehpult und ich stehe auf meinem Schreibtisch.
LG
Ekki
Al-Badri_Sigrun (61)
(17.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Grazie, Sigi, mir geht es wie dir. Wenn man einen/eine nicht mehr wegdenken kann, fühlt man sich ihr sehr nahe.
Herzlichst
Ekki
Sätzer (77)
(17.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Danke, Uwe, das hast du schön metaphorisch ausgedrückt.
LG
Ekki

 Regina (17.11.20)
Je oller, je besser. Siehst du, in der Renaissance konnten Schreibtische noch sprechen. Das sollen diese IKEA-Gestelle erst einmal lernen. LG Gina

Kommentar geändert am 17.11.2020 um 12:36 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Merci, Gina, was meinst du, wenn wir beide einen Sprachkurs für Ikea-Gestelle anbieten würden, ob man uns aufgrund unserer Seriosität wohl trauen würde? :)
LG
Ekki

 Regina meinte dazu am 17.11.20:
Nein, Genies haben es bei Holzplatten immer schwer.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Ja, da hilft es auch nicht, wenn das Holzauge wachsam ist.
Jo-W. (83)
(17.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Vielen Dank, Jo. Unser Kollege Eichendorff hatte mit seiner "Wünschelrute" ganz recht:
„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.“
LG
Ekki

 Annabell (17.11.20)
Lieber Ekki, es wäre doch gelacht, wenn ich nicht einen klitzekleinen Fehler in Deinem schönen Text finden würde, also bitte korrigieren:
.... ihn liebe, und und dass .... (ein und zu viel).
Einen schönen Tag mit Deinem schlauen Schreibtisch wünscht Dir
Annabell
und bleib gesund!

Kommentar geändert am 17.11.2020 um 11:19 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
hallo Annabell, ich danke dir für deine charmanten Verweise auf Fehler und denke immer: Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.
Liebe Grüße
Ekki

 Graeculus (17.11.20)
Das ist schön, einmal einem so wichtigen Möbelstück das Wort zu verleihen. Mein Pendant grüßt zurück.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Vielen Dank, Graeculus, E. T. A. Hoffmann brachte Automaten zum Reden. Da wäre es doch gelacht, wenn uns das nicht mit Schreibtischen gelingt
Stelzie (55)
(17.11.20)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
So ist es, Kerstin, auch Holz hat Seele, wenn man richtig zu ihm spricht.
Liebe Grüße
Ekki

 Artname (17.11.20)
Neidische Grüße von meinem Bürosessel an deinen Schreibtisch: O Glücklicher, der Du täglich sein Gesicht erträgst, ...
lg

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Spassibo, Artname, sein Gesicht lockt mich täglich. :)
LG
Ekki

 Didi.Costaire (17.11.20)
Hallo Ekki,

es muss schön sein, so einen Schreibtisch zu besitzen. Mit mir redet nur mein alter Holzstuhl am Esstisch bzw. er stöhnt herum. Wahrscheinlich bin ich ihm zu dick geworden.

Liebe Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Merci, Dirk, ...und dennoch tragen leichte Lüfte deine kreativen Texte.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (17.11.20)
Hallo Ekki,
so kann man doch Interessantes über Menschen erfahren, wenn man ihre Möbel erzählen lässt.
Und ausbaufähig zu einer ganzen Reihe von derartigen Geschichten ist das auch noch, schließlich weiß ich, du hast noch mehr Mobiliar
Herzliche Grüße
TT
.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 17.11.20:
Vielen Dank, mein Freund, das mit der Ausbaufähigkeit lasse ich mir nicht zweimal sagen. Aber bitte sieh mir nach, dass ich dann mein Bügelbrett und meine Fußbank nicht benachteiligen darf. :)
Herzliche Grüße
Ekki

 TassoTuwas (17.11.20)
s.o.

Kommentar geändert am 17.11.2020 um 19:56 Uhr

 AchterZwerg (18.11.20)
Lieber Ekki,

schade, dass ich nicht mehr über einen solchen schönen alten Schreibtisch verfüge. - Mein Vater besaß noch einen mit Löwenkopfschnitzereien. Unter seinem (freien) Mittelteil bot sich ein Superversteck für uns Kinder, besonders wenn wir vorzeitig nach Weihnachtsgeschenken Ausschau hielten ...
Der hätte mich aber niemals verpfiffen. Da sind antikr Möbel eigen: Sie lächeln vollholzig und schweigen.

Nostalgische Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.11.20:
Merci, Piccola, mein Schreibtisch meinte soeben, dass ihm deine Charakteristik gefalle.
Liebe Grüße
Ekki

 Moja (26.11.20)
Ein Schreibtisch ist ein Stück Heimat, lieber Ekki, nicht wahr? Meiner hält mir schon 30 Jahre die Treue, er ist mein Lieblingsplatz - und das weiß er zu schätzen. Viermal umgezogen, er bleibt bis zum Ende, versprochen!

Eine wunderbare kleine Geschichte hast Du gezaubert, das wollte ich Dir längst gesagt haben,

herzlichen Gruß
von Schreibtisch zu Schreibtisch,
Moja

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.11.20:
Liebe Moja,
vielen Dank für das schöne Kompliment.
Herzliche Grüße
Ekki

 Dieter_Rotmund (18.12.20)
Ich -ich - ich - ich!
Nee, sorry, das ist einfach schlechter Stil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.12.20:
Du hast sie nicht mehr alle auf dem Christbaum. Das ist das Ich des Schreibtischs, der hier erzählt und hat mit Egomanie und schlechtem Stil überhaupt nichts zu tun.
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