Dharmata - Vom wahren Zustand
Brief zum Thema Wirklichkeit
von LotharAtzert
Du schriebst mir vom Vergleich der Achterbahn mit Anicca und ich, Kind unserer Zeit, fragte sofort, um welche Anicca es gänge.
Inzwischen ist es aufgeklärt: es geht um die drei Daseinsmerkmale Anicca, Anatta und Dukkha, wie es im Theravadabuddhismus heißt und was wir zumeist übersetzen mit Vergänglichkeit, Ichlosigkeit und Leiden.
Im Mahayana, dem so genannten großen Fahrzeug, kommt etwas hinzu. Nun könnte man, und das wird auch überall getan, einwenden, daß wenn Buddha die vollständige Lehre seinen Schülern übertrug, dem nichts mehr hinzuzufügen wäre. Doch dafür gibt es eine einfache Erklärung: das Bewußtsein der Menschheit verändert sich ja auch fortwährend unter dem Einfluß der Vergänglichkeit, bedarf somit nach einer gewissen Zeit periodisch der Anpassung ans Gegenwärtige. Um ein Beispiel zu geben: die kostbaren Lehrer lehren in Amerika auch etwas strenger, als bei uns. Der Zauberer Chögyam Trungpa, so erzählt man heute noch, soll sich in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts eine Zigarette in der Offenbacher Gompa (Andachtsraum) angesteckt haben - was die Kinnladen zum vernehmbaren Herunterklappen brachte, es kam einem Sakrileg, oder angepasst ans Heute einem No Go gleich. Damit riß der Ehrenwerte ein erstes kleines Loch in den Vorstellungskontainer der Anwesenden, die einen heiligen Mann erwarteten. Solche Dinge funktionieren allerdings nur einmal, weswegen von Nachahmung abzuraten ist. Soviel mir bekannt ist, rauchte Trungpa auch nie wieder.
Zu der Betrachtung Samsaras, dem Vorübereilen der Schatten, trat eine erweiterte Sichtweise des Mitfühlens mit allem Leben, ohne Ausnahme. Denn auch wenn es kein beständiges Ich gibt, ist das Leiden wirklich, es wird erfahren. Während Buddha in der Frühzeit auf indischem Boden wirkte, gab es die einfachen Naturen, Bauern, die befolgten, was er ihnen sagte, auch wenn sie den Zweck nicht begriffen. Sie brauchten nichts weiter, erkannten Vergänglichkeit, das Nichtselbst und befreiten sich einfach durch Hören und Meditation.
Im Bhavachakra, dem Lebensrad zeigt der Weltüberwinder - in der Tat eine Achterbahn - die sechs Daseinsbereiche als Folge aus dem durch Gier, Haß und Unwissenheit Erwirkten, den schier ewigen Kreislauf. Man steigt auf, aus der Dunkelheit zum Hungergeist, zum Tier, zum Mensch, zum Titan und sogar zum Gott - und steigt oder fällt wieder hinab, als Mann, als Frau, jedes nach seinen Taten. Und diese Abhängigleit bleibt, bis alles Illusorische, alle Anhaftungen und Abneigungen aufgegeben sind. Ob das geglaubt wird, oder nicht, spielt nur fürs Karma eine Rolle.
Es sei denn, und das ist die Besonderheit des Mahayana, wir folgen dem Weg des Bodhisattvas, der aus Mitgefühl zu allen Wesen auf Erlösung verzichtet, um den Leidenden eine Leuchte auf dem Heimweg zu sein, wie Trungpa, wie der tausendarmige Chenresig, der aus Barmherzigkeit bis in die unterste Hölle hinab steigt und als letzter Samsara verläßt, damit auch niemand jemals vergessen werden kann.
Etwa ab dem 8. Jh kommt es zu einer nächsten Anpassung, dem Vajrayana oder Diamantfahrzeug, wo der lotusgeborene Padma Sambhava und eine Reihe anderer Verwirklichte, wie Garab Dorje erschienen und Selbstbefreiung durch Verwandlung lehrten, Das Maha Ati oder tib. Dzogchen entstand, geographisch die Gegend in und um Pakistan.
Dzogchen sei was für Faule, sprach der ehrwürdige Dzogchenpa Namkhai Norbu einmal und hatte mich damit geködert. Man braucht nämlich nichts weiter zu tun, als präsent zu sein. "Wenn du es eilig hast, mache einen Umweg". Aber das ist eben der Pferdefuß, daß, aufgrund weltzeitalterlanger Konditionierung ... die meisten von uns keine drei Sekunden unabgelenkt anwesend sein können. Doch nichtsdestotrotz kann man ebenso schnell wieder präsent sein, wenn es so gewollt wird. Und wie bei allem, macht Übung den Meister. Für die Stabilisierung der Anwesenheit gibt es dann im Vajrayana eine Reihe von Meditationsformen und Gottheiten - wie es Krücken für Lahme gibt.
Was Du über die Götter sagtest - und das betrifft dann auch die Astrologie - ist vollkommen richtig: auch sie sind irgendwann einmal sterblich. Aber zum einen helfen sie, das menschliche Wesen als von ihnen Entborgenes zu erfassen - als Archetypen, die unser Wesen lange bestimmen (man denke an Apollon, der die Grenzen setzt, oder Uranus, ohne den kein Leben zum Ursprung gelangte) und zum andern folgt der Buddhist nur jenen Verwirklichten wie Mahakala (Große Zeit, ein Bezug zum Saturn), welche das dritte Auge haben - hier schließt sich der Kreis zu Anicca, Anatta und Dukkha. Dieses dritte Auge gilt als untrügliches Merkmal für vollkommene Befreiung vom Rad der Existenz, dessen Träger als Emanationen Buddhas unter den Tibetern ebensolche Verehrung genießen.
Nach dem Maha Prajnaparamita Sastra ist der wahre Zustand:
Mir hat es damals geholfen, den Wahrheitszustand mit dem ebenso ungreifbaren Raum zu assoziieren: ohne Mitte, ohne Rand, alles leer und doch geschieht eine ganze Menge. Ohne den Raum könnte man an Nihilismus denken, aber Buddha verwarf alle Extreme, folglich auch Nihilismus und Eternalismus.
Für Dzogchenpraktizierende gibt es das sogenannte Tigle. Davon mehr beim nächsten mal.
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Inzwischen ist es aufgeklärt: es geht um die drei Daseinsmerkmale Anicca, Anatta und Dukkha, wie es im Theravadabuddhismus heißt und was wir zumeist übersetzen mit Vergänglichkeit, Ichlosigkeit und Leiden.
Im Mahayana, dem so genannten großen Fahrzeug, kommt etwas hinzu. Nun könnte man, und das wird auch überall getan, einwenden, daß wenn Buddha die vollständige Lehre seinen Schülern übertrug, dem nichts mehr hinzuzufügen wäre. Doch dafür gibt es eine einfache Erklärung: das Bewußtsein der Menschheit verändert sich ja auch fortwährend unter dem Einfluß der Vergänglichkeit, bedarf somit nach einer gewissen Zeit periodisch der Anpassung ans Gegenwärtige. Um ein Beispiel zu geben: die kostbaren Lehrer lehren in Amerika auch etwas strenger, als bei uns. Der Zauberer Chögyam Trungpa, so erzählt man heute noch, soll sich in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts eine Zigarette in der Offenbacher Gompa (Andachtsraum) angesteckt haben - was die Kinnladen zum vernehmbaren Herunterklappen brachte, es kam einem Sakrileg, oder angepasst ans Heute einem No Go gleich. Damit riß der Ehrenwerte ein erstes kleines Loch in den Vorstellungskontainer der Anwesenden, die einen heiligen Mann erwarteten. Solche Dinge funktionieren allerdings nur einmal, weswegen von Nachahmung abzuraten ist. Soviel mir bekannt ist, rauchte Trungpa auch nie wieder.
Zu der Betrachtung Samsaras, dem Vorübereilen der Schatten, trat eine erweiterte Sichtweise des Mitfühlens mit allem Leben, ohne Ausnahme. Denn auch wenn es kein beständiges Ich gibt, ist das Leiden wirklich, es wird erfahren. Während Buddha in der Frühzeit auf indischem Boden wirkte, gab es die einfachen Naturen, Bauern, die befolgten, was er ihnen sagte, auch wenn sie den Zweck nicht begriffen. Sie brauchten nichts weiter, erkannten Vergänglichkeit, das Nichtselbst und befreiten sich einfach durch Hören und Meditation.
Im Bhavachakra, dem Lebensrad zeigt der Weltüberwinder - in der Tat eine Achterbahn - die sechs Daseinsbereiche als Folge aus dem durch Gier, Haß und Unwissenheit Erwirkten, den schier ewigen Kreislauf. Man steigt auf, aus der Dunkelheit zum Hungergeist, zum Tier, zum Mensch, zum Titan und sogar zum Gott - und steigt oder fällt wieder hinab, als Mann, als Frau, jedes nach seinen Taten. Und diese Abhängigleit bleibt, bis alles Illusorische, alle Anhaftungen und Abneigungen aufgegeben sind. Ob das geglaubt wird, oder nicht, spielt nur fürs Karma eine Rolle.
Es sei denn, und das ist die Besonderheit des Mahayana, wir folgen dem Weg des Bodhisattvas, der aus Mitgefühl zu allen Wesen auf Erlösung verzichtet, um den Leidenden eine Leuchte auf dem Heimweg zu sein, wie Trungpa, wie der tausendarmige Chenresig, der aus Barmherzigkeit bis in die unterste Hölle hinab steigt und als letzter Samsara verläßt, damit auch niemand jemals vergessen werden kann.
Etwa ab dem 8. Jh kommt es zu einer nächsten Anpassung, dem Vajrayana oder Diamantfahrzeug, wo der lotusgeborene Padma Sambhava und eine Reihe anderer Verwirklichte, wie Garab Dorje erschienen und Selbstbefreiung durch Verwandlung lehrten, Das Maha Ati oder tib. Dzogchen entstand, geographisch die Gegend in und um Pakistan.
Dzogchen sei was für Faule, sprach der ehrwürdige Dzogchenpa Namkhai Norbu einmal und hatte mich damit geködert. Man braucht nämlich nichts weiter zu tun, als präsent zu sein. "Wenn du es eilig hast, mache einen Umweg". Aber das ist eben der Pferdefuß, daß, aufgrund weltzeitalterlanger Konditionierung ... die meisten von uns keine drei Sekunden unabgelenkt anwesend sein können. Doch nichtsdestotrotz kann man ebenso schnell wieder präsent sein, wenn es so gewollt wird. Und wie bei allem, macht Übung den Meister. Für die Stabilisierung der Anwesenheit gibt es dann im Vajrayana eine Reihe von Meditationsformen und Gottheiten - wie es Krücken für Lahme gibt.
Was Du über die Götter sagtest - und das betrifft dann auch die Astrologie - ist vollkommen richtig: auch sie sind irgendwann einmal sterblich. Aber zum einen helfen sie, das menschliche Wesen als von ihnen Entborgenes zu erfassen - als Archetypen, die unser Wesen lange bestimmen (man denke an Apollon, der die Grenzen setzt, oder Uranus, ohne den kein Leben zum Ursprung gelangte) und zum andern folgt der Buddhist nur jenen Verwirklichten wie Mahakala (Große Zeit, ein Bezug zum Saturn), welche das dritte Auge haben - hier schließt sich der Kreis zu Anicca, Anatta und Dukkha. Dieses dritte Auge gilt als untrügliches Merkmal für vollkommene Befreiung vom Rad der Existenz, dessen Träger als Emanationen Buddhas unter den Tibetern ebensolche Verehrung genießen.
Nach dem Maha Prajnaparamita Sastra ist der wahre Zustand:
"1. ohne Produktion
2. ohne Zerstörung
3. ohne Unterbrechung
4. ohne Dauer
5. ohne Einssein
6. ohne Vielheit
7. ohne zu kommen
8, ohne zu gehen
9. ohne zu greifen
10. ohne Aufregung
11. ohne Anhang
12. ohne Unterstützung
13. nicht existent (griech. existemi - auslegen, aufstellen, herausstehen, also räumlich vorhanden sein.)"
2. ohne Zerstörung
3. ohne Unterbrechung
4. ohne Dauer
5. ohne Einssein
6. ohne Vielheit
7. ohne zu kommen
8, ohne zu gehen
9. ohne zu greifen
10. ohne Aufregung
11. ohne Anhang
12. ohne Unterstützung
13. nicht existent (griech. existemi - auslegen, aufstellen, herausstehen, also räumlich vorhanden sein.)"
Mir hat es damals geholfen, den Wahrheitszustand mit dem ebenso ungreifbaren Raum zu assoziieren: ohne Mitte, ohne Rand, alles leer und doch geschieht eine ganze Menge. Ohne den Raum könnte man an Nihilismus denken, aber Buddha verwarf alle Extreme, folglich auch Nihilismus und Eternalismus.
Für Dzogchenpraktizierende gibt es das sogenannte Tigle. Davon mehr beim nächsten mal.
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