Alles für alle, aber die sind nie da

Bericht zum Thema Mitmenschen

von  eiskimo

Genießen wir sie nicht alle diese globalisierte, diese quirlige, diese jedem verfügbare Warenwelt.? Online bestellt, schon da….
Mein Nachbar, der alte Herr Maurer, kennt vor allem das Stelldichein der Lieferdienste, die dann vergeblich bei den Empfängern klingeln. Also kommen sie zu ihm, fast alle. Morgens schon der erste mit dem orangefarbenen Scooter, ein TNT-Bote. Er ist Deutscher, schon älter und immer der erste. Er bringt überwiegend Briefe, meist Behördenpost.
Es folgt der Sprinter von GLS mit dem Ukrainer – ein netter Kerl, aber er redet nicht. Vielleicht kann er gar kein Deutsch – er ist jedenfalls stets mit sperrigen  Sachen unterwegs, immer in Eile.
Beim Hermes-Versand blickt Herr Maurer nicht so ganz durch. Die Götter-Boten kommen manchmal noch vor Mittag, manchmal auch ganz spät. Die fahren meist eigene Lieferwagen, ziemlich ramponierte. Herr Maurer nimmt ganz viel über Hermes an, denn die Frau Doktor in Nummer 75, die macht Tele-Shopping. Die kriegt alles über Versandhandel. Und mit dem rumänischen Hermes-Fahrer tauscht er auch schon mal ein paar Worte.
Seltener zu tun hat er mit DPD – von denen hat er sein neues Smart-TV geliefert bekommen. Ein blutjunger Fahrer, Maurer tippte auf Pole.  Den hat er nur ein Mal wieder getroffen, als er für die Nachbarn  ihren Heizlüfter annahm. Und beide Male hatte der einfach in der zweiten Reihe gepark; der kleine Stau n er damit verursachte, der  juckte den gar nicht.
Wen er inzwischen persönlich kennt und nachmittags fast schon erwartet, das ist der Eritreer von DHL – ein lustiger Vogel, stets zu Scherzen aufgelegt. Der weiß auch immer schon, was in seinen Päckchen ist. „Hier ist wieder was zu lesen,“ grinst er dann. Oder „Jetzt könnt ihr wieder basteln!“ Letztens bat er Herrn Maurer um sein Handy. „Meins ist leer,“ erklärte der Fahrer. “Und ich muss dringend meine Frau anrufen!“  Da war es schon sieben Uhr abends.
Ja, die Paketdienste mit ihren  3,5-Tonnern bringen echt Leben ins Viertel.  Wenn es die nicht gäbe, welcher seiner Nachbarn würde je bei ihm vor der Tür stehen?
Denn wenn sie bei ihm klingeln, dann ja nur, weil sie eine Benachrichtigung im Kasten hatten „Ihre Sendung wurde in Haus Nummer 65, bei Maurer hinterlegt“.
Und Maurer muss dann in seinem Flur aufpassen, dass er die richtigen Pakete raus sucht, denn es gibt Tage, da hat er quasi die halbe Welt zu Gast, diese wunderbar globalisierte Welt, die einem ihre wohlfeilen Produkte über Nacht ins Haus liefert. Mit Fliegern halb um die Welt und Sprintern hier ins Viertel .
Mein Nachbar, der alte Herr Maurer, findet das übrigens gar nicht schlimm. Gerade jetzt, bei Corona, wo viele Alte ja noch weniger besucht werden.
Wie sagte er letztens: Früher war es wirklich langweilig.  „Da gab es nur die Briefträgerin, eine ganz nette eigentlich. Aber die hatte ja nur Briefe, und wenn die um zehn Uhr vorbei war, passierte den ganzen Tag nichts mehr.“

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (07.09.20)
Auf die eine oder andere Art bleibt Leben im Viertel. Und manchmal lebt etwas auf, das sonst für die Welt fast unsichtbar oder halb entschwunden war.

Gern gelesen.

Liebe Grüße

Sabine

 eiskimo meinte dazu am 07.09.20:
Danke. Man muss die positiven Dinge wahrnehmen bei all den Veränderungen!
Liebe Grüße von
Eiskimo

 AZU20 (07.09.20)
Wenn es den alten Herrn Maurer wirklich gibt, dann kann man ihm zu dieser neuen Entwicklung nur gratulieren. LG

 eiskimo antwortete darauf am 07.09.20:
Mein Freund Maurer hat tatsächlich Spaß an seiner Rolle als "Empfänger"
LG

 AchterZwerg (08.09.20)
Ja,
es ist gespenstisch.
Direkt neben unserem Mietshaus gibt es eine Altenwohnanlage.
Die ist quasi komplett gesperrt. Niemals dürfte ein Zusteller das Haus betreten.
Der Vorteil: bisher keine Corona-Erkrankung.
Der Nachteil: eine tiefe Depression, die schon der absolut stille Anblick des Hauses auslöst. - Das Pflegepersonal bemüht sich wirklich sehr; doch menschliche Begegnungen sind durch Bespaßen nicht zu ersetzen.
Und auch nicht durch Amazon.

Liebe Grüße
der8.

 eiskimo schrieb daraufhin am 08.09.20:
Das sehe ich auch so. Care-Pakete, das "Päckchen für Drüben", Amazon... alles gut gemeint. Aber das ist halt nicht wirklich gut ...
Suchen wir weiter bessere Lösungen!
Eiskimo
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