Oilness

Skizze zum Thema Alles und Nichts...

von  alter79

  „Ich will dir die Haare schneiden!“
    „Warum? Ist der Präsident in der Stadt, oder sehe ich so grauslich aus?“
    Polizist Manfred lachte herzhaft, der war bemüht, zu ihm zu gehören, warum auch immer.
    „Ne, ne, Pierre, war ein Spaß“, sagte Manfred. „I ch muss dich mitne h men, die Sache mit Emil.“
    „Mitnehmen?“
    „Ja, der Richter will dich sehen!“
    „Ich wäre auch so gekommen,  ohne dich.“
    „Warum biste nich …, der hat dir schließlich ne Vorladung geschickt.“
    „Hab keine bekommen.“
    Dabei blieb er, auch vor dem Amtsrichter.
    „Sie werden beschuldigt ... “, sagte der, blätterte in den Akten und wol l te wissen, warum er das getan, und wie schwer die Verletzungen bei Emil waren, die durch die Schläge entstanden waren . Eine Stunde später war er verurteilt , zu fünftausend Mark Geldstrafe.
    Der Richter: „Die können Sie gemeinnützig abarbeiten!“ Und mit dieser Auflage wurde er entlassen.
    „Melden Sie sich wöchentlich bei der Polizei in Gartow!“
    Dort befand sich die Wache in einem Privathaus; ein Schild protzte d a von. Der Polizist hieß Manfred, wie er wusste.
    „Mache ich, Herr Richter.“
    Neben der Wache wohnte Marie.
    „Ich werde es abarbeiten, Herr Richter!“
    Er war einfach davongekommen, hatte er sich erklären müssen. Wäre das Urteil anders ausgefallen, hätte er wieder ins Gefängnis gemusst; und wieder Angst, erneut die höllische Achterbahnfahrt durch Zeit und Raum. Erleichtert, dass er nicht in den Knast musste, kotzte er seine Freude hi n ter dem Gericht zwischen einen Stapel alter Autoreifen. Minuten später fingen die Herzbeschwerden an. Die Kreislauftropfen fehlten. In der Kneipe machte das Fernsehen auf heile Welt. Der Wirt saß dann bei ihm, am Wachstuch über dem Holztisch. Bier dampfte, Schnaps eiste still. Das Gespräch kam auf Marie – und Emil.
    „Emil hat mal auf Melker und Rinderzüchter gelernt, auf dem Feld g e arbeitet auch; aber hier hat dann alles wegen BSE dichtgemacht, rechnete sich nicht mehr. Als Marie damals schwanger wurde, da ist sie in die Kl i nik gefahren, um es wegmachen zu lassen, dann wollte sie es doch beha l ten. Da hat Emil sie durchgeprügelt, so lange bis sie es wegmachen ließ. Danach wollte sie ihn verlassen. Dann ist sie aber doch bei ihm hocken geblieben, sie hoffte auf ein besseres Leben, bis sie wieder dran war mit Schlägen. Keinen Job, kein Geld, keine Zukunft. Danach hat sie Selbs t mord versucht.“
    Pierre schüttelte darüber nur den Kopf. „Sorge n haben die Leute ... “
    Und wie bestellt kam Emil herein.
    „Morjen.“
    „Morjen!“
    „Wodka mit Cola!“
    Pierre und Emil sahen sich schweigend an. Der Wirt hielt den Blick g e senkt und putzte Gläser. Auch er merkte: Diese Gegnerschaft stand in hassvollen Blicken wechselseitig in der Kneipe stramm, und wurde erst durch Emils Wegsehen zur Ruhe gebracht. Und kein Wort mehr. Nie mehr, es war alles schweigend gesagt. Pierre trank aus, dann ging er.
    Am nächsten Tag besuchte er Marie. Emil war schon da, mit frischer Naht quer über dem Unterarm. Er war die Treppe runter gefallen, in eine Bierflasche rein, sagte Marie später. Auch hier: kein Wort mehr. Nie mehr, befahl er ihr. Nachdem er sie vorgenommen, hatte war er wieder alleine.
     
    Im Traum steckte er seinen Schwanz durch Mauern. Dahinter verbiss sich das verselbstständigte Glied in nackt gaffende Frauen, wuchs und wuchs um Meter, umschlang die im Kreis stehenden onanierenden Mä n ner und würgte deren Hals, bis sie tot waren. Den Albtraum im Gedäch t nis , wurde er um Mitternacht wach. Noch in der Legion, hatte ihn eine solche Illusion in kurzzeitigen Wahnsinn getrieben. Suff, Opium, nackte Weiber, die Grenze vom Leben zum Tod – und er über Tage so zug e dröhnt, dass er alle Mühe hatte, wieder auf die Beine zu kommen, um nicht vor einem Kriegsgericht zu landen. Ein absolut existenzieller Vo r gang, der sich zu wiederholen drohte. Ja, man musste stark sein, wie das Leben selbst sein, um sich an Dinge zu wagen wie Leidenschaft, Exzess und Chaos. Doch nichts, diesmal bewirkte der Traum, dass er für Tage mit dem Trinken aufhörte.
     
    Er nahm die Arbeit am Schiff wieder auf. Unten strich er den Rumpf nach der Grundierung mit Teer. Ab einen Meter über der Wasserlinie lackte er weiß. Nach Wochen des Schweigens meldete sich der Spediteur.
    „Das Frühjahrshochwasser kommt mit Macht, Pierre. Ich glaube , Sie bekommen den Kahn frei!“
    „Wenn Sie
meinen.“
    „Ja, ich meine“, antwortete der gereizt. „S chließlich bin ich am Kahn zu fünfzig Prozent beteiligt. Oder haben Sie das vergessen?“
    „Neunundvierzig Prozent! Und wie es weitergeht, bestimme deshalb ich.“
    „Na gut,  aber Geld verdienen wollen wir doch beide“, machte der auf versöhnlich.
    „Das ist richtig. Was schlagen Sie also vor?“
    „Fangen Sie an , zu graben.“
    „Was – graben?“
    „Graben Sie einen Stichkanal. Wenn dann der Schlepper kommt, kann der Sie leichter frei schleppen.“
    „Einen Kanal mit der Hand, wie stellen Sie sich das vor?“
    „Sie nehmen Hacke und Schippe und legen los. Zeit genug haben Sie ja.“
    „Mit Hacke und Schippe? Wissen Sie was, Sie können mich im Arsch lecken!“
    Der Rat auf einem Prospekt zu e inem Bild kam ihm in den Sinn: „Wenn Du nicht zu viel koitierst“ , sch rieb van Gogh an einen Freund, „ wird De i ne Mal erei nur umso kraftvoller sein.“
    Also wollte auch er die Plackerei des Grabens angehen und Besuche bei Marie außen vorlassen.
    „Ich komme ne Weile nicht.“
    „Warum?“, fragte Marie.
    „Ich habe zu graben.“
    Stille bei Marie.
    „Ich grabe einen Stichkanal, damit bei Flut das Schiff loskommt.“
    „Und dann bin ich dich los?“
    „Biste!“
    Eine der blöden Sachen am Saufen ist: Hat man was, säuft man was.
     
    Zwei Tage später kam der Tankwagen mit Diesel.
    „Mach voll!“



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