‘Für’n Fünfer im Stehen?'
Schundroman zum Thema Allzu Menschliches
von alter79
Prostituiertenmörder gefasst? titelten die Zeitungen reißerisch. Und die meinen mich, Heinz Vordeen, den auf der Karriereleiter unaufhaltsam noch oben strebenden Komiker und Berliner Theaterchef des ’Wollaffen’. Und ehrlich, ich glaube das eine wie das andere manchmal nicht so recht.
‘Wir werden erst Ruhe haben, wenn die Drecksau überführt und verurteilt ist!’ Doktor Dreier, ermittelnder Kriminalrat, sprach in den Medien in diesem Ton (über mich), - und ich weiß, warum. Sucht dieser Dreier doch schon lange nach dem Prostituiertenmörder - und er hatte damit mehr als ein Problem. Und was er nicht wusste, ich hatte auch eines. Mit ihm. Mit mir. Und nicht nur das, und sowieso.
In der Therapiegruppe des Doktor Hempel, anonym, in einer Mummenschanzverkleidung wie beim Ku-Klux-Klan, stelle ich mich den anderen sechs Teilnehmern als Max vor. Max ist natürlich nicht mein richtiger Name.
In der AA Gruppe, Jahre zuvor, ich war damals der Öffentlichkeit fast unbekannt, nannte ich mich Gerd. Natürlich ist und war auch das nicht mein richtiger Name. Nein, diese Namen sind wie die Regeln, die ich aufgestellt hatte, um mir mein Leben zu erleichtern, um es dadurch so gut wie es geht zu leben.
Eine dieser Regeln lautet, mich von Nutten über fünfzig fern zu halten. So Damen des horizontalen Gewerbes, die nach wie vor an der Neuen Kantstraße und am siebzehnten Juni stehen, deren welke Körper, glaube ich bis heute, außer mir sowieso keiner haben will - und ich die deswegen fast als mein Eigentum betrachte, das sich mir für erschwingliche eine Mark fünfzig freudig zur Verfügung stellt. Klar, das kommt meinen sexuellen Bedürfen und meinem Geiz entgegen. Das sage ich jetzt ganz ohne Koketterie, und fühle mich frei von irgendwelcher Schuld. Und höre ich auf die Verlockungen der Nutten, sehe die wandelnden Schrotthaufen, ob beabsichtigt oder nicht, diese fetten Beine in Lackstiefel gepresst, ahne ihre Sperma- feuchten Mösen unter ledernem Minirock, diese ekelhaften meterlangen Titten, - dann ist das purer Stress, und ich raste aus. Doch gerade das will ich vermeiden -, auch weil meine Frau sich scheiden lässt, wenn sie nur ahnt, was ich den Nutten antun muss… Andererseits kann ich nicht anders, als nachzugeben. Es ist fast wie eine Sucht.
Es ist eine Sucht, Max! sagt Doktor Hempel.
Hempel raucht Orientzigaretten in einer Spitze - und hat auch sonst krude Ideen. Auch glaube ich, meine Frau weiß alles längst, denn auch bei ihr komme ich ohne leichte Gewaltanwendung nicht zum Zug -, das ist schon seit unserem kennen lernen so. Zudem glaube ich, sie will, dass ich sie anal so nehme wie ich es tue. Doch das ist nur eine Ahnung, mehr vage, denn deutlich gesagt hat sie es mir nie, lediglich dabei gestöhnt und gefleht. Doch diese Zeichen sind mir positiver Zuspruch genug. Genau wie bei den Huren, sage ich Hempel.
Ich gehe übrigens wegen der Gefahr solche Weiber öffentlich zu treffen nie in eine gemischte Sauna, obwohl ich gerne sauniere, dass ist nämlich meine einzige Art von Sport. Doch ich gehe nicht mal in Begleitung von Traudchen dort hin, Sie wissen, so heißt meine Frau. Denn so alte Weiber, wie Traudchen, kann ich nackt nicht sehen, - da wird mir übel. Also passiert Nacktheit, wenn überhaupt, in totaler Dunkelheit. Und das ist gut so, lacht mir der schwule Partylöwe zu. Zu dem mache ich auch ähnlich gelagerte Dinge wie Sauna höchst selten. Vermeide zum Beispiel Partys und Geburtstage von über Vierzigjährigen; logisch, da sich gerade dort die Fregatten mit ihren Asbach- alten perlengehängen vor den Möpsen prostituieren, oft keine Schlüpfer tragen, und mich die eine oder andere von denen schon mal auf dem Herrenklo abpasste, um mir beim urinieren auf den Penis zu sehen. - Schrecklich, solche Fans. - Sie ahnen also, es ist schwer genug für mich als öffentliche bekannte Person in Berlin, - als Komiker aus Berufung, der somit täglich direkt mit der Perversion der Gesellschaft konfrontiert ist. Klar und ohne Zweifel, denn im eigentlich Sinn bin ich der Bodensatz der Gesellschaft und vertrete die durch mein da sein und nicht da sein, durch meine Komik und meine lebensnahen Sketche. Ja, auch Sie, Herr Doktor, werden bei mir ihre schuldsein los; es ist in meinen Vorstellungen fast wie bei einer Beichte mit hinterher Absolution.
Gut, so weit dazu. Doch wo wir schon mal bei den Vorstellungen intimer Dinge sind: geboren bin ich in Zwickau, männlich, wie sie längst wissen. Doch auch das muss man ja heutzutage schon energisch sagen oder zeigen, auch wenn es wie ein schlechter Witz klingt. Und ich hasse schlechte Witze.
Und Achtung, an alle Frauen: ich bin nicht allein stehend, verstehen Sie: nicht! alleine! denn es gibt Traudchen, Sie wissen - und meine Mutter starb vor Jahren. Ach Gott, ich bin über beides hinweg, auch wenn es dauerte.
Nun, ich bin Mitte dreißig, fit im Schritt, und sehe leidlich aus, bis auf die etwas zu lange Nase, die großen Ohren, und habe Qualitäten, die langsam auch allgemein bekannt werden, - wogegen ich nichts habe, denn das hat Vorteile und kommt meinen Neigungen entgegen. Und noch, seit ich nicht mehr exzessiv trinke, habe ich gelernt, einen versöhnlichen Umgang mit meinen Neigungen zu finden. Jedenfalls glaube ich das, hoffte ich, bis vor kurzem. Denn dass ich pervers bin, weiß ich, und es wird sich nicht ändern, - aber deswegen lieben mich die Leute doch auch, so wie den Juhnke, den wegen dem Suff, oder weswegen?
Jeder Süchtige, auch Sie, Max, hat eine ganz besondere Vorliebe. Und was wir hier tun ist, dass Sie eines Tages dieser Vorliebe nicht mehr gehorchen müssen. Mehr nicht. Dazu werden wir Ihr Selbstbildnis analysieren, Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen auf Tiefe ausloten und Ihnen beibringen, jemand zu sein. Wir werden Ihren Hass abbauen, Ihnen Selbstvertrauen einpflanzen - mit dem Ziel, dass Sie Ihrer Sucht nicht nachgeben müssen. Wir werden Sie lehren, sich aus eigner Kraft ein Belohnungssystem zu eröffnen, dass Ihre jetzige platte sexuelle Belohnung bei weitem übertrifft. So einfach, Max.
‘Denken Sie öfter an den Tod?’, fragt mich der Vernehmungsrichter.
‘Jeden Tag!’
‘Also denken Sie über sich nach?’
‘Immer. Nur, ich vergesse es wieder.’
‘Können Sie auch ernst sein?’
‘Bin ich fast immer!’
‘Gut -, und, Ihren Tod, den vergessen Sie nicht?’
‘Nein, Gott sei Dank! Es bleibt immerhin eine Möglichkeit, obwohl ich die meist auch vergesse ...’
An meinen Vater muss ich denken. Fallschirmspringer aus Passion. Er starb bei einem Sprung; Herzversagen, bevor er den Schirm öffnen konnte, stand im Bericht der Versicherung. Doch ich weiß es seit einiger Zeit besser, bekam über einen Notar zehn Jahre nach dem Unglück seinen Abschiedsbrief. Mutter sagte ich nichts vom Brief und dessen Inhalt, stand doch zu viel Intimes von Vater und mir darin. Auch seine Warnung, seine Neigungen nicht zu meiner werden zu lassen ... Doch zu spät. Er hatte mich längst geprägt. Nur aus Liebe heiraten, wie er, tat und tue ich nicht. Ich heiratete Traudchen zur Tarnung meiner Neigungen. Fallschirmspringen und die anderen Dinge des Lebens tue ich wie Vater. Die ganz schlimmen Dinge, die bis voriges Jahr, ausschließlich in meiner Fantasie.
Nein, halt! einmal nicht.