Mein - First-Class - Roman über Schweißbürger 2ter Teil ;-)

Schundroman zum Thema Alltag

von  alter79

Bild 6 - Menschen kann man mit einer Wohnung töten wie mit einer Pistole


... wenn du dir ein auto kaufst sollte es so groß sein dass du eine zeit-lang bequem darin wohnen kannst ...

Im verslumten Berlin-Wedding hausten wir neben dem Kloster der barmherzigen- Schwestern. - Nun ist ein Bordell drin, - wo mein Erzeuger als Fleischer schlachtete und auch starb. Und unsere ehemalige Wohnung dient als Absteige für Thai- Girls. Klar, die Bude mit Klo auf halber Treppe braucht ja auch sonst keiner. Nicht mal irgendwelche verlausten Asylanten. Auch mein Erzeuger ist an dem Teil mehr oder weniger verreckt. Mutter in einer psychiatrischen Anstalt. Ich im Knast. Bruder Eddy Zuhälter. Jimmi ein kaputt- geliebter Autist mit Vollpension in einem ausbruchssicheren Behinderten- Heim. Frage: Geht man so mit Menschen um? Antwort: Ja, warum denn auch nicht...

„Ich habe das beste Pflege- Heim weit und breit ausgesucht. Und meiner Meinung nach fühlt sie sich dort auch wohl!“
„Hat sie es dir gesagt?“
„Nein. – Sie spricht nicht.“
„Nicht ein Wort?“
„Nicht ein Wort.“
„Und was sagt der Arzt?“
„Was von posttraumatischem Belastungsdings und so wirres Zeug.“
„Wann warst du letztens da?“
„Ist schon ein paar Kaffeestunden her.“
„Aber auf dem Friedhof bist du oft!?
„Fast täglich...“

Heute ist Blindheit und Heuchelei Tagesgeschäft. Früher glaubte man Freundschaft und Treue und sagte im Idealfall zu den Eltern: Ich ehre und liebe dich.

„Du hast Ansichten wie ein Hundertjähriger, Keule.“
„Das macht der Knast!“
„Ich war auch schon mal da“, sagt er.
„3 Tage wegen Mauserei, ich weiß!“
„5 Tage. - Und ich weiß, dass du Vater nicht erstochen hast!“

Nett ist der kleine Bruder von Scheiße -, weiß doch jeder. Und Wahrheit ist das Grab aller Illusionen, Reise in die Dunkelheit genannt. Noch Fragen?

„Wo ist eigentlich der Hund?“
„Das krätzige Vieh habe ich einschläfern lassen.“
„Du bist ein herzloser Vollidiot!“
„Wo du es sagst...“


Bild 7 - Hinter dem Fenster außen

Es gibt Dinge, über die es lohnt zu weinen -, wenn man die vorher wüsste. Ich nenne Enttäuschung oder Freude. Liebe, Hass, Schmerz oder Glück. Ja. Es gibt Dinge um die muss man kämpfen, egal was die sind.
„Du hast mich in den neun Monaten Knast nur einmal besucht, Eddy!“
„Und?“
Shit, so was von lässig kommt dieses Und, als wenn unbemerkt die Oberfläche der Welt zusammenbrechen würde und sonst nichts. Nichts weiter! Ganz anders Mona. - Mona läuft jubelnd auf mich zu. Und ist schlank wie einst im Mai der Mai -, diese langbeinige Provokation in blond. Auch hat sich an ihr nichts geändert, wie ich sehe. Immer noch die super- hochhackigen Schädelbrecher- Schuhe. Immer noch ihre hübsche Kiez- Visage. Darin das prall- rot gemalte Maul auf vollen Lippen, ein wahnsinniges Versprechen auf, - auf was? Die kohlschwarzen überlangen Wimpern. Doch auch ihr gelebtes Leben..., im Spiegel ihrer großen Augen. Dieses getäuschte, betrogene, verlassene, ausgesetzte, beraubte und fast verdurstete Sein. Das immer noch Opfer von Überfällen ist. Von Begehrlichkeiten. Und die lebende Zeugin eines Persönlichkeitsmordes in frühester Jugend. Andererseits ist sie immer noch eine Kindfrau. Eine Art von ’aus dem Elendsasyl gekrochen, um zu bleiben, wo es besser ist’. Die süße Mona, die jetzt mir gehört. Ein einziges Hoffnungszeichen, so positiv, wie sie auf mich zuläuft. Und immer schneller ist sie ein Fingerzeig für mich. Und das nicht nur an diesem Tag. Ihr Stammeln „Ich habe dich schon immer geliebt, Chess!“ Dabei ist sie zehn Jahre älter. Genau wie meine erst- besten Wunden, von denen es inzwischen zahlreiche gibt. Wie die von den Schmerzen. Die als Mahnung stehen. Ob ich sie nun verschuldet habe oder als unverschuldete empfinde. Wie die tiefe Schnitte in Seele und Fleisch. Selbstverletzung, schon klar. Wegen der Schuld, die so sichtbar unsichtbar. Und meine Scham darüber. Dazu dann der Stolz über das Leid. Über das Dasein. Das es zu besiegen galt und gilt. Hinter Gittern und Mauern. Überleben. Im Knast. Wo man Zeit dafür hat. Genug Zeit. Um Grenzen aufzuheben. Sich ein Fenster nach innen zu schaffen. Durch einen Riss, eine Wunde. Eine spätere Narbe. In die man tief ein Loch bohrt. In die Würde. Um durch das Reich der Unterwerfung zu sich selber zu gelangen. Hin zum Leid um Mitleid. Um in Täters Opferrolle zu schlüpfen. Der sich hinterfragt, analysiert, kategorisiert. Denn, wie gesagt, Zeit dafür ist reichlich im Knast. Wenn man an den Gittern hängt. Im Krieg mit sich selber, gelistet in tag- täglichen Protokollen, Skizzen, Notizen, - einigen Tätowierungen. Die bleiben nicht aus. Wie das Kopfkino. In dem alle Facetten Schmerz sind. Schuld. Alle Zeichen von Erfahrung in Begegnung. Auch der letzte Schrei.

“Nun oh Mensch! Was hast du wieder angerichtet? In Silber hast du verwandelt, alles was einst Gold war.“

Na, ich weiß ja nicht. All diese Freaks da. Und dort. In der Justiz. Die täglich neu verjüngt mit Mänteln aus feinstem Ponymösen- Fell auf Grunge- Power getrimmt. Ekelhaft, die Rutengänger schäbigster Wahrheiten. Die Hobbyjuristen einer Saison. Lebensarchäologen, - kuriose Erdarbeiter und gemütskranke Menschenentwürfe. Spezialisten der Gerichtsbarkeit, die große Töne spucken aber nur kleine Bögen pissen. Von wegen: Meinetwegen ist eben ein 5 Kilometer langer Güterzug entgleist. - Einzig eine große Schnauze haben diese Spinner. Opfer sind die, - wie sie und er. Und es werden täglich mehr. Und dafür soll nun ich sorgen, sagt Eddy. Bevor ihm das Kartenhaus Puff einstürzt. Nun, wir werden sehen, sage ich. Und küsse fürs erste Mona. Und nicht nur das: I Walk the Line, Bruder!


Bild 7 - Diese Stadt...

Ständig grau. Ihre Tage und Nächte zerreiben sich im Elefantenblues. Während bleiern/er Regen fällt. Pechschwarzer Schnee. Saurer Nebel die Autoscheiben verschmiert, die Atemluft brennt, - als würden ständig Hochöfen befeuert. Ihr Dreck macht die Menschen blind, die Pflanzen und Tiere. Bricht Hoffnung/en. Zerstört ihre Ordnung. Wabert in die bewohnten Kloaken. Trifft auf die Untersuchungshaftanstalt Berlin- Moabit. Doch frag mich nicht warum das so ist, - ich zeichne dafür nicht verantwortlich. Vergiss also die paar Sekunden (lesen) besser. Lösch meine Worte von deiner Festplatte sollten die dir nicht in den Kram passen. Denn es wird noch wesentlich schlimmer. Gefährlicher. Grausamer. Und es ist nichts für Anfänger dabei. Wie das Leben, wenn die Zeit splittert, der Augenblick, die Jahre, ein Dasein, - während du eventuell gerade bei Tante Erna auf der Couch sitzt und auf die ’ideale’ Zukunft wartest. Vergiss es!


Bild 8

Der Knast fällt durch brandrote/n Ziegel auf. Schlimmer als Höllenfeuer. Und durch hohe Mauern mit Metallzäunen davor. Mit mächtigen Rollen von Stacheldraht drauf. Hat Türme auf den Endpunkten der Mauern; Waben an sinnlos hängenden Wänden mit blitzenden Scheiben in Schwarz, durch die man die Menschen dahinter nicht sehen kann. Sollte es überhaupt welche geben.

Weit hinter den Zäunen und Mauern stehen Gebäude. Lauern wie Tiere. Häuser mit unterschiedlichen Silhouetten. Einzelne Baumkronen. Hört man ab und an Rufe. Schreie. Befehle. Ja. In den Gebäuden sind Häftlinge untergebracht, - deren Gestalt/en kann man von der Straße aus ahnen, wenn Licht in den Zellen brennt. Sonst sind es dunkle Höhleneingänge in Kleinformat. Immer mit Gitter davor. Ab und an sieht man am Fenster einen Menschen, der winkt. Ruft. Der an einer Schnur, einem zusammengeknoteten Fetzen Stoff einen Gegenstand hin und her schwingt. Pendelt. Von einer Zelle zu anderen etwas weitergibt - wenn es gut geht; das Pendel nicht reißt.
Direkt hinter dem Haupteingang die Gefängnisverwaltung, damit der Weg nach Draußen nicht so lang ist, die Furcht eingeschlossen zu sein; lebendig begraben. In einem dreistöckigen Neubau. Aus Beton. Mit breiten, großflächigen Fenstern und schlanken Gittern davor; im auffallenden Kontrast zu den über hundertjährigen Backsteinbauten der Anstalt.


Bild 9

In Jahren Isolation lernt man eine Menge über das Leben. Über die Wirkung von Freiheitsentzug. Über eigene Sehnsüchte und Träume. Doch irgendwann steht man dann vor der Tür. Ist draußen; wie ich nun. Und sie holt mich ab. Wir haben im Knast geheiratet. Aus Liebe. Und weil sie schwanger ist.


Bild 10 - Zuvor

„Die ist ne scharfe Braut!“ Lacht Eddy.
Und wenn Eddy etwas sagt und dabei lacht, werde ich hellwach.
„Schon gut, lass den Anwalt einen Besuchsschein beantragen und schick sie her!“
„Willst du nicht bis zum Urlaub warten?“
„Im Urlaub habe ich was anderes vor.“
„Okay. Du bist der Boss; - also die Pfaffenzelle?“
„Sag Pfarrer. Und behandele den Mann respektvoll.“
„Das Übliche?“
„Nicht das Übliche; leg noch was drauf. Verstanden?“
„Schon verstanden, Boss.“ Und wieder lacht er zu viel und zu lange.
„Übrigens – Stormi will für seine Nichte Abstecke haben.“
„Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt – ich will keine Nutte!“
„Sie ist auch keine; konntest du doch auf den Bilder sehen. Und richtig liebe Mails hat sie dir doch auch geschrieben.“
„Das können auch Nutten.“
„Du willst sie also nicht ficken?“
„Dazu habe ich hier zwei Vollzugsladys, wie du weißt.“
„Ja, klar. Weiß ich doch...“
„Also. Wo ist das Problem?“
„Dass Stormi Abstecke haben will.“
„Dann erklär es ihm.“
„So richtig?“
„Genau so!“
„Und seine Nichte?“
„Doro rührst du nicht an!“
„Schon klar, Boss.“ Höre ich ihn lachen.
„Ende!“


Bild 10

„Wenn jemand nach bestimmten Ansagen lacht, Gruber“, frage ich den neben mit stehenden Anstaltspsychologen, „was ist dann mit demjenigen los?“
„Er hat Angst. Ist unsicher. Will etwas verbergen...“
„So wie du, Gruber?“
„Wieso wie ich?“
„Meinst du ich weiß nicht, was du mit Mona gemacht hast; wie du die zugerichtet hast...“
„Es war ein ganz normaler Sexunfall!“
„Ein ganz normaler was... Machst du das mit deiner Frau auch so? Wissen deine Kinder davon? - Kannst du dich daran erinnern, dass Mona mein Mädchen ist - und ich dir die nur geliehen habe?“
„Ja. Kann ich. - Es tut mir auch Leid!“
„Okay. Dann lass den Scheiß beim nächsten Mal sonst gibt es Konsequenzen. - Und für Übermorgen bereitest du die Pfarrerzelle vor, ich bekomme Besuch.“
„Mit Champagner?“
„Das volle Programm, Gruber.“
„Sehr gerne.“
„Hast du eben gelacht?“
„Das würde ich mir Ihnen gegenüber nie erlauben!“

Am Ende vom Gang sehe ich Zucker, den Stationsschließer.
„Schließ mich bitte ins Fitnesscenter, Bruder“, rufe ich.
„Bin gleich bei dir, Chess!“ - und sagt, als er dann dicht neben mir steht leise, „sei bitte vorsichtig, Body ist schon drin – und ich glaube, der plant was.“
„Ist er allein?“
„Ist er!“
„Danke Bro!“
„Weißt du doch. Blut ist dicker.“ Und dabei lacht er. Offen. Ehrlich. Anständig. Mit Respekt. Wie es sich unter Brüdern gehört. Und es ist wahr: Wir haben denselben Vater, für den ich das aller erste Mal im Knast gesessen habe; eigentlich wegen Mutter. Doch das ist eine andere Geschichte. Eine lange. Mit Tiefgang. Und seitdem Mutter mit dem Gedächtnis Schwierigkeiten hat, weiß außer mir und einiger verlauster Gerichtsakten nur Zucker davon. Wir lernten uns bei der Beerdigung des Alten kennen. Ich in Handschellen. Er als mein Schließer; Brüder.

„Brauchst du noch was?“
„Nichts. Danke!“
„Okay. Kannste ja klingeln, wenn du wieder raus willst.“
„Body wird für mich klingeln!“
„Bist du sicher?“
„Ja!“
„Gut so.“
„Du schließt ihn dann bitte ein...“
„Und dann?“
„Dann findet er einen Schuss auf dem Bett und denkt, sein Dealer wäre da gewesen.“
„Und der war auch da?“
„Na sicher.“
„Okay. Ciao dann.“


Bild 11

Body lacht nie. Ist zwei Meter lang. Wie breit. Nackt. Zirka 150 kg schwer. Mit Glatze. Boxernase. Ein Muskelpaket. Aufgepumpt. Hat sein extrem gepierctes Ding eingeölt. Steht sichtbar unter Strom.

„Na, Body – scheiß Nacht gehabt?“
„Nicht deinetwegen...“
„Sondern?“
„Meiner Wiederaufnahme...“
„Und?“
„Der Rechtsanwalt ist ein Arsch.“
„Entzieh ihm doch das Mandat!“
„Mandat?“
„Du entlässt ihn.“
„Und dann?“
„Ich besorg dir einen.“
„Gerade du?“
„Gerade ich!“
„Und wieso?“
„Ich will dir einen Gefallen tun.“
„Wie der Pate von der Marlon Brando Mafia?“
„Du bist pfiffig.“
„Und dann willst du was von mir…“
„Vielleicht Ja. Vielleicht Nein. - Wir werden sehen.“
„Und wenn nicht?“
„Dann stirbst du hier drin!“
„Tu ich sowieso. Ich hab n Haufen Schulden und...“
„Das regle ich.“
„Und was muss ich dafür tun?“
„Du klingelst jetzt - und lässt dich auf Zelle bringen. Den Rest später.“
„Erst besorgst du mir ne Alte...“
„Gebongt.“
„Prima, Alter.“
„Sag Chess, - einfach Chess.“
„Okay - Chess.“
„Und jetzt klingelst du ... und in einer halbe Stunde bist du all deine Sorgen los.“
„Vergiss ja die Schlampe nicht. Ich brauch was vor die Pfeife!“
„Nein, vergesse ich nicht; ich vergesse nie was!“
„Du willst mich manipulieren, stimmts?“
„Ich will dir helfen...“ lasse ich Giftpilz ’Hoffnung’ in seinem Hirn keimen. Mache ihn zum Zombie, - während der Pilz wachsen wird, sich vermehrt und durch Suizid tötet. Hoffnung spielt immer das gleich irre Spiel. Egal, wo man hinsieht.


Bild 12

Im Knast vergeht die Zeit wie Sonntage auf dem Land. Träge. Kraftlos. Öde. Masse = Gleichmasse. Schlafen. Träumen. Leise Gitarre. Fado. Bestehend aus still stehender Aussicht in Ort wie Handlung. Wobei die wenigen Handlungen nicht mehr als inzestuöse Geschehen sind. Und der Rest aus Problemen besteht. Die Probleme wiederum Karikaturen der Welt draußen darstellen. Bis Doro zu Besuch kommt und ich denke, als ich sie sehe, es sei mir möglich für sie zu sterben. Und sie, eventuell durch die Faszination des Bösen in oder an mir, ähnlich dachte. Wie sie mir Minuten später erzählt.

„Von wem hast du das - mit dem Bösen?“
„Man spricht darüber...“, flüstert sie.
„Und, sehe ich so aus?“
„Zum Glück überhaupt nicht!“ strahlt sie. „Doch das habe ich ja schon beim Skypen bemerkt. - Kann das hier eigentlich jeder?“
„Nur wenn es zur Therapie gehört. Und in meinem Fall war der Psychologe mir noch was schuldig.“
„Willst du mir erzählen was?“ Wobei ich denke, andere Typen haben ihren wahren Charakter schon für wesentlich weniger verleugnet als sie mir zusätzlich sagt, „ ...die Menschen hier sind überhaupt alle so freundlich!“
„Das Gleiche habe ich heute Morgen über Tadschikistan gelesen. Und verhungern tut man da auch nicht. - Wenn du jetzt noch sagst, der Knast erinnere dich wegen der Backsteintürmchen der Kirche an eine russische Stadt, zum Beispiel St. Petersburg, wirst du von der Anstaltsleitung mit Gold und Geschmeide behängt.“
„Habe ich schon“, lacht sie. Legt den riesigen herbstfarbenen Schlauchschal a la Lenny Kravitz ab, - ein grobmaschiges Teil das schwach olivgrün ist und sich farblich an ihren Hosen orientiert. An den Bikerboots. An der Mary- Paul- Lederjacke. Und als sie die auszieht, in einem bequemen Pullover dasteht, und in Tatsache eine fette Portion Schmuck zum Vorschein kommt. „Alles leider nur Chi- Chi!“ sagt sie dazu. Um mich aus den Träumereien um ihre Person zu schrecken, als beim Hinsetzen das Knastmöbel grauenhaft quietscht und sie „Entschuldige bitte“ sagt. Und ich erst ab da die blond- gesträhnten Haare zum Turmdutt gebunden sehe; was mich wieder und wieder aufs Neue antörnt. Bei ihr besonders. Und ich glaube, auch das habe ich ihr schon gesagt.

„Immerhin, auf den ersten Blick ist deine Zelle direkt pompös. Die sieht erst auf den zweiten Blick steril aus. - Nur der Champagner, der Kaviar und die roten Rosen passen so überhaupt nicht ...“
„Das ist nicht meine Zelle, Doro, - die willst du bestimmt nicht sehen. Das hier ist die vom Pfarrer.“
„Ach so. Der arme Kerl, - was hat er denn verbrochen?“
„Nichts Schlimmes. Der hat hier lediglich seine Schäfchen zu betreuen.“
„Ach so“, schnallt sie - und lacht, „der ist hier beschäftigt...“ Und ich will ihr im Gegenzug die Grübchen küssen, - wäre da nicht dieser Lärm vor der Tür. Wohl ein Irrer, der gegen das Metall tritt und brüllt wie am Spieß. Bis ich Bodys Stimme höre, den ich zum Doorman befördert habe. Der aus dem Brüllen des Typen ein Wimmern zaubert, das dann zu einen Nichts von Geräusch wird, in dem ich mich wieder Doro zuwende, die blass geworden, fassungslos „...was war denn das...?“ fragt.
„Es gibt hier immer wieder mal Jungs, die ein elementares Bedürfnis haben mit Gott oder dem Teufel zu sprechen. Und das dann sofort.“
„Und?“
„Ich bin im Augenblick weder als das eine noch als das andere zu sprechen. Es sei, du willst mich...“

Einen Monat drauf teilt sie mir per Skype ihre Schwangerschaft mit, sagt UNS dazu – und ob ich mich drüber freuen würde ... Und ich muss ab da - wegen meiner guten Beziehungen und zwecks Charaktererprobung - nur noch nachts in den Knast. Dafür habe ich nun drinnen wie draußen zu tun die Raben ’von meinem Erbe’ weg zu halten. Draußen geht es um Eddy. Drinnen ist es Body; der mich aber wesentlich weniger stört. Eddy dagegen hat in den Jahren meiner Haft allerlei Geschäfte weit an mir vorbei gemacht. Und hängt zudem anscheinend die Nase zu tief in das Koks. Auch deshalb trage ich tags über Walther PPK die, wie James Bond sagt, wie ein Ziegel durch eine Glasscheibe abgeht. Eddy dagegen hat eine Beretta, deren Einschusslöcher man locker mit Egypt- Wonder- Puder überschminken kann, - wie ich Doro anlache, als sie an meinem Körper die Narben abtastet und dabei weint.

„Haben die alle eine Geschichte?“
„Ja, haben sie. – Ich möchte jetzt aber nicht drüber reden.“
„Später mal?“
„Ja!“
„Versprochen?“
„Ja.“
„Und wann ist später?“
„Nach dem unser Kind geboren ist.“
„Warum erst dann?“
„Weil es jetzt mithören kann. Und das ist nicht gut!“
„Liebst du mich?“
„So sehr ich kann!“
„Das ist schön...“

Toll singt Eva Cassidy ’Autumn Leaves’, findet Doro. Und ich finde das (je nach Stimmung) auch. - Mann, so weit ist es mit mir gekommen. Statt den Metallic- Beat komplett aus der Seele zu nehmen, mir die Einschusslöcher aus der Haut zu kratzen, den Hass aus der Faust (geschuldet dem Riss im Selbst), der Liebe eine Heimat, anstelle von positivem Energieschub ewiges Wühlen im Triebgrund: Masturbation... „I am tired, I am weary /I could sleep for a thousand years...“ Doch all dem steht erst mal Eddy entgegen, - der mich von hinten bis vorne betrogen hat, wie mir Mutter früher weinend auch über meinen Erzeuger erzählt/e. Ja. Auch deswegen ist Eddy meine Hauptaufgabe, wie früher mein Vater. Und eine solche Aufgabe hat Sprengkraft, - denn ’den’ Chess belügt und betrügt niemand ungestraft. Wetten?!


Bild 13

In der Haft beschränkt sich der Blick auf die Welt aus einem Nirgendwo. Wodurch eine solche Perspektive ständig eine all umfassende Sinnlosigkeit gebiert. Bei mir jedenfalls. Zwangsläufig versucht man in seinem eigenen Innenleben einen Platz zu finden. Eine Ruhezone. Um unbeschadet zu überleben. Doch auch das gelingt eher selten ’so richtig’. Es wird erst ein wenig besser, wenn man sich komplett an seiner persönlichen Schuld abgearbeitet hat. Doch auch dann. Weil die Frage bleibt, ob man ein solchermaßen erweitertes Bewusstsein draußen beibehalten kann. Genau durch solche Unsicherheiten bewegt sich meine Fledermaus. Ich fürchte nämlich, dass mir durch die Haftentlassung die Mitte meiner lang gehegten Ordnung verloren geht. Doch zum Glück vollzieht sich das unmittelbare Erleben vor dem Tor der Anstalt zuerst durch Doro - positiv, die ihre Schwangerschaft geschickt unter einem lila Fledermaustop von Jill Sander verbirgt. Blow- Up- Jeans trägt. Handgearbeitete Schlangenlederstiefel von Securty - als sie mich heiß und innig küsst. Ein wenig Paradies- Parfum zu viel. Doch dann steht da Eddy. Fels im dunklen Anzug mit Borsalino wie einst Alan Delon im gleichnamigen Film mit Jean-Paul Belmondo, der wegen seiner brutalen Dramatik für den Golden Globe Award nominiert war. Der mir kühl die Hand gibt und mir aus ’meiner’ Autosammlung – als wäre es seine - den sonnengelben Studebaker Champion 1957 präsentiert. Ein Cabriolet. Mein Lieblingsstück.

„Ich bin mit Mona“, sagt er nach der knappen Begrüßung, „und fahre mit der. Nimm du den Champion!“ Und schon wieder bringt mich sein Tonfall ins Nachdenken. Seine grinsende Fresse. Und ab da weiß ich, Eddy hat die Angst vor der Höhe verloren. Vor mir.



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