Markttag

Lyrischer Prosatext

von  Redux

Es war wie jeden Donnerstag:
Ich kam von der Arbeit,
müde und gestresst,
saß  auf dem Sofa,
16 Uhr 50,
hatte die Schuhe ausgezogen,
meine liebe Frau kam um die Ecke…
…“ fahr`mal schnell zum Markt hin,
hier ist der Einkaufszettel.“

Der kleine Ort platzte aus allen Nähten.
Wie jeden Donnerstag.
28000 Fußgänger
und 79000 Autos wieselten durch den Ortskern.
Wurden Parkplätze zufällig frei,
scherten Mütter mit ihrem VW Polo
blitzschnell in die Parklücken hinein,
auf die man drei Stunden lang gewartet hatte.

Man war ein einziges unter Dauerstrom stehendes Nervennetz.
Nach vier Tagen hielt ich im absoluten Halteverbot.

Ich hatte vergessen:
Geldbörse, aber auch EC-Karte.
An der Sparkasse hob ich mal eben 100 Euro ab,
aber ich traf Jens, der mich zutextete,
Nachbar Josef, ein tödlich gelangweilter Rentner,
ich traf Lutz, Nico, Babsi, Lara, Jochen,
ich war das Trichterohr der Nation
und grundsätzlich höflich.

Nach vier Wochen begab ich mich auf den Weg.
Es war Herbst geworden.

Auf dem Weg zum Wochenmarkt passierte ich
die Stände der CDU, der SPD, der FDP, der Grünen,
der Tierversuchsgegner, der Atomkraftgegner,
der Antiatomkraftgegner,
der Witwenverbrennungsgegner.

Darüber wurde es Frühjahr.

Ende März fand ich einen Altpapiercontainer,
in dem ich 537 Flyer entsorgen konnte.
Dann traf ich noch Birgit, die vom Urlaub erzählte.
Eric, der vom Rauchen-Aufhören erzählte.
Bertram, der mir seinen neuen Ford Focus C-Max zeigte.
Stefan, der mir von seinem neuesten Seitensprung erzählte.
Manuel, Timo, Jessica, Peter…

Es war wieder Herbst geworden.
Dann war da noch der Markt.
Ich musste zum Gemüsestand.
Zum Käsestand.
Zum Brotstand.
Zum Wurststand.
Zum Sockenstand.
Zum Süßigkeitenstand.
Und zum Biogemüsestand.

Und mein Einkaufszettel lag im Auto.

Dann endlich hielt ich ihn in den Händen.
Über unzählige Wege
( Jens, Lara, Polizei, Abschleppdienst)
hatte ich meinen Wagen ausfindig gemacht.
Drei Jahre später machte ich mich wieder auf den Weg.
Nachdem ich alle Stände, Boris, Birgit, Marion,
Altpapiercontainer, einen Unfall ( ich als Hauptzeuge)
Egon, Vera und wieder Seitensprung- Stefan passiert hatte,
lag der Markt vor meinen Augen.

Es dauerte dann durchschnittlich ein Jahr pro Marktstand.
An jedem Stand unübersehbare Schlangen.
Frauen, die jedes Gemüse befingerten,
sich Frische und Konsistenz erfragen mussten,
obwohl 121 wartende Kunden in ihrem Schlepptau
mit in Hosentaschen geballten Fäusten
sich die Beine in den Hintern standen.

Ich hatte aber mittlerweile Weisheit und Genügsamkeit
entwickelt, ein reifer Mann war ich geworden.

Und um alle Bitternisse des Seins ertragen zu können,,
gedieh in mir auch die erforderliche Portion Zynismus.
„ Wer gesund leben will“, sagte ich mir,
in einer endlosen Schlange am Biogemüsestand harrend,
„ der muss sich halt in die Herde
der herumeiernden Ökotanten mit einreihen.“

Nach elf Jahren schleppte ich,
ein schwer bepacktes Zirkuspferd,
73 Kilogramm Gurken, Zucchini, Tomaten, Vollkornbrote,
Lammfellsocken, Lakritz, Kartoffeln, Möhren, Ziegenkäse,
Paprika, Schafskäse, Wassermelonen,
Wasserkocher und Teelichter
zu meinem einstmals gewählten
Parkplatz im absoluten Halteverbot,
ohne daran zu denken,
dass der Wagen
dort nicht mehr stand
und es ihn auch nicht mehr gab.

In einem langen Leben vergaß man so Vieles.

Ich traf dann noch Lennard und Babsi,
Frank und Udo.
Und wieder Stefan.
Der hatte mittlerweile die Frau seines Lebens getroffen.
Nur noch ganz selten waren Seitensprünge drin.

Den Heimweg trat ich zu Fuß an.
Mit letzter Kraft schleppte ich mich zur Haustüre.
Ich warf sämtliche Einkaufstüten
auf den Küchentisch.
Daran saß meine Frau.
Sie war alt geworden.
Hatte Falten, graue Haare und keine Zähne mehr.

„ Wieso hat das so lange gedauert?“, fragte sie.
„ Frag`mich nicht“, antwortete ich.

Ich ging zum Sofa, langsam, ein alter Mann,
zog die Schuhe aus und legte mich hin.

„ Das nächste Mal gehst du, O.K?“

 



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (24.05.25, 12:17)
Das Positive an all dem: Immerhin hatte die Frau auf ihren Mann gewartet, statt mit dem Nachbarn durchzubrennen.
Ein klarer Fall von "Always look on the bright side of life".

 TassoTuwas (24.05.25, 12:46)
Moin Redux,

so ein Leben, ohne Langeweile, ist ein echter Glücksfall  :D  !

LG TT

 Teo (24.05.25, 12:48)
Moin Hebbert,
Witwenverbrennungsgegner? Ich werde demnächst aufmerksamer über Wochenmärkte gehen.
Ich suche immer den Stand der Schalkeverhauer.
Schönes Wochenende 
Teo

 Isensee (24.05.25, 12:53)
Ey Redux, dein Text ist wie ne Thermohose im Sommer: gut gemeint, aber keiner will drin stecken.
Liest sich wie ein selbstironischer Höllenritt durch deutsche Mittelstandshölle, aber du reitest das Ding tot, steigst dann nochmal auf, reitest rückwärts weiter und erklärst unterwegs jedem Passanten nochmal den Witz.
Tempowechsel? Fehlanzeige. Die Pointe hat sich verlaufen zwischen Jens, Lutz, Timo und der fünften Wurstschlange.
Du willst Kafka im Supermarkt sein, bist aber eher Loriot nach 14 Stunden Schlafentzug.
Klar, ist irgendwo charmant, wie du den Irrsinn des Banalen mit Altersmilde bepinselst – aber irgendwann will man dir halt den Einkaufszettel ins Gesicht tackern und schreien: „Komm auf den Punkt, Alter!“
Und trotzdem:
Du hast’s geschafft, dass ich bis zum Schluss lese.
Vielleicht weil’s echt ist. Vielleicht weil da unter all dem Geklapper ein Puls schlägt, der was vom Leben weiß.
Vielleicht sogar, weil ich mich erwischt fühl beim Lachen über Dinge, die eigentlich traurig sind.
Du bist nicht clever. Du bist hartnäckig.
Und das hat was.

 Isensee meinte dazu am 24.05.25 um 13:00:

 Maroon (24.05.25, 13:00)
Mann, das ist wirklich lange her, dass Mütter noch Polos fuhren und keine unförmigen SUVs. Bist du sicher, dass du nur elf Jahre unterwegs warst? :)

lg
Maroon

 Aron Manfeld (24.05.25, 13:13)
Da muss ich unserem Easy beipflichten, Herbert - zwischenzeitlich weggenickt.
Zur Zeit online: