Kanzler der Deutschen Einheit

Glosse zum Thema Politik

von  loslosch

Facilius plerumque est egestatem ferre in hac natis (Quintilian, 35 n. Chr. bis ~96 n. Chr.; Declamationes minores). Meist ist Armut von denen leichter zu ertragen, die in ihr geboren wurden. Oder: Wer in Armut geboren ist, kann sie meist leichter ertragen.

Ein uralter, einleuchtender Gedanke, dessen Gültigkeit noch in der Gegenwart verkannt wurde. Als 1989 die Berliner Mauer fiel und nach und nach die desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse der anderen Republik ans Licht kamen, wurde von Politikern und Medien kolportiert, die DDR wäre ohnehin in Kürze zusammengebrochen. Dem widerspricht die alte antike Lebensregel. Der Zusammenbruch kam via Implosion der UdSSR, die ihre Hochrüstung nicht mehr finanzieren konnte, jedenfalls nach realistischer Einschätzung ihres damaligen Präsidenten Michail Gorbatschow. Dieser war der eigentliche "Kanzler" der Deutschen Einheit. Selbst Lafontaine, der sie zu verhindern trachtete, hätte sie nur, nach Monaten bemessen, verzögern können. Seine nachmalige Rolle als Parteiführer der Neuen Linken unterstreicht dies.

Nach der alten römischen Sentenz kann alles immer noch tiefer sinken, wenn nur die Prozesse des Niedergangs nicht sprunghaft, sondern annähernd stetig verlaufen. Nachwachsende Generationen werden dann immer wieder in die Armut hineingeboren. Ein aktuelles Beispiel erwünscht? Kuba mit seinem ewigen Comandante.

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (02.09.10)
Sehr gewagt, Lothar, Gorbatschow nachträglich als eigentlichen "Kanzler" zu bezeichnen, wenn auch in Anführungszeichen.
Ob die DDR trotz wirtschaftlicher Nöte über längere Zeit weiter fortbestanden hätte, ist eine interessante Frage. Aber Kuba als Beispiel? Immerhin steht das Land auf Platz 105 weltweit im Mittelfeld beim Bruttoinlandsprodukt und beim Human Development Index, der den Lebensstandard misst, sogar auf Platz 51 - Einstufung: Hoch entwickelt.
LG, Dirk
(Kommentar korrigiert am 02.09.2010)

 loslosch meinte dazu am 02.09.10:
Ich hab mich mit dem HDI herumgeschlagen. Klar, sie haben ein gutes Bildungssystem, hohe Alphabethisierungsrate, med. Grundversorgung. Nach HDI ein hochentwickeltes Land, wie Bulgarien und Weißrussland ...

Mittelfeld beim BIP. Es gibt viel Armut und Elend weltweit. Cubas BIP liegt niedriger als zum Ende des kalten Krieges, wohl 1990. Die sind auch stark in einzelnen Sportarten (Boxen, Leichtathletik). Und die Menschen dort haben ein sonniges Gemüt, es kommt ja viel davon von oben. Die sind hochleidensfähig, wie die Römer schon wussten. Immerhin, Du hast mich zu einer Fortbildungsveranstaltung geschickt. Lothar

 loslosch antwortete darauf am 02.09.10:
Heute hörte ich in wdr5: Bei Presse- und Meinungsfreiheit seien weltweit nur 5 Länder schlechter dran als Kuba, zwei davon seien Iran und Nordkorea. Man könnte sagen: Das hat nun Fidel davon, erst fördert er die Bildung, und dann bekämpft er die unliebsamen Folgen. Lo

 Bergmann (02.09.10)
In dem Zusammenhang fällt mir der Vorwurf Ernst Schumachers (SPD) gegen Adenauer ein: "Kanzler der Alliierten"... (Anfang der 50er Jahre)

 loslosch schrieb daraufhin am 02.09.10:
Nicht dass Altkanzler HK im Nachhinein zum Kanzler der Russen stilisiert wird. Wohl meinst Du den Kurt Schumacher. Aber der Ernst, Jg. 1921, könnte sowas auch gesagt haben. :) Lothar

 Bergmann äußerte darauf am 02.09.10:
Natürlich Kurt, pardon. - Es gibt noch einen Kanzler von Gasprom...

 loslosch ergänzte dazu am 02.09.10:
... der gern in die Röhren schaut und davon gut satt wird. Lo

 AndreasG (02.09.10)
Vielleicht ist die Gewöhnung das größte Problem. Dazu kommt die Angst das Gewohnte zu verlassen oder zu verlieren ...
Beides zeigt deutlich, dass der Mensch eigentlich die Stagnation anstrebt (etwa, weil er denkt, dass er nicht sterben würde, wenn sich nichts verändert?) und lieber den altbekannten schlechten Kram annimmt, als das Fremde und Unbekannte zu erforschen (als Extrem gibt es natürlich auch das Gegenteil). Gekoppelt mit einem schlechten Gedächtnis wird dann ein "Kanzler der Einheit" gefeiert, der die Probleme nur Ausgesessen hat, der für Amigos das Recht brach und dem die Wiedervereinigung in den Schoß fiel.
Schlimm ist auch der Punkt, dass schleichende Verschlechterung nicht wahrgenommen, sondern hingenommen wird. So funktioniert seit Jahrzehnten das weltweite Wirtschaftssystem und die Bereicherung (denn auf der anderen Seite zählen Gewinne längst zu den Negativpunkten, es zählen nur Gewinnsteigerungen).
Ein Text, der nachdenklich macht.
Liebe Grüße,
Andreas

 loslosch meinte dazu am 02.09.10:
Wenn die Römer aus heutiger Sicht manchmal auch daneben lagen, so waren sie ohne großes theoretisches Rüstzeug doch gute praktische Psychologen. Ein Bogen zur Moderne lässt sich fast mühelos immer wieder spannen. HK mochte ich im Text bewusst nicht namentlich erwähnen. Sein Zwölf-Punkte-Programm von Dezember 1989 war ein Auswuchs von Kleinmut, so kuschte er vor Mitterand und Thatcher (welch letztere er so gar nicht mochte).

Nur bei den Staatsschulden läufts anders. Der leichte Rückgang der Neuverschuldung wird als Erfolg gefeiert, während die Staatsverschuldung als Ganzes weiter steigt, nur ein bisschen weniger steil im Anstiegswinkel. Lothar
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