Führungsqualitäten

Glosse zum Thema Politik

von  loslosch

Dissimulare qui nescit, nescit imperare (Wahlspruch von Ludwig XVI., 1754 bis 1793). Wer sich nicht zu verstellen weiß, der weiß auch nicht zu herrschen.

Der mit der Guillotine enthauptete König war in jungen Jahren ein fähiger Lateinschüler und weniger absolutistisch eingestellt als die Amtsvorgänger in einer langen Kette seiner Vorfahren. Immerhin durchlebte er die Wirren der Französischen Revolution etwa dreieinhalb Jahre, trotz seiner misslungenen Flucht im Juni 1791. Die Lektion seiner Losung (s. o.) dürfte er demnach ausgezeichnet verinnerlicht haben.

In demokratisch verfassten Regierungssystemen hat dieser Gedanke seine Berechtigung nicht verloren. Die scheinbar harmlos klingende Variante "Begehe die Grausamkeiten zu Beginn einer Legislaturperiode" suggeriert, dass die Wähler bis zum Ende der Wahlperiode das meiste wieder vergessen haben. Umgekehrt hätte dann aber auch zu gelten: Versprich dem Wahlvolk kurz vor der Neuwahl das Blaue vom Himmel (z. B. nichtfinanzierbare Steuersenkungen). Es wäre eine kaum verhüllte Nutzanwendung aus der Verhaltensregel von Ludwig XVI. Kommt einem bekannt vor.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (08.04.13)
Was den Träger dieses Wahlspruchs angeht: Da er - machtpolitisch gedacht - seine Herrschaft nicht erhalten konnte, hat er sich wohl nicht genug verstellt? Ich denke jedoch eher, dass seine zahlreichen Verstellungen so sehr durcheinander gebracht haben, dass er gar nicht mehr in der Lage war, dass, was im Land vor sich ging, zu registrieren bzw. drauf zu reagieren.

Auf die heutige demokratische Zeit angewandt ist es, wenn man diesen Worten folgt, wohl eher die Pervertierung des Kompromiss'.

 loslosch meinte dazu am 08.04.13:
mir ist nicht ganz klar, was du mit pervertierung des kompromisses ausdrücken willst. jedenfalls ist die sentenz, auf die sich schon friedrich I. barbarossa im 12. jh. voller stolz berief, aus heutiger sicht eine zynische. lo

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 08.04.13:
Eine demokratische Gesellschaft ist ja auch immer eine Konsensgesellschaft. Und der Kompromiss lebt ja davon, dass zu seiner Findung klare Positionen bezogen werden, von denen die unterschiedlichen Fraktionen dann aber in ihrer idealtypischen Form abrücken müssen, damit ein Kompromiss hergestellt wird, ein Konsens gefunden wird, der für beide Seiten tragbar ist. Zu viel Verstellung - ganz gleich ob der Macht wegen oder aus einem anderen Grund - führt aber nur zu einem Scheinkonses, der im schlimmsten Fall die demokratische Gesellschaft erschüttern kann. Und zu viel Verstellung ist eben darum eine Pervertierung, weil das oben von mir Beschriebene eben nicht nur ein zufällig ausgedachtes Prozedere ist, sondern auf dem ethischen System der Demokratie, mithin der Aufklärung beruht.

Du denkst jetzt vielleicht, dass ich da ein hoffnungsloser Romantiker bin und das Tagesgeschäft der politischen Gefechte heute ganz anders aussieht - und ich würde dir in beiden Punkten recht geben.

 EkkehartMittelberg (08.04.13)
Ich finde den Wahlspruch in seiner schonungslosen Offenheit sympathisch. Er ist ein wenig töricht, weil man die Verstellung demaskiert, indem man ausdrücklich auf sie hinweist.
Der König hätte klüger etwa so formuliert:
"Wenn du herrschen willst, darfst du dein Herz nicht auf der Zunge tragen." Dann hätte er die negative Konnotierung von "verstellen" vermieden.
t.t.
Ekki

 loslosch schrieb daraufhin am 08.04.13:
der spruch ist ja älter, wie ich im kommi zu trekan schrieb. wohl vor dem 12. jh. da wurde noch richtig geholzt, ekki. das waren keine frühdemokratischen weicheier. t.t. lo
(Antwort korrigiert am 08.04.2013)

 Didi.Costaire (08.04.13)
Es scheint sich bei Louis' Aussage um eine durch die Jahrhunderte vorherrschende Führungsdoktrin zu handeln. Manchmal ist die Ausführung etwas plump und es wird vor Wahlen von einem niedrigerem, einfacherem und gerechterem Steuersystem gefaselt. Was danach in erster Linie sinkt, ist die Führungsqualität.
Schöne Grüße, Dirk
(Kommentar korrigiert am 08.04.2013)

 loslosch äußerte darauf am 08.04.13:
am thema dran! am schluss hatte ich den allseits geliebten guido w. im visier. grüße nach Celle. lo

 loslosch ergänzte dazu am 08.04.13:
übrigens von s. 195 der aphos, leicht bearbeitet.

 Bergmann (08.04.13)
Zustimmungswürdige Kommentierung!
ttU

 loslosch meinte dazu am 08.04.13:
du kennst das original, s. 195 der aphos, uli. t.t. lo
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