Mit großen Schritten (holt uns die Vergangenheit ein)

Text zum Thema Abschied

von  ZornDerFinsternis

Wenn mich nur ein einziger Mensch vermissen wird,
weiß ich, dass ich etwas falsch gemacht habe.
Erinnerst du dich?
Eine lauwarme Frühsommernacht. Im Stadtpark.
Zwischen Obdachlosen. Dreck. Müll und Tauben.
Und so unterschiedlich wir dort waren, wir hatten eines gemein.
Den Schmerz. Die Einsamkeit.
Das Leben hat uns gerne als Abfalldeponie genutzt.
Gerne seine Späße mit uns getrieben.
Und ich weiß noch genau, wie wir unter dem Sternenhimmel lagen.
Die Pulle Fusel in der Hand. Schon irgendwo zwischen Alkoholvergiftung
und komatösem Zustand angelangt. Doch, nicht angekommen. Niemals ankommen.
Ja, das ist unsere Bürde, die uns eint. Ein ewiges Fortlaufen, vor dem Nichts
und der bedeutlosen Existenz, die man uns auferlegte.
Der kleine Ring in deiner Nase blinzelte zwischen Dunkelheit, den Sternen und den weit
zurückligenden Lichtern der Stadt.
Lavendel, ein wenig Anis und Schweiß lagen über uns.
Betteten uns ein. In eine Art von Tagtraum. Irgendwas.
Du hattest mich angesehen. Mit deinen großen Augen, die immer traurig waren.
Hast nach meiner Hand gefasst und leise geflüstert.
"Du...?", hattest du gehaucht. Ein wenig ängstlich.
Ich weiß, wie mein Herz bis in meinen Schädel zu springen drohte.
Wie eine Granate, alles zerfetzen würde, wenn man den Stift entfernt hatte.
Wieder. Bilder. Erinnerung. Schmerzen. WHISKY.
Wir schwiegen. Einige Minuten. Dann eine Dreiviertelstunde.
Und irgendwie klarte der Himmel auf. Verlor sich alles in Rausch, Flucht und einem
bonbonzartem Morgenrot. Kein Wort. Einzig, die Stille die sich um uns räckelte, wie
eine billige Hure.
Dein Magen knurrte zu erst. Meiner meldete sich wenige Augenblicke später zu Wort.
Egal. Es gab keine Verpflichtungen mehr. Wir hatten nichts. Wir hatten Schnaps.
Kippen. Und, wir hatten uns.
Ein neues Brandloch, neben den Messerschnitten.
Die ersten Vögel zwitscherten zwischen Morgensonne und Wolkenkratzern.
"Gib' mal deine Tasche.", sagte sie.
Verwundert, starrte ich sie an. Einen ewig scheinenden Augenblick lang.
Ich reichte sie zu ihr herrüber.
Irgendwie fluchte sie vor sich hin, während sie mit dem lockigen Kopf völlig
von der Tasche verschlungen zu werden, drohte.
Ein altes Busticket. Eine Hand voll Kondome und Tabakkrümel wurden auf der Wiese verstreut.
Sie grinste. Sommersprossen. Die mag ich. Irgendwie sexy.
"Ann...", sagte ich und sie schrack zusammen.
"Nicht...", sagte sie und ihr Lächeln wich mit den letzten Schleiern der Nacht.
Ann drehte sich um, verschränkte die Arme, schnüffte und fläzte sich im Schneidersitz vor mich.
Kippe. Whisky. Kippe. Joint.
"So.", Ann lächelte. Zaghaft und liebevoll.
"Nimm. Bitte nimm und denk nicht an mich. Ich hab dich lieb".
Sie drückte mir einen Klumpen Papier in die Hand. Umarmte mich.
Schwächlich, wie sie es immer tat. Ihre Arme waren noch immer vernarbt.
Wieder waren neue Schnitte und Verletzungen dazugekommen.
"Cya.", sie lächelte. Der Wind strich durch ihr bleiches Gesicht.
Ich schwieg. Als ich nur noch ihre Lockenpracht in der aufgehenden Morgensonne ausmachen
konnte, war mir klar, dass sie nie mehr wiederkommen würde.

Ja. Ann...
Erde bedeckt den hölzernen Kasten, in dem deine Gebeine vor sich hinrotten.
Ich halte eine Rose.
Leise weine ich, neben diesem kalten Stein, der deinen Namen trägt.
In meiner rechten Hand, den kleinen Origami-Schmetterling.
Und die Sonne lacht auch nach 1397 Tagen. So, als seist du nie hier gewesen.
Niemals fortgegangen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram