Diaphora-Projekt. Zwei Rezensenten. Ein Tatsachenbericht

Erzählung zum Thema Kritik/ Kritiker

von  EkkehartMittelberg

Zwei Freunde der Literatur, beide gleichermaßen kreativ und rhetorisch begabt, beschlossen gleichzeitig Rezensenten zu werden. Sie konnten sich jedoch über den Weg dorthin nicht einigen.
Der eine verkündete, er wolle ab sofort keine Literatur mehr schreiben, weil er so öfter Erlebnisse des Scheiterns haben würde. Die würden ihn korrumpieren, sein Urteil bestechlich machen. Er müsse als Rezensent frei von falscher Milde sein und Schwächen unvoreingenommen benennen. Das könne er aber nicht glaubwürdig, wenn er Fehler aufdecken solle, die zu vermeiden er selbst nicht in der Lage sei.
Der andere hielt dagegen, dass man Techniken des Schreibens und kreative Ideen erst dann wirklich würdigen könne, wenn man sich selbst daran versucht habe.
So starteten sie ihre Karriere unter ungleichen Voraussetzungen. Der, der auf alle Versuche zu dichten verzichtete, wurde ein angesehener, gefürchteter Rezensent, der andere landete bei der lokalen Gratifikationspresse.


Anmerkung von EkkehartMittelberg:

Textbeitrag von Ekkehart Mittelberg zum Thema des Diaphora-Projekts „Schreiben über Schreiben“

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (05.02.13)
der eine war der hochbetagte marcel reich-ranicki, der andere blieb so unbekannt, dass (nicht einmal) ich ihn kenne. oder war ich das? lo

 ViktorVanHynthersin meinte dazu am 05.02.13:
Ich tippe auf Hellmuth Karasek.
Herzlichst
Viktor

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 05.02.13:
@Lothar und Viktor: Vielen Dank für eure Kommentare: Ich habe bei dem Abstinenten tatsächlich an Marcel Reich-Ranicki gedacht. Für den anderen hatte ich kein konkretes Vorbild. Hellmuth Karasek ist wohl über die Gratifikationspresse hinausgekommen. Er macht freilich den Fehler, sich zu billig zu verkaufen.
LG
Ekki
Nimbus (37)
(05.02.13)
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 Didi.Costaire schrieb daraufhin am 05.02.13:
Der dritte Rezensent (derjenige, der seine Rezension an die falsche Zeitung schickt) würde im realen Leben gar nicht veröffentlicht werden.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 05.02.13:
Merci, Heike, nach meiner Vorstellung bleiben sie sich beide treu. Mit der Projekt-Zuweisung bin ich noch ein bisschen unbeholfen. Beim nächsten Mal wird es klappen.
@Didi: Danke. Es gibt sicher viele gute Rezensenten, die es nie schaffen, bei der richtigen Zeitung zu landen.
LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (05.02.13)
Und die Lehre der Geschichte: Bist du auf öffentliche Anerkennung erpicht, rede über Kreativität und vermeide es unter allen Umständen selbst kreativ zu sein.

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 05.02.13:
Grazie, Trekan. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Der Rezensent, der selbst nicht kreativ schreibt, ist kaum angreifbar, es sei denn, jemand nimmt seine Rezension auseinander, aber dafür gäbe es nur die wenig wirksame Methode von Leserbriefen.
MelodieDesWindes (36)
(05.02.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.13:
Vielen Dank, MedeWi. Ich lasse das hier noch ein bisschen weiter laufen und versuche dann den Beitrag mit thread unter Diaphora-Projekt einzustellen.
VG
Ekki

 ViktorVanHynthersin (05.02.13)
"Ein schlechter Schriftsteller wird manchmal ein guter Kritiker, genauso wie man aus einem schlechten Wein einen guten Essig machen kann." Henry de Montherlant
In diesem Sinne )
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.13:
Muhahaha, Viktor, ob Reich Ranicki zu diesem herrlichen Zitat wohl beifällig grinsen würde?
Mille gracie und herzliche Grüße
Ekki
Möwe (63)
(05.02.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.13:
Vielen Dank, liebe Ilona, auf deine Frage hätte ich auch gern eine Antwort. Ich vermute, dass seine weitgehend unangefochtene Position seinem Ego sehr gut tut.
GlG
Ekki
chichi† (80)
(05.02.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.13:
Vielen Dank, Gerda. Ich glaube kaum, dass der Erfolg von Rezensenten statistisch erfasst ist. Aber ich bin sicher, dass es meistens so läuft, wie in meiner Erzählung geschildert.
LG
Ekki

 AZU20 (05.02.13)
Wen hast Du denn da im Visier? LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.13:
Danke, Armin. Außer Reich-Ranicki hatte ich keinen bestimmten im Visier. Aber ich halte es für eine Tatsache, dass diejenigen, die selbst schreiben, als Rezensenten meistens mehr Skrupel haben und für sensationelle Verrisse weniger geeignet sind.
LG
Ekki

 Lluviagata meinte dazu am 05.02.13:
Ja, das wird wohl so sein. ;)

Liebe Grüße
Llu ♥
Dieter Wal (58) meinte dazu am 06.02.13:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.02.13:
Das ist schon okay, aber Memoiren sind nicht das literarische Sujet, das gepfefferte Rezensionen provoziert und darum geht es hier.

 moonlighting (07.02.13)
Es ist leicht, ein Werk zu kritisieren. Aber es ist schwer, es zu würdigen.

Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues


LG
Moon

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.13:
Wie wahr! Vielen Dank, Moonlight.
LG
Ekki

 rabenvata (07.02.13)
Wie viele praxisuntaugliche Rezensenten werden bestochen, um Werke hochzujubeln, die nach literatur-wissenschaftlichen Aspekten kein Lob verdient hätten oder andere zu verreißen, denen die Anerkennung von geistig wertvoller Arbeit zustehen würden? Ich hörte, das seien etwa 50 %.

Gehen wir also davon aus, dass die Hälfte der Beurteilungen wie Vollstreckungen oder unverdiente Krönungen vollzogen werden, wird alles zur Farce. Ich frage mich, was kann ein Leser noch auf eine Rezension geben?

überlegt zumindest
rv.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.13:
Vielen Dank, Rabenvata. Ja, so lange es Rezensionen gibt, werden Rezensenten bestochen. Wenn man eine hohe Dunkelziffer annimmt, könnten es tatsächlich 50% sein.
Honore de Balzac hat einen an Spannung nicht zu überbietenden Roman geschrieben, in dem Rezensionen und selbstverständlich auch bestochene Rezensenten eine große Rolle spielen: "Verlorene Illusionen".
Liebe Grüße
Ekki

 NormanM. (09.02.13)
Unabhängig von den Ergebnissen der beiden Personen gibt es wahrscheinlichen nicht den richtigen Weg. Grundsätzlich ist an beiden Strategien etwas Wahres dran.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.02.13:
Ja, so sehe ich es auch, Norman. Vielleicht sind die Rezensionen von Autoren, die selbst schreiben, tendenziell gerechter, weil sie ja Schwierigkeiten der Gestaltung erfahren, statt sich in sie hineindenken zu müssen.
Vielen Dank
Ekki
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