Aphorismen zum Gefallen

Aphorismus zum Thema Wertschätzung

von  EkkehartMittelberg

Dieser Text ist Teil der Serie  Aphorismen
1. Manches gefällt, obwohl oder weil es fehlerhaft ist.

2. Meistens setzt der Verstand erst ein, wenn etwas bereits gefällt.

3. Gefallen und Gefälligkeit liegen nahe beieinander.

4. Ein Werk, das einem persönlich missfällt, dennoch für Kunst zu halten, zeugt von objektivem Denken.

5. Mit einem singulären Geschmack beginnt die Entwicklung zur Persönlichkeit.
Ekkehart Mittelberg, Juli 2014

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (08.07.14)
Vielleicht auch darum weil zu große Schönheit auch abschrecken kann... oder einfach selbst die Blinden anzieht. Aber das besondere muss man erkennen können. Und mit dem Gefallen kann man - ganz gleich wie dieses Wort nun zu deuten ist - einen individuellen Weg beschreiten.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Vielen Dank. Ich hatte deine Deutung von 1. im Sinn Trekan.
zu5: Ja, das Gefallen kann der Beginn eines individuellen Weges sein, wenn man sich darüber klar wird, was es auslöst.
BellisParennis (49)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 08.07.14:
Merci, Carsten, mir sind deine Signale für weiteres Nachdenken wichtig.
LG
Ekki
Persipan (74)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 08.07.14:
Hallo Pers, ein Aphorismus wirkt u.a. dann, wenn du meinst, seinen Inhalt schon gedacht zu haben. Gute Aphorismen dürfen in der Luft liegen.

Ich sage nicht dazu, wie sich eine Persönlichkeit entwickelt, deren Beginn in ihrem singulären Geschmack liegt.

Gruß
Ekki
Abulie (45)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 08.07.14:
Vielen Dank für dein sorgfältiges Nachdenken, Abulie.
Es macht Snn, 1 und 2 aufeinander zu beziehen, wenn einem daran gelegen ist, dass rational Geprüftes gefallen soll.
Zu 4: Man kann sich das Gemeinte am besten an einem Beispiel verdeutlichen. Es gibt namhafte Musikkritiker denen der Komponist Richard Wagner persönlich nichts gibt, die aber dennoch nicht auf die Idee kämen, deswegen sein Werk für kunstlos zu halten.
zu 5: Hier komme ich zu deinem Ergebnis: Die Entwicklung einer Persönlichkeit kann auf dem Veränderungspotenzial ihres Geschmacks beruhen, aber auch auf eigenwilligem Beharren, das eine bestimmte Geschmacksrichtung bis ins Letzte zu ergründen versucht.
Liebe Grüße
Ekki
Abulie (45) ergänzte dazu am 08.07.14:
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 loslosch (08.07.14)
nr. 2 richtet sich an jüngere semester. aber auch ältere sind dieser einsicht bedürftig.
janna (66) meinte dazu am 08.07.14:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Merci Lothar und Janna, ja, das Gefallen läuft wohl mehr über die sinnliche Wahrnehmung, der sich auch ältere Semester nicht entziehen können, als über den kontrollierenden Verstand.

 TassoTuwas (08.07.14)
Hallo Ekki,
die eins hat etwas Menschliches.
Perfektionismus macht manchmal Angst.
Herzlich Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Grazie Tasso, ich denke auch, dass der Hauptgrund für das Funktionieren von 1 in der Angst vor Perfektionismus liegt.
Herzliche Grüße
Ekki

 Vaga (08.07.14)
Über Punkt 4 denke ich folgendermaßen:
Was ist 'objektives Denken' in Bezug auf die Kunst?
In Bezug auf die Kunst kann es das m. E. nicht geben. Betrachte ich ein Bild, eine Skulptur, lese ich ein Gedicht, höre ich ein Musikstück, bin ich durch meine autobiografisch geprägte Denke, vom ersten Augenblick an Subjekt, das sich in etwas hinein versenkt. Und: Mir begegnet ein Subjekt, das mir etwas zu zeigen, etwas zu erklären, etwas nahe zu bringen hat von sich. Unvoreingenommen könnte ich m. M. n. nur sein, wäre ich 'leer', ohne jegliche Erfahrung meiner Sinne. Gerade die Kunst ist m. E. ein Metier, in dem das Subjektive im Vordergrund steht. Und spannend ist, zu hinterfragen, warum missfällt etwas, warum können sich sogar spontan Ängste entwickeln, wenn wir etwas betrachten, hören oder betasten. Ich halte generell ein so genanntes 'objektives Denken' für fragwürdig, geschweige denn erstrebenswert. Ein Kunstwerk vorschnell subjektiv zu 'verurteilen' allerdings, ohne Hinterfragung der eigenen Gedanken bzw. Hinterfragung der dargebrachten, scheint mir auch töricht. Deshalb wäre das 'subjektive (Da-)Nachdenken', also nach dem Befassen mit einem Kunstwerk, einen Aphorismus wert .

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Liebe Vaga, wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in einen unfruchtbaren Streit über Worte verstricken. Ich versuche hier deutlicher auszuführen, was ich unter „objektivem Denken“ verstehe.

Ich räume gerne ein, dass in den Kunstwissenschaften der erste subjektive Zugang zu einem Kunstwerk ein sehr hohes Gewicht hat und haben muss. Er findet auf der Gefallensebene statt.
Dabei kann es sogleich zu einer angemessenen Erfassung der Intention des Gedichts kommen. Er kann aber auch völlig daneben liegen , so, wie es mit der ersten Rezeption von Celans „Todesfuge“ in der Gruppe 47 geschah.
„Celans Todesfuge blieb bis zur Veröffentlichung von Mohn und Gedächtnis im Dezember 1952 in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Eine Lesung Celans auf der Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952, die auf Vermittlung der Wiener Freunde Ingeborg Bachmann, Milo Dor und Reinhard Federmann zustande kam, wurde zum Misserfolg. Walter Jens erinnerte sich 1976 im Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold an die Lesung: „Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man: ‚Das kann doch kaum jemand hören!‘, er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht, ‚Der liest ja wie Goebbels!‘, sagte einer. […] Die Todesfuge war ja ein Reinfall in der Gruppe! Das war eine völlig andere Welt, da kamen die Neorealisten nicht mit.“[70] Hans Weigel fügte hinzu, „daß nachher einige Kollegen höhnisch vor sich her skandierten: ‚Schwarze Milch der Frühe …‘“ und Hans Werner Richter kritisiert habe, Celan habe „in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge“.[71] Celan selbst kommentierte in einem Brief an seine Frau Gisèle: „Jene also, die die Poesie nicht mögen – sie waren in der Mehrzahl – lehnten sich auf.“[72] Immerhin wurde bei der Lesung der Cheflektor der Deutschen Verlags-Anstalt auf Celan aufmerksam, worauf diese im Dezember Mohn und Gedächtnis publizierte.[73] Ernst Schnabel veranstaltete nach der Tagung eine Lesung im NWDR.“ (Quelle:Wikipedia: Todesfuge)
Später hat man dann versucht, den Umgang mit diesem Gedicht zu objektivieren und kam zum Beispiel zu folgendem Ergebnis:
„Ute Harbusch unterscheidet drei Positionen in der Auseinandersetzung mit dem Wirklichkeitsgehalt der Bildersprache Celans. Einmal lese man, Celan wende sich gänzlich von der Wirklichkeit ab, ein anderes Mal, er verwandle Wirklichkeit in reine Poesie, und ein drittes Mal, er stelle gerade durch seine nicht-naturalistische Weise des lyrischen Sprechens ein „mimetisches Verhältnis zur Wirklichkeit“ her. Sie sieht darin „Positionen, die nicht allein von der ästhetischen Überzeugung der Autoren abhängig sind, sondern auch von ihrer mehr oder minder ausgeprägten ‚Unfähigkeit zu trauern‘.“[82] (Wikipedia: Siehe oben)
Indem man sich vor Augen führt, was eigentlich in seiner Wirkungsgeschichte mit einem Kunstwerk passiert, so wie es zum Beispiel Ute Harbusch versucht, stellt man zu dem ersten spontanen Gefallen bzw. Missfallen Distanz her, die eine intersubjektive Verständigung möglich macht. Man versucht die Diskussion über das Kunstwerk zu objektivieren, nicht das Kunstwerk selbst..
Dank dieser Objektivierung gilt die Todesfuge heute allgemein als eines der größten lyrischen Kunstwerke, wenngleich es bestimmt immer noch einige gibt, die ihr persönlich nichts abgewinnen können, weil sie ihnen nicht gefällt.
(Antwort korrigiert am 08.07.2014)

 Vaga meinte dazu am 08.07.14:
Danke für den ausführlichen Re-Kommentar (festgemacht an einem lyrischen Kunstwerk). Ein mir plausibler Satz ist
[...]die Diskussion über das Kunstwerk zu objektivieren, nicht das Kunstwerk selbst.
In deinem o.a. 4. Punkt schien mir dieses nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen zu sein. Deshalb 'reagierte' ich.
B-Site (30)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Danke B-Site.
"Dann ist objektives Denken eine Kunst, die nur wenige beherrschen."
Mit dieser Folgerung hast du meines Erachtens völlig recht. Aber warum ist das so?
Ich denke, dass die meisten Menschen sich mit ihrem Geschmacksurteil von anderen abgrenzen und so profilieren wollen. Das gelingt weniger gut, wenn man eingesteht, dass auch das Kunst sein kann, was einem persönlich missfällt.
Eigentlich sollte doch gerade die Kunst mit ihren vielfältigen Erscheinungsformen zur Toleranz erziehen und damit das ästhetische Repertoire eines Kunstliebhabers erweitern. Das kann aber nur geschehen, wenn man bereit ist, über die Kriterien eines Künstlers nachzudenken, der einem spontan missfällt. Das erfordert aber Mühe. Also kann auch Bequemlichkeit die Mutter eines einseitigen Geschmacks sein.
B-Site (30) meinte dazu am 08.07.14:
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chichi† (80)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Vielen Dank, Chichi.
ich denke, dass Perfektion in der Kunst, sofern es sie gibt, nicht zur kreativen Weiterarbeit ermutigt und und damit Unbehagen auslöst.
LG
Ekki

 HerrSonnenschein (08.07.14)
Also der erste Aphorismus gefällt mir besonders gut! Und er regt zum Denken an. Denn was ist eigentlich ein Fehler? Und wofür steht er?
LG Jörg

Perfektion ist ein Fehler!
(Kommentar korrigiert am 08.07.2014)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Merci, Jörg. Richtig verstanden ist Perfektion tatsächlich ein Fehler.
Das haben wahrscheinlich auch die ganz großen Künstler gewusst.
Es wäre interessant, nihre Werke darauf zu untersuchen, ob sie irgendwo Fehler eingebaut haben, um den Eindruck von Perfektion zu verhindern.
LG
Ekki
Graeculus (69)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Grazie, lieber Graeculus,
ich weiß, dass du Mängel erkennst und diese auch benennst.
Darum freue ich mich über dein Einverständnis besonders.
Pocahontas (54)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.07.14:
Grazie für die nachhaltige Empfehlung, Sigi.
Die Entwicklung des Geschmacks sollte ein Leben lang dauern. Bei einigen ist sie leider sehr früh beendet.

Liebe Grüße
Ekki
Al_Azif (34)
(08.07.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.07.14:
Lieber Al-Azif, ich hatte daran gedacht, dass der singuläre Geschmack auch eine Geschmacksverirrung sein kann.
Da aber niemand auf diese Deutung gekommen ist, werde ich deine Version dankend übernehmen.
Besten Gruß
Ekki
gaby.merci (61)
(09.07.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 09.07.14:
Vielen Dank, Gaby. Die Nr. 1 kam so gut an, dass man in Zukunft wohl keine Perfektion befürchten muss.

 blauefrau meinte dazu am 22.07.14:
1. Manches gefällt, obwohl oder weil es fehlerhaft ist.

Am schönsten wirken die Gesichter/Körper/ Gliedmaßen, die nach dem Goldenen Schnitt aufgeteilt sind.Dazu gibt es einige Untersuchungen.

Hält man ein nicht retuschiertes Photo von Angelina Jolie gegen ein retuschiertes, kommt einem das nicht retuschierte Gesicht echter vor. Zuviel Vollkommenheit stößt ab.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.07.14:
Vielen Dank. Das Ergebnis zum goldenen Schnitt habe ich immer vermutet, ohne es belegen zu können.
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