Nachkriegsgeschichten. Hochzeitsreise Decksklasse

Bericht zum Thema Reisen

von  EkkehartMittelberg

Nachkriegsgeschichten. Hochzeitsreise Decksklasse

Wir heirateten 1964 auf dem Höhepunkt der Reisewelle. Unsere Finanzen reichten damals noch nicht für eine komfortable Reise. Aber unser Fernweh fragte nicht viel danach, ob wir uns eine Seereise leisten könnten. Irgendwo las ich, dass es auf einem griechischen Schiff möglich sei, auf dem Oberdeck, also unter freiem Himmel, von Ancona nach Rhodos zu reisen.
Wir besaßen die Unbekümmertheit der Jugend, Luftmatrazen und die Zuversicht, dass es im August nicht regnen würde. Unser Optimismus wurde mit wundervollen Tagen und Nächten belohnt, auf der Hin- und Rückreise. Das Meer war azurro,  der vergißmeinnichtfarbene Himmel von einem durchsichtigen Blau, mehr als einmal begleiteten springende Delphine unser Schiff und in unseren jungverheirateten Seelen war es wie ewiger Sonntag. Vielleicht finden Sie das ein bisschen kitschig, aber tadeln Sie mich nicht, ich kann nur erzählen, wie es war.
Auf dem geräumigen Deck hatten wir ein windstilles Plätzchen gefunden, wo wir fast ungestört waren. Wir konnten uns in die Sonnenuntergänge versenken und nachts im Mondschein baden.
Am frühen Morgen weckte uns dann die aufgehende Sonne, und wir versuchten die ersten an dem einzigen Wasserhahn zu sein, um uns ungestört waschen zu können. Dann entdeckte ich eine Duschkabine, die zur 3. Klasse gehörte. Das Glück dauerte nicht lange, bis mich ein Steward mit wortreichem Lamento verjagte. Aber wir konnten noch ein paar Drachmen für eine kleine Korruption locker machen. Bewundernde Blicke unserer Mitreisenden dafür, dass wir so gepflegt wirkten, obwohl man uns am Wasserhahn nicht mehr sah, waren kostenlos.
Doch Idyllen sind nicht immer perfekt. Wir erlebten einen heftigen Seesturm, der uns unvorbereitet traf. Alle opferten Poseidon. Doch es gab Unterschiede. Es waren immer wieder dieselben, die die Reling noch erreichten und andere, die wischen mussten.
Am Morgen nach diesem Sturm hörten wir wundervolle Musik, und wir rätselten, ob die Schiffsband dem Meeresgott dafür danken wollte, dass nichts passiert war. Um uns zu vergewissern, gingen wir den Klängen nach und landeten schließlich tief unten im Bauch des Schiffes, wo ein Zigeunerclan seine Lebensfreude in den frischen Morgen fidelte. Wir waren die einzigen Zuhörer und verbargen unsere Begeisterung nicht. Das wirkte ansteckend, und so entstand ein Wunschkonzert, nur für uns. Wir versuchten unsere Wünsche zunächst mit den Namen der Komponisten und Titeln zu äußern. Aber so fantastisch die Musiker spielten, sie hatten vieles, ohne Namen und Titel zu wissen, einfach aufgefangen. So sangen wir den Anfang eines Liedes vor und sie spielten zum Beispiel von Emmerich Kálmán  „Komm Zigan, spiel mir was vor“ oder „Komm mit nach Varasdin“.

Ich glaube, keine kostspielige Hochzeitsreise konnte schöner sein als unsere mit unverstellten Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen und mit mondbeglänzten Zaubernächten.

© Ekkehart Mittelberg, Dezember 2017

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (16.12.17)
All-inclusive Gottseidank ohne All-inclusive!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Merci, lieber Trekan, das stimmt. Ohne All-inclusive kann es viel exklusiver sein.

 Sylvia (16.12.17)
Mmmh, ihr konntet die Titanic mit Happy End erleben :)
Lieber Ekki, Du hast deine Hochzeitsreise sehr fantasievoll beschrieben. Das Huldigen des Poseidons hat mir gefallen.
Dem Dreizack seid ihr entkommen, wie will man diese Erfahrung noch toppen? Nur durch tiefe Zuneigung füreinander.
Danke fürs teilhaben lassen.
Lieben Gruß Sylvia

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 16.12.17:
Sylvia, man sollte nicht meinen, wie stürmisch das Mittelmeer werden kann. Aber Poseidon hätte bestimmt Streit mit Aphrodite bekommen, wenn er uns noch härter zugesetzt hätte.
Liebe Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (16.12.17)
Das klingt sehr romantisch. Schön!
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 16.12.17:
Grazie, Dirk, wenn es romantisch klingt, habe ich mein Ziel erreicht, denn es war romantisch.
Liebe Grüße
Ekki

 ManMan (16.12.17)
Gerne gelesen! Du bist ein wunderbarer Erzähler.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 16.12.17:
Gracias für das schöne Kompliment, ManMan.

Antwort geändert am 16.12.2017 um 12:48 Uhr

 Rothenfels (16.12.17)
Neoromantik. Im eigentlichen Sinne.
Klingt schon ein bisschen wie Eichendorff. Man träumt so recht mit und es ist einem wie ein ewiger Sonntag im Gemüte.
LG,
TvR

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 16.12.17:
Gracie, TvR, man merkt, dass du ein Kenner der Literatur bist. Ich habe zwei Anspielungen auf den Taugenichts eingebaut und du hast sie entdeckt.
LG
Ekki

 Rothenfels meinte dazu am 16.12.17:
Die Anspielungen sind dir gelungen. Aber nicht nur die Motive, auch die Sprache ist oft angelehnt an die Eichendorff'sche Prosa. Ich habe mich mitgenommen gefühlt, diesmal auf der Adria, nicht auf der Donau.

LG,
TvR
Sabira (58)
(16.12.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Merci, du sagst es, Sabira, wir brauchten nicht mehr zum Glücklichsein.
LG
Ekki
Sinshenatty (53)
(16.12.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Vielen Dank, Sin, ich denke auch, dass viele Reiche von solch einem Urlaub träumen. Sie wagen ihn aber nicht einmal für begrenzte Zeit.
LG
Ekki

 TassoTuwas (16.12.17)
Hallo Ekki,
besser kann man es nicht sagen, zum glücklich sein, braucht´s keinen Reichtum!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Lieber Tasso,
es gibt zu viele Menschen, die das nicht glauben können. Merci.
Herzliche Grüße
Ekki

 AZU20 (16.12.17)
Diesmal muss ich passen. Unsere Hochzeitsreise war halt 10 Jahre später und weit weniger fantasievoll. Dennoch: Von solchen Erlebnissen zehrt man ein Leben lang. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Danke, Armin. Das stimmt. So habe ich auch empfunden, als ich diese kleine Erzählung schrieb.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(16.12.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Merci, Uwe,
es liegt in der Natur nostalgischer Aussagen zu schönen, aber manchmal treffen sie tatsächlich zu.
LG
Ekki
Gerhard-W. (78) meinte dazu am 16.12.17:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
Vielen Dank, Gerhard, ja, die Art des Reisens entscheidet darüber, wie frei ich mich fühle.
Einen schönen Tag auch dir.
Ekki

 harzgebirgler (16.12.17)
so ward in die flitterwochen
preisgünstig zwar aufgebrochen
doch das zahlte sich aus voll -
und auch ich find' kálmán toll!

herzliche abendgrüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.12.17:
wir haben Glück gehabt
und konnten unser Leben frei gestalten.
Die Ehe hat bis jetzt gehalten.

Herzliche Grüße zurück
Ekki

 Dieter_Rotmund (12.02.19)
Vielleicht finden Sie das ein bisschen kitschig, aber tadeln Sie mich nicht, ich kann nur erzählen, wie es war.

Das nimmt mir allen Wind aus den Segeln.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.02.19:
Das freut mich, Dieter. Danke.

 harzgebirgler (13.10.21)
heut ist das wort 'zigeuner' viel'n verhasst
weil es ihrem rassismuswahn nicht passt -
der kalman lacht sich schlapp und schüttelt drob
mit sicherheit im himmel seinen kopp!

lg
henning
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