Aus meinem Leben

Bericht zum Thema Lebensbetrachtung

von  EkkehartMittelberg

Ich wurde am 4. Juli 1938 in Hamm (Westf.) geboren. Dies sind meine ersten Erinnerungen:

Meine Familie bewohnte ein modernes Haus, zu dem bereits einen Wintergarten mit einem sehr großen Fenster gehörte.

ich stand öfter minutenlang an dessen Scheibe und blickte ins weite Münsterland. Ein Rapsfeld mit seiner intensiven Farbe hatte es mir angetan. Mein Empfinden für Schönes war früh ausgeprägt.

Aus solcher Betrachtung konnte mich freilich ein Glöckchen reißen, das von der gegenüber liegenden Straßenseite erscholl. 1941 war noch ein Eisverkäufer mit seinem Wägelchen unterwegs.

Das Eis war wässeriger als heute, aber wir Kinder prüften die Qualität nicht. Eis war Eis und in kargen Kriegszeiten ein besonderes Erlebnis.

Zu meinen frühesten Erinnerungen gehörte ein Cousin, der bei meinen Eltern wohnte, um das Gymnasium in Hamm besuchen zu können. Ich hatte als Dreijähriger großen Respekt vor dem Zirkel und dem Lineal, mit dem er seine Mathematik-Aufgaben löste. Ich wartete geduldig, bis er sich die Zeit nahm mir aus deutschen Heldensagen vorzulesen, die während des Dritten Reichs eine beliebte Jugendlektüre waren. Mein strahlender Held war Siegfried und ich hatte damals einen großen Zorn auf den heimtückischen Hagen von Tronje, der meine Lichtgestalt Siegfried beim Trunk aus einer Quelle ermordete.

Die nächste Erinnerung habe ich hier schon einmal erzählt. Man verzeihe mir die Wiederholung. Aber ich kann die beiden Ereignisse nicht vergessen.

Ich muss drei Jahre alt gewesen sein, als meine Eltern mir ein holzgeschnitztes Pferdchen schenkten, das ich hinter mir herziehen konnte, weil es auf Räder montiert war. Ich fühlte, dass mich meine Spielkameraden darum beneideten, denn im Kriegsjahr 1941 war Spielzeug teuer.

Ich befand mich mit dem Pferdchen auf dem Bürgersteig vor unserer Wohnung, die in einer höheren Etage lag, als ich dringend zur Toilette musste. Ich wusste, das mich das Pferdchen beim Treppenlaufen nach oben behindern würde, ließ es also draußen, nicht ohne einem meiner Kameraden das Versprechen abgenommen zu haben, auf das Pferdchen achtzugeben. Als ich zurückkam, war der „Spezi“ mit dem Pferdchen verschwunden. Ich habe beide nie wieder gesehen.

Etwas später - es muss noch 1941 gewesen sein - traf mich ein zweiter Verlust, der mich tiefer schmerzte, weil es um einen Menschen ging. Wir hatten damals ein Hausmädchen, das mit einem Juden namens Engel verlobt war. Engel durfte Irmgard mit Einwilligung meiner Eltern in unserer Wohnung besuchen. Ich weiß, dass Irmgard ihren Engel sehr geliebt hat, aber auch ich hatte ihn in mein kleines Herz geschlossen, denn Engel brachte mir immer Schokolade oder Lakritz mit, die damals zu seltenen Geschenken gehörten.
Eines Tages war Engel nicht mehr da und ich vermisste ihn sehr. Ich weiß nicht mehr, wie mir meine Mutter und Irmgard sein Verschwinden erklärten. Doch meine Traurigkeit über sein Fernbleiben wirkte viel länger nach als die über das gestohlene Pferdchen.


Wird fortgesetzt




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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (16.04.22, 20:37)
Hallo Ekki,

es sieht so aus, als ob die Leser heute so flüchtig seien wie weiland dein Spezi. Oder sie kommen erst zu Ostern...

Beste Festtagsgrüße,
Dirk

Kommentar geändert am 16.04.2022 um 20:42 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.04.22 um 20:48:
Merci, Didi. Mir ist das auch aufgefallen. Aber ich habe meistens treue Leser und darf mich nicht beklagen, wenn es mal anders ist.
Taina (39)
(16.04.22, 23:35)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 17.04.22 um 11:27:
Merci, Taina, ich finde es sehr interessant, was du über die anderen Sagen schreibst. Ich las sie auch sehr gern, weil sie lokale Begebenheiten aufgriffen und weil ich sie für wirklichkeitsnäher als Märchen hielt, was man wohl bezweifeln muss.
Liebe Grüße
Ekki
Teolein (70)
(16.04.22, 23:57)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 17.04.22 um 11:39:
Gracias, Teo, ich freue mich, dass du meinen Erzählstil würdigst. Abgesehen davon war ich schon als Kind ein sehr aufmerksamer Beobachter meiner Zeit. Die Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit haben lange geschwiegen, sodass es gar nicht so viele persönliche Berichte gibt.
Liebe Grüße und auch dir ein frohes Osterfest.
Ekki

 harzgebirgler (17.04.22, 08:25)
Jeder hat ja seine lebensläuflichen Erinnerungen, wobei ich es da seit je mit Heidegger halte:„Aristoteles wurde geboren, arbeitete und starb“ – das, so setzt eine seiner frühen Vorlesungen ein, genüge an biographischer Mitteilung.

LG
Henning

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 17.04.22 um 11:43:
Gracias, mein Freund, wir schätzen Heidegger beide. Aber den Wert von Biografien als persönliche Geschichtsschreibung hat er wohl nicht erkannt.
LG
Ekki
Agnete (66)
(18.04.22, 21:49)
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Dieter Wal (58)
(22.04.22, 15:48)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 22.04.22 um 20:41:
Vielen Dank, Dieter, dass du spätere Erfahrungen zum Vergleich beigesteuert hast.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (24.04.22, 10:00)
Hallo Ekki,
zu den ersten und unvergesslichen Erinnerungen gehören zweifellos Verluste. Dabei spielt im nachhinein der Wert des Vermissten keine Rolle. 
Zu jener Zeit war ein Holzpferd allerdings ein kleiner Schatz und den Begehrlichkeiten der Gleichaltrigen ausgesetzt!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.22 um 20:13:
Gracias, Tasso, ich denke, dass die ersten Verluste auch deshalb tief in der Erinnerung haften, weil man ihnen schutzlos ausgeliefert war.
Herzliche Grüße
Ekki
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