Mistzeug!

Anekdote zum Thema Krankheit/ Heilung

von  Graeculus

An der Bushaltestelle im Dorf, an der ich wartend saß, stieg ein junger Mann mit einem Rollkoffer aus. Jung für meine Verhältnisse, also etwa 30 oder 35 Jahre alt. Offenbar ortsunkundig, versuchte er sich an der dort aufgehängten Karte zu orientieren.

„Sie stehen jetzt hier“, sagte ich ihm mit Fingerzeig.
„Aha. Ich suche die Waldklinik. Die soll hier sein.“
„Ja“, bestätigte ich. „Da gehen Sie diese Straße runter, und die Waldklinik finden Sie dann auf der linken Seite. Gute Besserung!“
„Danke“, meinte der junge Mann. „Vielleicht sieht man sich mal wieder.“
„Gern, aber hoffentlich nicht in der Waldklinik.“

„Nein“, sagte er rasch, den Kopf schüttelnd. „Ich meine später mal, so auf ein Bier. Nicht in der Waldklinik.“ Und fügte leise hinzu: „Nierenkrebs. Mistzeug.“

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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (12.12.19)
Schlimmer als die Diagnose für diesen jungen Mann scheint mir fast der traurige Umstand, dass er da allein zu einer solchen OP anreisen muss - wie krank sind seine Angehörigen, seine Kollegen und Nachbarn?
Ein Text, der an die Nieren geht!
lG
Eiskimo
Cora (29) meinte dazu am 12.12.19:
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Stelzie (55) antwortete darauf am 12.12.19:
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Cora (29) schrieb daraufhin am 12.12.19:
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 eiskimo äußerte darauf am 12.12.19:
Klar. Vielleicht lebt dieser Mensch ganz allein für sich oder ihm Nahestehenden sind alle verhindert. Vielleicht habe aber auch ich völlig falsche Vorstellungen von sozialen Grundwerten.
Cora (29) ergänzte dazu am 12.12.19:
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Al-Badri_Sigrun (61) meinte dazu am 12.12.19:
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 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Niemand hat ihn begleitet, niemand mit dem Auto gebracht. Den Grund weiß ich nicht. Wenn ich es jetzt überlege, ahne ich, daß seine fast übertriebene Aufgeschlossenheit für ein späteres Treffen mit mir, der ich ja nichts weiter getan hatte, als ihm den Weg zu zeigen, für seine Einsamkeit spricht. Zwar tun auch sehr kontaktfähige Menschen derartiges, aber die werden dann wohl eher begleitet.

Übrigens bin ich der Meinung, daß schon der Krebs als solcher in gewisser Weise einsam macht, denn es liegt eine fundamentale Kluft zwischen den Sätzen "du hast Krebs" und "ich habe Krebs", auch wenn diese Sätze sehr ähnlich klingen.

 eiskimo meinte dazu am 12.12.19:
Schön finde ich ja, dass der einsame Held dieser Geschichte jetzt von uns reichlich Aufmerksamkeit bekommt. Und unser aller Daumendrücken.
Die Kneipe, wo wir alle auf seine Genesung anstoßen, würde richtig voll. Und Graeculus spendierte sicher ´ne Lokalrunde!
Auf die Gesundheit!
santé!

Eiskimo

 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Und er weiß gar nichts von dieser Aufmerksamkeit. Manchmal ahnt man nicht, daß man nicht ganz so einsam ist, wie man es vermutet.
(Leider gilt auch das Umgekehrte, daß man manchmal einsamer ist, als man es annimmt.)

 TassoTuwas (12.12.19)
Kenn ich.
Da geht man locker, flockig in ein Gespräch und denn "peng"!
TT

 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Genau so habe ich es empfunden und wollte ich es hier auch rüberbringen.
Vielleicht ist der junge Mann auch eines Tages ganz locker, flockig zum Arzt gegangen.

 loslosch (12.12.19)
mit "gute besserung" hattest du bereits eine vorauswahl getroffen. der rollkoffer sprach allerdings weniger für einen patientenbesuch.

 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Der Rollkoffer sprach eindeutig nicht für einen Patientenbesuch. Andererseits ist die Onkologie nur eines der Spezialgebiete dieser Klinik - andere sind harmloser.

Letztens im Sommer klang auf einmal eine schrecklich laute Schlagermusik, offenbar live vorgetragen, zu uns herüber.
Später lasen wir in der Zeitung, daß Tony Marshall sich wegen Polyneuropathie hatte behandeln lassen und für Personal sowie Patienten ein Abschiedskonzert gegeben hatte.
Kann man auch daraus eine Geschichte machen? Mir fehlt die Pointe.

 EkkehartMittelberg (12.12.19)
Hallo Graeculus,
diese ist eine von den wenigen gelungenen traurigen Anekdoten.. Aber die Hoffnung bliebt.
Beste Grüße
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Danke, lieber Ekkehard, und als Kenner der klassischen Literatur wissen wir, daß man nicht sicher sein kann, ob dieser Restbestand des Inhalts aus dem Krug der Pandora ein Fluch oder ein Segen ist; die Deutung dieser Hesiod-Erzählung ist ja umstritten.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.12.19:
ich möchte ihn gerne positiv sehen und deklariere ihn als Segen.
Stelzie (55)
(12.12.19)
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 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Manchmal geht es gut aus, liebe Kerstin - doch am Ende sind wir alle tot. "Man will leben und muss sterben". Doch mit 35, das muß nicht sein.
Wenn ein sehr alter Mensch klagt, daß er sterben muß, denke ich mir: "Ja, was hast du denn erwartet?" Aber bei jungen Menschen oder gar Kindern ist es schrecklich.

***

Kennst Du den folgenden jüdischen Witz?

Ein alter Mann kommt zum Arzt und klagt: "Herr Doktor, ich kann nicht mehr pissen."
Der Arzt: "Wie alt seid Ihr denn?"
Der Mann: "95."
Der Arzt: "95? Genug gepißt!"

(Ich mag realistische Ärzte.)
Cora (29) meinte dazu am 12.12.19:
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 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Lunge und Bauchspeicheldrüse haben eine schlechte Prognose; bei den Nieren weiß ich es nicht. Hoffen wir auf einen guten Ausgang. Im Idealfall treffe ich ihn nochmal mit seinem Rollkoffer, geheilt.

Antwort geändert am 12.12.2019 um 16:28 Uhr
Cora (29) meinte dazu am 12.12.19:
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 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
So wird es sein, denn bei der Klinik handelt es sich um eine Reha-Klinik; operiert wird da nicht.
Die 4-Wochen-Frist ist allerdings bereits um, denn das Ereignis hat im letzten Sommer stattgefunden.
Möge der junge Mann ein glücklicher Phoenix sein!
Al-Badri_Sigrun (61)
(12.12.19)
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 Graeculus meinte dazu am 12.12.19:
Und dieser Augenblick fing so harmlos an! Dann kam der Hammer. Ich glaube, dem hätte sich fast kein Mensch ohne Mitgefühl entziehen können.

 GastIltis (12.12.19)
Hallo Graecu,
die Geschichte stimmt schon traurig. Für mich ist es die Diagnose, die immer einen Ausgang fragwürdig erscheinen lässt.
Die Frage, ob jemand allein in ein Krankenhaus geht, sehe ich gelassen. Zu meinem zweiten Krankenhausaufenthalt mit dreizehn zu einer OP musste ich auch allein antreten; meine Mutter hat in Schichten gearbeitet und meine ältere Schwester war in der Schule. Also bin ich die drei Kilometer zum Nachbarort gelaufen, hab mich im Krankenhaus mit den Papieren angemeldet und los ging es. Klar hat man blöd geguckt. Und wahrscheinlich auch gefragt. Aber das ist nicht im Bewusstsein hängen geblieben.
Mein zweiter Besuch ging vom Stadion in Dresden, damals spielte noch der SC Einheit, direkt und auch zu Fuß ins Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt. Mit einer Nierenkolik ist einem weder nach Begleitung noch nach Gesprächen zumute.

Zur Diagnose Nierenkrebs: Jede Diagnose Krebs ist „Mist“! Und für Betroffene ändert sich das Leben. Auch für die, die den Krebs überstehen. Psychisch übersteht man ihn nie. Das weiß ich aus der Familie. Aber es lohnt sich, alle Kräfte zu mobilisieren, und den Kampf aufzunehmen. Wer nicht kämpft, verliert. Wer sich an Scharlatane hängt, könnte auch einen Ast nehmen. Und hören sollte man auf die, die wissen. Ahnen reicht bei Krebs nicht. Und Glauben ebenso wenig.
Dein Text ist wichtig. Für alle. LG von Gil.

 Graeculus meinte dazu am 13.12.19:
Die Spekulationen, warum er alleine in die Klinik gefahren ist, waren in diesem Falle - oft ist es anders - ja nicht übelwollend. Aber im Grunde, klar, wissen wir das nicht.

Ich wollte keinen Appell für Vorsorgeuntersuchungen schreiben - das tun die Ärzte schon genügend. Für mich war es eine Begegnung, die harmlos begann und mit einem Hammerschlag endete.

Man weiß nicht, was herauskäme, wenn man sich mehr mit Fremden unterhielte.

 GastIltis meinte dazu am 13.12.19:
Lieber Graecu, mit den Vorsorgeuntersuchungen liegst du aber richtig. Mein "besagter" Freund und ich haben uns in Gesundheitsfragen immer bestens beraten, fast angestachelt. Heute z.B. war ich wieder zum Urologen, zu dem ich halbjährlich hingehe. Weil ich eben mit meinen Nieren mal Probleme hatte. Ich bedaure heute noch, dass ich meinem Freund nicht rechtzeitig zu einer Darmspiegelung geraten habe. Dann könnte er noch leben. Aber es gibt auch Grenzen, so bei Rauchern. Wer will sich da beraten lassen. Oder bei Gicht. Fleisch schmeckt nun mal. Und Verzicht fällt schwer. (Mir übrigens nicht). LG von Gil.
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