Übelst gezeichnet II

Schundroman zum Thema Abschied

von  alter79

Ich schiebe den Regler der Heizung hoch, um dem Gefühl göttlicher Verlassenheit wenigstens Maschinenwärme zu geben. Doch auch das, ein weiterer Trugschluss. Halt, zur Entspannung habe ich was in Petto. Etwas zu trinken. Kein Scheiß, - zwischen den Knien gequetscht halte ich eine Flasche Malt. Es ist die zweite heute. Was soll’s. Und eventuell kommt das dunkle Blau in Blau und das Grau meiner Gedanken sowieso von da her. Vom Saufen. Und meine elende Gelassenheit, es zu ertragen auch. Bilde ich mir doch seit jeher ein, eine angeborene Unerschütterlichkeit zu besitzen - und taff zu sein, in dieser asozialen und verkommenen Struktur ringsum; und ich schließe Gott darin ein.
 
*
Statt Schiss, vor dem, was ich zu tun beabsichtige, sitzt mir immer noch das blöde Grinsen im Gesicht, denn wenige Meter vorher hatte ich eine leere Flasche Malt mit Schmackes aus dem Autofenster gefeuert.
Ehrlich, ich halte mich manchmal selber für einen Spinner, - denn vor dem Wurf hatte ich mit der Flasche gesprochen, wie ich es seit Jahren mit den Dingern tue: Siehst du Paula, nannte ich die beim Namen, nun habe ich auch dich überlebt, - nun kann die nächste kommen. Echt, - ich sagte überlebt; - aber ich freue mich wirklich auf den Tag, an dem ich statt überlebt überwunden sagen werde. Doch eigentlich klingt überwunden auch blöd.
 
Als die Flasche vor den Füßen eines lumpigen Glatzkopfs zersplitterte, der gerade gegen eine Straßenlaterne pinkelte, giftete dieser mit einem 'Stinkefinger' in meine Richtung.
Zu gerne hätte ich seine Reaktion gesehen, wenn Paula ihn voll auf den Schwanz getroffen hätte. Doch soll ich zurückfahren, um ihm wegen des 'Stinkefingers' aufs Maul zu hauen? Ach was, dazu fehlt mir die Zeit, und auf die Schnelle den Totschläger im Kofferraum zu finden, ist in meinem Zustand auch nicht gerade einfach. Außerdem, was soll’s? Ist in mir doch eine angesoffene Ruhe, die ich mir nicht kaputt machen will. Eine Zeit von Frieden, ein wenig Freude und von viel abstrakter Endlosigkeit, die ich mir ab und an gönne. Allerdings werden solche Stunden und Tage immer nötiger und ich ziehe sie mir ohne Rücksicht auf Verluste auch rein. Zu Hause allerdings, oder dem, was davon übrig ist, schiebt sich vor mein ansonsten durchaus positives Denken immer dieses kleine Hochhaus voller leerer Flaschen und benutzter Gläser. Diese ausgesoffenen Flaschen, die sich dort immer höher türmen, mit meinem gierigen Atem gefüllt. Die entlassen mein Leben wie ein Schornstein an einem Wintertag, wenn der Dampf bis in den Himmel hinaufsteigt, um dann schaukelnd und schwankend dünner zu werden und zu fallen, wie ein Papierdrache ohne Wind. Diese Pein in mir, über die tausend Gläser und Flaschen - , die zerbrechen, zersplittern und manchmal im Todeskampf vom Boden hoch aufspringen, als wären ihre Körper aus Gummi.

Diese weggeworfenen, enttäuschten Flaschen, die, wie ich weiß, ohne Empfindung sind, wie auch ich es bin, die angesoffen, weggesoffen, ausgesoffen, wie tot sind, die riechen, stinken - bröckelige Leichenleiber, die in Straßen aufschlagen, auf Teer oder Pflaster, auf Gras oder Gesträuch, der Länge lang nach in Abflussrinnen kollern, müde liegen bleiben, sterben. Ich. - Die in tausend Reste zersprungen auf dem Müll landen, halb oder ganz in den Kanal oder die Spree geworfen werden, verloren, vergessen und voll heimlicher Wut. Die Erinnerungen beherbergen, Schuld verbergen, Schuld - die immer da ist. Scherben, die zur Nordsee schwimmen, immer obenauf, ins Meer, die erledigt sind, doch immer noch obenauf, egal wie, egal wo. Die weiter leben, wie versaute Taten, die man nicht los bekommt, die zwar taumeln, aber oben bleiben, sichtbar, ein Kork, - auch unten herum. Und immer ich. - Ja, diese wundervollen Scheißflaschen und rotzigen Kotzgläser mit Lippenstift daran und Zigarettenspuren. Diese Gläser, Flaschen, Henkelmänner gefüllt mit Schnaps, Bier, Whisky - jetzt und seit Jahren Whisky - ich. Ich, der ich oft nicht ich war. Mit manchmal Magenbitter. Auch doppeltem Wodka. Wenig Tequila; Tequila nur manchmal, - wegen dem fummelig krümeligen Salz zwischen Daumenanfang und Fingergrube und der sauren Zitrone, die mir das Maul verätzt. Jedes Mal. Und weil es dauert; - wer hat schon Zeit zu solchem Trinken? Trinker nicht.
Ich schon lange nicht! Allerdings macht Tequila keine Fahne; erst nach der ersten Flasche. Doch vorher ist man längst dun und dann stört die Fahne auch nicht mehr, und sowieso ist alles unwichtig. - Noch früher hatte ich Chianti aus Korbflaschen, eine Modeerscheinung, wie ich mich erinnere. Diese Ströme von Chianti aus Flaschen mit dem dämlichen Korbzeugs drum herum, auf denen später Kerzen blakten, die grauschwarze Fäden gebaren, wie von Spinnen gewoben, um zu schweben, die auf Resten von Pizzas hängen blieben und blanken Hintern, auf Titten und meinem Schwanz, - wenn man zu Dutzenden auf dem Boden liegend saß, lange Haare trug, Bart, Gras rauchte, Amon Düll hörte und ernsthaft glaubte, frei zu sein. Was für ein Scheiß, wenn ich heute daran denke. Doch nicht wegen dieser Scheiß Gedanken halte ich das Autofenster geschlossen, sondern weil mir danach ist. Auch das Radio schweigt, als ahnte es, was ich brauche. In diese begnadete Zehntelsekunde hinein genehmige ich mir einen Zug aus der Pulle. Ich weiß, ich weiß, andere haben es besser, können sich die Welt schön reden. Lass sie, denke ich. Jeder langweilt sich wie er will. 
Sekunden später presche ich vom Kopfsteinpflaster der Skalitzer auf die frisch geteerte Gitschiner. Dort liegt der Karren noch satter am Band, ein Schiff im Trockendock eines Hafen, Mercedes S-Klasse eben, obwohl ich schneller fahre als je zuvor. Das schnell oder nicht ist nicht wichtig, wichtig ist, nichts zu verschütten; ich stinke dann immer wie Sau nach Whisky - und sehe trotz meiner Seidenjacke und Alexs von Joop auch aus wie ein Penner. - Dass auf der Gitschiner Regenwasser wie ein Spiegel die Fahrbahn bedeckt, stört mich nicht im Geringsten. Es muss am billigen Teer liegen, - die Stadt hat wieder mal am verkehrten Ende gespart. Wenn wegen solcher Schlamperei wieder mal einer ins Graß beißt, werden die Mafiosi im Rathaus was diskutieren müssen. Deren blödes Gelaber ärgert mich jetzt schon. Um dem Frust zu entkommen beschleunige ich die Karre bis der Motor grell aufsirrt, rausche volle Kanne durch die Pfützen, dass es hoch aufspritzt und gegen parkende Autos und Hauswände klatscht. Darüber lache ich, bin wie befreit, - so fröhlich und voll kindlichem Übermut. Unglaublich, wie bescheuert man sein kann. Als ich den Wagen dann durch abrupte Lenkbewegungen aufschaukele, schäumt das Wasser weiß auf, bevor es von Gullys verschluckt wird. Nur die fettesten Ölschlieren werden diesen Totschlag überleben und regenbogenfarben weiter auf Pfützen treiben. Na und?, auf dem Rückweg kille ich die auch noch, - wenn ich dann noch Lust habe und will.  
Als prickelnde Gänsehaut fühle ich bei diesen Gedanken eine gottgleiche Macht. Dieses Verrücktsein - das Entsetzen vor mir selber, diese Wut, all das macht mich für Sekunden gedankenlos, zieht mich runter und mir ist zum Kotzen. Doch egal, weiter geht das Spiel. Ich ducke Kopf und Körper wie ein Motorradrennfahrer und bemerke aus den Augenwinkeln, wie sich die Straßenbeleuchtung in den verdreckten Wassertropfen auf der Seitenscheibe gelb spiegelt, blendet und irritiert. Ich befehle mir: Sieh nicht hin, Mann! - Und ich sehe nicht hin!
Mensch, bist du ein harter Hund, fühle ich stolz. Dann ein Blick in den Rückspiegel, obwohl ich mir auch diesen versagt hatte. Nein, ich will nicht länger zurückblicken - ich weiß genau, was ich will, - ich will vorwärts. Ich muss. Ich werde diesem Arsch die Birne wegschießen ... Verdammt! - Ich drehe der Dudelkiste den Saft ab. Walzer ist momentan nicht so mein Ding, - denn ich bin urplötzlich eins mit Puls und Herzschlag, im Takt von Jing und Jang. In diesem Rhythmus trete ich aufs Pedal - und wieder nicht, stoppe ab, rucke an, stoppe ab... Da, das Spielchen mit Bremse und Gas lässt Phosphorschwaden in die Nebenstraßen abtanzen.
Mensch, das passt, - macht Spaß. Um über den Dreck zu triumphieren, nehme ich die Pistole vom Beifahrersitz, halte sie halbhoch, drehe mich schräg seitlich und ziele dem selbstfabrizierten Smog hinterher. Peng! Peng! Acht Schuss - neun Millimeter - hat die eiserne Töte. Acht mal neun silberglänzende Geschenke von Sig Sauer. Peng! Peng! Peng! Peng! Halt, du Idiot - du brauchst doch für so einen Scheiß nur einen Schuss. Herrgott, wie ich mich kenne. Fantastisch. Lanz wird sich wundern. 
Ich lege die Knarre zurück, streichele sie, sage ihr: tröste dich, deine Zeit wird kommen, Anni, - so heißt sie, die Pistole; deine Sekunde kommt ..., gleich!
 
Ecke Prinzenstraße türmt sich himmelhoch Müll zwischen Schrottmöbeln. Katzengroße Ratten musizieren auf den Spiralfedern verbogener Matratzenrippen: ’Hey Joe’, ist Jimmy Hendrix kreischend bei mir. Doch nicht nur das. Es stinkt bis in den Karren nach Urin, Kotze, Armut und angstschwitzendem Asphalt. Ich kenne den Geruch, doch ehrlich, er stört mich nicht besonders. Auch nicht ’Hey Joe’, der Dreck in den Hauseinfahrten, die Ratten, die Menschen auf ihren immer feuchten Matratzen, - in Buden, wo die Tapeten von den Wänden fallen, falls welche hängen. Nein, eigentlich stört nichts. Außerdem kenne ich Typen die im Sumpf wohnen und sich dort wohl fühlen. Doch ich bin anders. Ich habe Pläne, bin was wert, bin sympathisch, erfolgreich, ruhe in mir selbst, - gerade, wenn ich trinke. Und ich fühle mich auch jetzt gut, und habe zu trinken. Außerdem erreiche ich gleich mein Ziel. - Da, Blitz und Donner direkt über mir - und Funken sprühen aus sattem Schwarz des Stahls. Fast ein kleines Feuerwerk, es fehlt nur der Applaus. Doch woher soll der kommen?, - über mir fährt die U-Eins Richtung Zoo. Der Knoblauchexpress Kreuzbergs. - Links, rechts schwankt die Bahn, quietscht protestierend in Kurven, die sich meinem Blick entziehen, rattert auf schiefen Schienen. Ja, von unten blicke ich auf den tätowierten Bauch eines Lindwurms. Offen und angreifbar, rattert das Tier auf tausend Rädern in öligem Blau. Ich folge ihm. Seiner brennenden Spur, dem flammenden Maul, den Funken, dem Rauch, dem Gestank von Phosphor und Schwefel. Ich - Siegfried/Alex - Drachentöter! - Du Spinner, denke ich belustigt, werde ernst, - blicke hoch. Denn oben fährt Lanz. Mein ehemaliger Freund. Ich errate ihn durch Stahl und Plastik, doch er ahnt nichts ..., nicht mal mich und meine Absicht. - Es ist ja nicht nur, dass er die Sache verraten hat, nein, er hat auch Eva, meine neue Freundin, gevögelt. Das Arschloch. Dieser Verräter. Und schon das allein ist Grund genug, um durch mich zu sterben. So ist es doch - und ich weiß nicht nur das, - ohne dass er es weiß.

Ich weiß, durch Intuition, dass er vorne im zweiten Wagon sitzt - das Schwein. Und säße er im dritten, vierten oder sonst wo ... - ich habe den Auftrag, ihn heim zu bringen, egal von woher, - und das tot oder lebendig; genau wie in ’zwölf Uhr mittags’, oder war es in ’Tod am Oxbow’? 
Gut, so cool wie ich tue bin ich nicht, und wissentlich habe ich noch nie einen Menschen getötet, - zugegeben, manch einen aus Versehen. Wissentlich wird Lanz nun der erste sein, - wenn er sich wehrt, und das hoffe ich, um ihn nicht in den Rücken schießen zu müssen. Aber auch das beunruhigt mich eigentlich nicht. Nicht im Geringsten. Nicht wegen eines eventuellen Widerstandes oder nicht, - nicht wegen Lanz. Nein, nach der zweiten Flasche hat mich nie etwas beunruhigt, nicht mal, dass sich jemand wehrt, wenn ich ihn kaputt mache. Also vorwärts!
 
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