Mein erster Mord als Psycho ist nix für Kinder

Cut-Up zum Thema Alltag

von  alter79

Im Jugendheim Veilchenhof, einem Kinderknast am Ende der Welt, nahm mich nach dessen eigener Aussage ein Vertreter ‘Gottes’ in Empfang. Sie seien barmherzig, erklärte sich mir der Freigeist; es war der Rektor. Warum sollte ich ihm also nicht mein Leben anvertrauen ... Ein Fehler, wusste ich später. Doch da steckte ich selber so gut wie im Kollar. Gleich nach der Begrüßung vom Rektor setzte man mich in einem grün gekachelten Raum in die Badewanne. Dort kauerte ich nackt auf dem rauen Boden und wurde von einem kräftig gebauten Pater, der sich dazu die Ärmel seiner Soutane hochgekrempelt hatte, eingeseift, vor allem mein Glied – und der mich anschließend kalt abgespritzt – wobei er zwischen meine Beine zielte und grinste. Der Wasserschlauch, den er lässig in der linken Hand hielt, hatte aber auch noch andere Funktionen. Allerdings musste ich das erst noch lernen. Genau wie Dinge über diesen Pater, Dieter, der sich, als er mich kalt abspritze, unter der Soutane und mit der Frage „ ... was guckst du so blöd?“ sich selbst befriedigte. Einige Wochen später taten wir es gemeinsam.

 

„Sexualkunde!“ nannte Dieter das gemeinsame Onanieren. Und ich tat es nicht ungern ... Doch auch hier: das Miteinander ist Lüge und Verrat gleichermaßen. Wie auch meine Sehnsucht nach einer heilen Welt. Einige Beichten später wollte ich die von mir bisher gelebte Welt verändern. Meine Kindheitslügen. Die damalige Hölle zum heutigen Himmel stilisieren. Noch später dann den in mir wohnenden schwulen Katholiken, der sein Leben lang von Schuldgefühlen geplagt wurde. Ach, was wollte ich nicht alles.

 

Das allererste Mal falle ich beim Freigang im Park um. Einfach so. Mir war vorher weder schlecht noch hatte ich irgendwas getan, was das Umfallen erklären oder rechtfertigen würde. Es war einfach so.

„Du wichst zu viel!“ War Dieters Meinung.

„Blutarmut!“, mutmaßte der Rektor.

„Ich gebe ihm Rote Beete-Saft zu trinken“, entschied Bruder Karl, der eine Krankenpfleger-Ausbildung vorzuweisen hat – geht das Gerücht.

Das zweite Mal kippte ich beim morgendlichen Zähneputzen aus den Pantinen. Ob es am grün gekachelten Waschraum lag, blieb mir als Frage. Oder am Zittern. Das dieses Mal meiner Ohnmacht vorausging. Den stechenden Kopfschmerzen ... dem Müll in meinem Gehirn, wie der Rektor meinte.

„Er muss sofort ins Krankenhaus!“, beschied Bruder Karl.

„Stirbt er sonst?“ Dieter machte auf besorgt.

„Er könnte an seiner Zunge ersticken – sollte er nicht rechtzeitig gefunden werden ...“

Doch ich lebe. Zurzeit. Noch. Und dann kommt das Gefühl wieder. Wie eine Attacke. Eine schmerzhafte Überraschung aus dem Nichts. Als Kribbeln erst. Dann Zittern. Schwitzen. Die Unmöglichkeit, Luft zu holen. Panik. Die im Kopfkino passiert. Und Bilder, die ich nicht haben will. Wie die von angstvollen Kinderaugen zwischen Sommersprossen. Todesahnungen. Dieser entsetzliche Film im Kopf. Erst Sekundenlang. Dann immer. Ein Gefühl – stickig und heiß. Und so was von dunkel, wie in einem Kilometer langen Tunnel. Wie in einem kaputten Fahrstuhl zwischen Sonne und Mond. Als würde mir irgendwer den Hals zudrücken. Dazu diese Kraftlosigkeit. Dann wieder fliegt mein Leben vorüber. Das Jetzt und Später. Meine Existenz in einer geschlossenen Abteilung. Gefesselt ans Bett. In eine Zwangsjacke gesteckt. Eine Gummizelle. In einer Menschenansammlung gefangen, die auf mich einprügelt. Doch geheilt werde ich so nicht. Nicht mein Selbstbild. Die Gefühle. Wünsche. Nicht in Therapie. Denn da passiert gar nichts. Kein Trost. Nur weiter diese unerträglichen Hilfeschreie. Und Regeln: Fortschritt nicht möglich. Geblieben sind Sound und Bilder. Mein gieriges Verlangen. Diese Katastrophe. Für die ihr mich hasst. Ich weiß es. Und es wird sich nichts ändern. Nie.

Aus dem Fenster heraus füttere ich Tauben. Mit Brot. Reiße aus den klitschigen Scheiben kleine Stücke, spucke drauf, rolle die zu einer Kugel und werfe sie den Viechern zu. Ja, mich freut es, wenn die sich um die Brocken balgen, wie irre flatternd aufeinander einhacken. Wenn Federn fliegen. Blut fließt. Wenn eine gewinnt. Und die anderen verlieren. Mein Mitbewohner, ein langer Kerl, mit dürren Armen und Beinen, der, wenn er das Maul auftut, so blöd wie lang daherkommt und der, wenn er seinen Kopf erst Mal durchs Gitter hat, auch seinen mageren Körper hindurchpressen kann ... und das auch tut. Der dann laut lachend auf dem Hof steht um mir dann dort, wie schon Tage zuvor angekündigt, eine Taube fängt. Die ich aber nicht haben will. Und als ich es nun wiederhole, ihm lautstark sage, beißt er der Taube den Kopf ab, wie seinerzeit Ossy Osborn einer Ratte. Nur, dass der hier versucht, den Kopf zu verschlucken. Kurz daraufhin röchelt und krampft er wie irre, wie ich auch an seinem hampelnden Kehlkopf sehe, fällt um, das Gesicht blau angelaufen – bleibt komatös liegen, um von zwei herbeieilenden Wärtern an den Beinen gepackt und ins Haus gezerrt zu werden. Und wie am Ende die kopflose Taube zuckt, ausblutet und stirbt – sterbe ich. Weil ich den Weg aus dem Tunnel nicht geschafft habe; meine Seele in der dunkelsten Stelle des Menschen angesiedelt ist, wie ein Gutachter unmissverständlich über mich behauptet.

 

Über einen Makler habe ich eine Wohnung gefunden – und gleich angemietet. Nicht zu groß, nicht zu klein. Zwei Zimmer. Mit Balkon. Blick ins Grüne – und auf eine Schule. Schön auch das voll gekachelte Bad mit Handwaschbecken, Wanne, Klo und Bidet. Alles aus Porzellan und nicht aus Stahl wie in der Psychiatrischen. Praktisch auch die Küche mit Dunstabzugshaube über dem Herd. Und auch sonst voll eingerichtet. Sogar mit Geschirrspüler und Waschmaschine – und voll renoviert. Raufaser weiß. Braun gelackter Holzboden. Und das alles in der Nähe einer Stadt, die meinen Ansprüchen genügt. Doppeltes Glück, weil ich die sofort beziehen kann. Weshalb ich vor Freude begeistert in die Hände klatsche, worüber der Makler sich wundert, wie ich seinem Gesicht entnehmen kann, als seine fetten Schweinebacken blöde wackeln, als würde er einen monströsen Kaugummi kauen.

Einige Möbel habe ich mir angeschafft. Das Nötigste. Bett, Tisch, Schrank und Stuhl. Einen PC. Und einen Internetanschluss legen lassen. Dazu alles an Zubehör, was man so braucht. Echt, kaum zu glauben, aber so was geht heutzutage in Stunden, wo man früher Wochen zu benötigte, oder Monate – nur um eines Telefonanschlusses wegen. Gut, ich habe im Teleshop mit etwas Geld nachgeholfen, denn wie jeder weiß, Schmiere hilft immer. Und mir tut Geld ausgeben wirklich nicht weh; habe ich doch von meinem Erbe in der Haftzeit nur wenig verbraucht. Fast nichts, eigentlich, außer den Bestechungsgeldern für Wärter und Pfleger – damit die mir Material für den Videorecorder lieferten, den ich aber wegen der Downer in der Psychoabteilung kaum nutzte. Umso mehr freue ich mich jetzt aufs Internet, denn damit sollen ja sämtliche Träume Realität werden können? Mann, ich bin so was von aufgeregt, es ist fast wie beim allerersten Mal ... Schade, dass ich das damals nicht gefilmt habe. Wie hieß der Junge eigentlich?

 



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