Niemals aufgegeben

Sonett zum Thema Sucht

von  EkkehartMittelberg

Dein Pseudonym entstammt der Märchenwelt,
verbindet Hans im Glück und Gänsemagd,
zum Sterben hast du ein Duell gewagt,
warst wegen Totschlags vor Gericht gestellt.

Dem Alkohol und Morphium verfallen,
in Haft und Klinik wechselvoll dein Leben,
doch kampflos hast du niemals dich ergeben,
man muss als kleiner Mann den Gürtel schnallen.

Du hast den Nazis Schnippchen oft geschlagen,
dem Blechnapf konnten sie sich nicht versagen.
Selbst Goebbels hat fürs Wolfsbuch sich verwandt.

Der Kämpfer hat die Sucht niemals bezwungen,
Beachtung ist ihm weithin doch gelungen.
Man stirbt für sich allein ist weltbekannt.








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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (06.09.24, 00:21)
Danke, daß Du ihn vorstellst!
Kein Roman von ihm hat mich so beeindruckt wie "Der Trinker", in dem er sich mit dem Thema seines Lebens, der Sucht, auseinandersetzt. Hier ist die Schlußpassage:

[...] Ich habe noch nicht erwähnt, daß wir im untersten Stock des Anbaus immer fünf oder auch sieben Tuberkulöse liegen haben, ehemalige Leidensgefährten, die man von uns isoliert hat. Sie bekommen ein etwas besseres und reichlicheres Essen und brauchen nicht mehr zu arbeiten, bis sie sterben. Diese Kranken haben kleine Fläschchen, in die sie ihren Auswurf spucken, und ihre Isolierung ist nicht so streng, daß ich, der ich mich ziemlich frei im Bau bewegen darf, nicht manchmal ein solches Fläschchen erwischen könnte. Ich trinke es dann einfach aus, ich habe schon drei solcher Fläschchen ausgetrunken, und ich werde noch mehr austrinken. Nein, ich will nicht in diesem Totenhaus uralt werden und dann langsam verrecken, ich will einen Tod sterben, wie ihn alle draußen haben können – nach eigener Wahl. Ich bin sicher, ich bin heute schon tuberkulös. Ich habe ständig Stechen in der Brust und huste viel. Aber ich melde mich nicht zum Arzt, ich verstecke meine Krankheit; ich will erst so krank sein, daß ich unter keinen Umständen gerettet werden kann. Und dann, wenn ich erst im Anbau liegen werde und die letzte Stunde ganz nahe ist, werde ich den Medizinalrat zu mir kommen lassen, und ich werde zu ihm sprechen: „Herr Medizinalrat, ich habe Ihnen viel Kummer und Ärger gemacht, und Sie haben es mir nie verzeihen können, daß Sie meinetwegen Ihr bereits erstattetes Gutachten wieder umstoßen mußten, wodurch Ihr Ruf als Psychiater bei den Gerichten gelitten hat. Aber nun, da mein Tod ganz nahe ist, verzeihen Sie mir, und tun Sie mir noch einen letzten Gefallen.“ Und er wird seinen Frieden mit mir schließen, weil ich ein Sterbender bin und man einem Sterbenden nichts abschlägt, und wird fragen, was für ein Gefallen das ist. Und ich werde zu ihm sprechen: „Herr Medizinalrat, gehen Sie ins Arztzimmer und mischen Sie mir mit eigener Hand aus Alkohol und Wasser einen Schnaps, nur ein Wasserglas voll. Nicht so einen, daß ich sofort hinstürze und nichts von ihm habe, wie damals, sondern einen, der mich wirklich noch einmal glücklich macht.“ Und er wird meinen Wunsch erfüllen und mit dem Glas an mein Lager treten, und ich werde trinken, nach so vielen Jahren der Entbehrung endlich wieder trinken, Schluck für Schluck, in langen Abständen, voll das unendliche Glück auskostend. Und ich werde noch einmal jung werden, und ich werde die Welt blühen sehen mit allen Frühlingen und allen Rosen und den jungen Mädchen von eh und je. Eine aber wird vor mich treten und wird ihr bleiches Gesicht über mich, der vor ihr auf die Knie fällt, neigen, und ihre dunklen Haare werden mich ganz einhüllen. Ihr Duft wird um mich sein, und ihre Lippen auf den meinen liegen, und ich werde nicht mehr alt und verunstaltet, sondern jung und schön sein, und meine reine d’alcool wird mich hinauf zu sich ziehen, und wir werden entschweben in Rausch und Vergessen, aus denen es nie ein Erwachen gibt!

Und wenn mir so geschieht in meiner Todesstunde, werde ich mein Leben segnen, und ich werde nicht umsonst gelitten haben.

[Der Trinker. Berlin 1995, S. 286 f.]

Besser habe ich eine Sucht, ihre beseligende und ihre schreckliche Seite, nie beschrieben gelesen.

Kommentar geändert am 06.09.2024 um 00:21 Uhr

Kommentar geändert am 06.09.2024 um 00:21 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 06.09.24 um 00:31:
Verfilmt mit - passenderweise - Harald Juhnke als Protagonist.

 AchterZwerg antwortete darauf am 06.09.24 um 05:56:
Vielen Dank für diesen Kommentar!
In der Suchtbekämpfung wird nämlich das Thema der beseligenden Wirkung einer Droge fast immer ausgespart, was ich für ausgesprochen kontraproduktiv halte. Denn: Ohne diese Wirkung nähme niemand Drogen!





Antwort geändert am 06.09.2024 um 06:07 Uhr

 Graeculus schrieb daraufhin am 06.09.24 um 09:47:
Das stimmt, das ignorieren bzw. verschweigen die Lauterbachs dieser Welt. Einem alten Griechen mit seinem Dionysos war diese Doppelgesichtigkeit ganz selbstverständlich.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 06.09.24 um 16:39:
Gracias, Graeculus, du hast einen für Fallada besonders typischen Text ausgewählt, nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch. Er erzählt schnörkellos, naturalistisch und immer spannend.  Es lag auch an Falladas im Detail stimmigen Textvorlage des "Trinker", dass Harald Juhnke die Glanzrolle seines Lebens spielen konnte.

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 06.09.24 um 23:13:
Puh, der Film war heftig gut gespielt, vorallem so traurig, weil der Juhnke ja wirklich einer war. Das war so authentisch, unvergessen.

 AchterZwerg (06.09.24, 06:01)
Lieber Ekki,

auch ich zähle zu seinen Fans. Natürlich!

Zum Thema Sucht habe ich eben ein ergänzendes Gedicht von Hesse gefunden:


Der Trinker
I
Ihr, die ihr geht an mir vorbei
So furchtsam und bescheiden,
Ihr wisset nicht, was Leiden
Und wisset nicht, was Liebe sei.

Und auch den Garten kennt ihr nicht,
Den schwülen Träumegarten,
Wo Rosen sterbend warten,
Und jedes Scharlachblatt ist ein Gedicht.

Ihr geht vorbei und scheuet schier
Mich anzuschaun ein wenig,
Und doch bin ich ein König
Und hundertmal so stolz und reich als ihr!

Ich erhoffe deine Zustimmung. :)


Herzliche Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 17:10:
Liebe Piccola,
wie schön, dass du ein weiteres bedeutendes literarisches Zeugnis zur Trunksucht gefunden hast. Denen, die diese Thematik weiter verfolgen möchten, empfehle ich noch Dostojewskis Charakterzeichnung des Marmeladow in             "Verbrechen und Strafe".
Herzliche Grüße
Ekki

 Mondscheinsonate (06.09.24, 06:14)
Großartig! Vielleicht wäre auch das amerikanische Pendant auch zu nennen, der sich dem Thema annahm, nämlich Charles Jackson "Das verlorene Wochenende". Beide Bücher zähle ich zur ganz großen, ehrlichen Literatur.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 17:19:
Cori, auch dir danke ich für die Erweiterung eines wichtigen literarischen Motivs. Vielleicht konnte es keiner so facettenreich darstellen wie Fallada, weil er sein Leben lang gegen die Trunksucht gekämpft hat.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 06.09.24 um 18:55:
Ja, das stimmt.

 Graeculus meinte dazu am 06.09.24 um 19:30:
Oh, "Das verlorene Wochenende" gibt es auch/kenne ich als Film; Regie: Billy Wilder. Daß der auf einen Roman zurückgeht, wußte ich nicht.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 06.09.24 um 23:11:
Dafür - Bildungslücke - kannte ich den Film nicht. Werde ich mir ansehen.

 Traumreisende (06.09.24, 07:09)
ist schon genial, wie du namenlos den menschen erstehen lässt, der sich dahinter verbirgt. Und so viel Hintergrundwissen, danke auch deinen Kommentatoren, die hier noch Wissen reinfüttern.!!!
SUPER!!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 17:28:
Grazie, Silvi, man hat nicht immer das Glück sachkundiger Kommentare. Literatur, oft missverstanden, bedarf ihrer sehr.

 Pearl meinte dazu am 06.09.24 um 23:59:
Der Titel ist so schön, wahr, treffend.

Die Textpassage, die Graeculus zitierte und das von der 8. Zwergin zitierte Hesse - Gedicht v.a. berühren mich ungemein.

Ein einfühlsames Gedicht.

LG

Stefanie

Für solche Kommentare liebe ich die Kommentarfunktion bei keinverlag.

Antwort geändert am 07.09.2024 um 00:05 Uhr

 harzgebirgler (06.09.24, 08:21)
:) :) 
hallo ekki,

sein "kleiner mann - was nun?" ward gar zum wort,
geflügelten, und lebt in volks mund fort.

beste grüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 17:33:
Vielen Dank, Henning. Fallada hat gezeigt, wie man für den sogenannten kleinen Mann schreiben kann, ohne in sozialromantischen Kitsch zu verfallen.
Beste Grüße
Ekki

 Citronella (06.09.24, 11:37)
Auch der Ire Brendan Behan fällt in diese Kategorie. Als er mit 41 Jahren starb, hieß es in einem Nachruf:

„zu jung, um zu sterben, aber zu betrunken, um zu leben"

Einen interessanten Artikel zum Thema Alkohol und Schriftsteller fand ich in der NZZ:

 https://www.nzz.ch/feuilleton/alkoholismus-trinken-schriftsteller-mehr-als-andere-menschen-ld.1827357

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 18:00:
Gracias, Citronella, der von dir empfohlene detailgenaue Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung ist ganz ausgezeichnet. Er hat auch den Vorteil, das Summary an den Anfang zu stellen, ohne dadurch an Spannung zu verlieren:
"Trinken Schriftsteller mehr als andere Menschen?

Die These hält sich hartnäckig. Tatsächlich waren viele berühmte Autoren Alkoholiker. Doch die Wahrheit ist: An der gequälten Künstlerseele berauscht sich vor allem die Gesellschaft."


 Quoth meinte dazu am 06.09.24 um 19:23:
Ja, sehr guter Artikel. Wobei mich Alex Capus langweilt. Er sollte sich ruhig mal einen Rausch gönnen!  :devil: Doch einer der berühmtesten Säufer der Literaturgeschichte fehlt in dem Artikel: Edgar Allan Poe.

Antwort geändert am 06.09.2024 um 19:27 Uhr

Antwort geändert am 06.09.2024 um 19:29 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 06.09.24 um 23:09:
Edgar Allan Poe darf nicht fehlen!
Ich frage mich, was aus all diesen Autoren geworden wäre, wenn sie dem Rat gefolgt wären, den uns die Ärzte ans Herz legen. Gäbe es ihr Werk dann überhaupt? Das von Fallada gewiß nicht. Ich meine nicht, daß es anders ausgefallen wäre, nein, es gäbe kein Werk. Dies ist ein Werk, das nur unter der Geißel der Sucht entstehen konnte.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.09.24 um 11:07:
"Geißel der Sucht"  Ich kenne keinen Autor, für den diese Formulierung mehr zutrifft als Fallada.

 plotzn (06.09.24, 11:46)
Sevus Ekki,

ich hatte jetzt schon was zu Hesse geschrieben, bevor mich Sigi dankenswerterweise darauf hinwies, dass ich auf dem falschen Dampfer war.
Von Fallada habe ich bisher noch nichts gelesen, eine Bildungslücke...

Liebe Grüße
Stefan

Kommentar geändert am 06.09.2024 um 17:22 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 18:12:
Hallo Stefan,
diese Bildungslücken haben wir ja alle, mehr oder weniger. - Man sollte sich auch keinen Stress machen, sie zu schließen. Fallada zu lesen ist jedoch pure Lust, weil seine sozialpsychologischen Beschreibungen so verblüffend genau sind. Es macht Spaß, Fiktion zu lesen, die Realität abbildet.

Liebe Grüße
Ekki

 Saira (06.09.24, 13:36)
Hallo Ekki,

Falladas Lebensgeschichte ist in meinen Augen eine sehr tragische. Als er Kind war, übte sein Vater ständigen Leistungsdruck auf ihn aus und unterschätzte die Intelligenz des Sohnes. Vielleicht wurde dadurch die Sensibilität oder sogar eine bereits vorhandene psychische Erkrankung von Fallada verstärkt.
 
Dieser Autor, der fantastische Werke schrieb, ist für mich ein sehr umstrittener Mensch, weil er zu irrationalen Handlungen neigte. Intensiviert wurden diese durch seine Alkohol- und Heroinsucht. Haftstrafen und Klinikaufenthalte konnten ihn nicht stabilisieren.
 
„Der eiserne Gustav“, der dem späteren Film mit Heinz Rühmann diente, ist mir unvergessen geblieben.
 
Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 18:51:
Liebe Sigi,

merci, du hast mit wenigen Worten ein treffendes Bild von Fallada gezeichnet. Ich finde es faszinierend, dass seine breite Leserschaft diesem Autor wegen seiner liebenswürdigen Antihelden wiederholte Straftaten und Suchtabhängigkeit verzieh. Die Popularität Falladas spiegelt sich auch hier in vielfältigen Kommentaren.

Liebe Grüße
Ekki

 Mondscheinsonate meinte dazu am 06.09.24 um 18:56:
Fallada gehört wieder auf den Gabentisch, er ist wirklich großartig.

 Teo (06.09.24, 19:31)
Grüß dich Ekki,
ich gebe zu, wie Stefan, mich noch nicht so intensiv mit Fallada beschäftigt zu haben. Sicher.. der Trinker, kein besserer als Juhnke hätte ihn verkörpern können.
Ich muss aber nochmals betonen, wie vormals in einem anderen Sonett, wie du uns hier Personen aus der Weltliteratur näher bringst, ist großes Kino!

Bewundernde Grüße

Teo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.09.24 um 20:08:
Merci, Teo,
solange ich euch nicht langweile, möchte ich die Sequenz noch ein bisschen fortsetzen.
Beste Grüße
Ekki

 TassoTuwas (07.09.24, 10:20)
Hallo Ekki,
ein fesselnder Autor und großartiger Zeitzeuge!

"Kleiner Literat was nun?" und "Jeder schreibt für sich allein".

Wen spricht das nicht an?

Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.09.24 um 11:02:
Gracias, Tasso, du spielst am Schluss noch einmal auf seine berühmtesten Werke an.

Herzliche Grüße
Ekki
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