Literarisches Rätsel 16 Ein Autor spaltet sich in zahlreiche Erzähler auf

Ansprache zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Das Buch, um das es heute geht, lag jahrelang auf meinem Nachtisch. Mit seinen 520 Notizen konnte ich es immer in kleinen Dosierungen genießen und reflektieren.

Sein Job in einem Stoffgeschäft in Lissabon lässt gibt dem Autor die Möglichkeit, in Arbeitspausen und nach Feierabend, die Stadt zu durchstreifen und seine Beobachtungen, Gedanken und Träume in literarischen Breviaturen festzuhalten.

Ohne Freunde und gesellschaftliche Verpflichtungen hat er viel Zeit für gründliche Beobachtung.

Die Genauigkeit seiner Wahrnehmungen der Außenwelt ist ihm wichtig.

Er grenzt sich in seiner Individualität von den anderen „Durchschnittsmenschen“ ab. Seine immer neuen Beobachtungen auf der Suche nach gleich Empfindenden versetzen ihn in permanente Unruhe. Triebfedern seines Forschens sind Ekel und Überdruss anderen Menschen gegenüber.

Der Ich-Erzähler spaltet sich in zahlreiche Persönlichkeiten auf, die die Vielfalt seiner Wahrnehmungen garantieren. Er kokettiert damit, nicht nur ein einzelner Schriftsteller [zu sein], sondern eine ganze Literatur.“ (Wikipedia) Die Forschung hat siebzig Parallelexistenzen in dem Buch festgestellt.

Stilistisch zeichnet es sich durch sorgfältige Syntax sowie durch Lyrismen und bildhafte Ausdrucksweise aus.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (14.04.25, 10:56)
Es gibt kein Glück ohne Wissen. Aber das Wissen vom Glück bringt Unglück: denn sich glücklich wissen heißt wissen, daß Glück Zeit ist und Zeit unweigerlich vergeht. [...]

Was tun? Den Augenblick isolieren wie ein Ding und jetzt glücklich sein, in dem Augenblick, in dem man das Glück empfindet, an nichts anderes denken als an das, was man empfindet, und alles andere vollständig ausschließen. Den Gedanken einsperren in die Empfindung.

Ich hoffe, jetzt nichts verraten zu haben.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.04.25 um 11:41:
Gracias. Ein schönes Zitat von einem Autor, der fast alles relativiert.
Hältst du den Autor noch für lesenswert oder betrachtest du seine Lektüre als eine Durchgangsphase durch den Subjektivismus, auf die man verzichten kann?

 Graeculus antwortete darauf am 14.04.25 um 14:17:
Ich habe nur eine persönliche Erinnerung: daß ich das Buch mit Respekt, aber nicht mit Liebe oder gar Begeisterung gelesen habe.

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 14.04.25 um 17:00:
Ich vermute, dass die Ich- Spaltung des Erzählers Identifikation verhindert.

 Saudade (14.04.25, 11:06)
Pessoa? Buch der Unruhe?

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 14.04.25 um 11:46:
Merci, Cori, du hast den Autor sehr früh gefunden, aber das macht nichts, denn die Diskussion über diesen zugleich scheuen und arroganten Poeten wird wohl nie verstummen. Konntest du etwas mit ihm anfangen?

 Saudade ergänzte dazu am 14.04.25 um 12:54:
Du, ich muss, zugegebenermaßen, passen. Ich las es in Thailand, vielleicht war das nicht passend, und das war zu schwer für die Location. Kann es nicht klar sagen.

 AZU20 meinte dazu am 14.04.25 um 15:13:
Dann werde ich wohl etwas von him lesen müssen. Dann melde ich mch wieder. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.04.25 um 17:03:
Nicht unbedingt, Armin. Es gibt auch Assoziationsketten zu Empfindungen.
LG
Ekki

 AchterZwerg (14.04.25, 17:02)
Verlo wirst du wohl nicht meinen,

also nehmen wir Fernando Pessoa, das Genie. Eines, das die westliche Literatur nachhaltig verändert hat.

Natürlich fühle ich mich als 8er Zwerg ganz besonders zu ihm hinezogen, weil aus seinem göttergleichen "Buch der Unruhe", dieser nachhaltige Stolz spricht, der sich hinter der augenscheinlichen Verkleinerung des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares verbirgt.

Zudem ist er Portugals größter Lyriker seit Camoes:


DON SEBASTIAN, KÖNIG VON PORTUGAL

Ein Tor, ja, ein Tor, weil ich Größe erstrebte,
wie sie die Himmlischen nicht verleihn.
Weil ich den Traum zu heftig erlebte,
verblich, wo die Möven schrein,
mein altes, nicht mein lebendiges Sein.
...
Wir haben uns an der Frankfurter Uni mal ein ganzes Semester mit ihm befasst.

Ich habe keine Sekunde davon bereut.

Mit Verneigung:
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.04.25 um 21:19:
Liebe Piccola,

ich freue mich sehr, dass du meine Sympathie für diesen experimentierfreudigen Autor teilst.

Liebe Grüße
Ekki

 Pensionstarifklempner (14.04.25, 21:34)
Brecht meinte, das Ich ist ein Mythos. Beim Lesen fühlte ich mich stark an Heinrich von Kleist erinnert.
Schade, dass Goethe ihn nicht leiden konnte. Siehe Goethes Kommentar zum " Prinzen von Homburg".
Welche Rolle darf ich heute geben ?
Gute Nacht auch !

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.04.25 um 22:02:
Stimmt, Petakle, aber hier geht es um Pessoa.

LG
Ekki

 Aron Manfeld meinte dazu am 15.04.25 um 01:12:
Neben Dostojewskis Kellerloch, Ionescos Einzelgänger der dritte Text, der Anspruch auf Ewigkeit erheben kann, lieber Ekkehart.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.04.25 um 09:16:
Ja, vielleicht gibt es sie wirklich, diese Superklassiker, die dem Verfall durch die Jahhunderte trotzen.

 harzgebirgler (15.04.25, 11:51)
hallo ekki,

solch rumwühlen in sich ist mir suspekt
weil selbstbespiegelung mehr ekel weckt.

beste grüße
henning

 Tula (15.04.25, 22:59)
Hallo Ekki
Das Buch ist eben kein Roman und das Fehlen eines Handlungsfadens kann durchaus ermüdend wirken. Aber es ist sehr tiefgründig, mit wunderbaren Passagen, die man wie ein Gedicht mehrmals lesen und auf sich wirken lassen kann.
Ich glaube nicht, dass er arrogant war. Eher einer, der begriff, dass er die Welt verstand, ohne wirklich Teil von ihr zu sein. 

LG Tula

Kommentar geändert am 15.04.2025 um 23:00 Uhr
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