Unterwegs in Frankreich

Bericht zum Thema Veränderung

von  eiskimo

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Wer im Land der Tour de France unterwegs ist, der konnte dieses Jahr feststellen: Die Grande Nation hat das Fahrrad wiederentdeckt, und zwar „le vélo randonneur“, das Fahrrad, auf dem man auch mit Gepäck losfährt, mehrere Tage lang, um hinauszukommen ins Grüne. Ich sage es gerne ganz plakativ: der Radtourismus boomt.

Was ich auf etlichen Ausfahrten beobachten konnte: Er erfasst – anders als früher – nicht nur die sportlichen Freaks, sondern „tout le monde“, alle, egal fast welchen Alters. Der Radtourismus hat sich demokratisiert. Und wer ihm dabei ganz besonders in den Sattel geholfen hat, das ist, denke ich, das E-bike. Dieses Rad, das auch Nicht-Geübten immerzu Rückenwind verspricht, lockt „tout le monde“ in Massen auf die „pistes cyclables“, die in Frankreich nicht nur wunderschöne Landschaften erschließen, sondern auch sehr gut in Schuss sind: Da macht es Spaß zu radeln. Denn da ist Platz genug, und man ist immer weit weg vom Autoverkehr.

Wer profitiert in besonderem Maße von elektrischer Unterstützung und stressfreien Routen? Meiner Beobachtung nach sind es die Frauen. Die sah ich immer wieder, entweder in kleinen Gruppen, oft ältere, oder auch alleine, Globedtrotter-ähnlich ausgestattet, „en route.“ Deutlichg mehr als in früheren Jahren. Aber auch ganze Familien trauten sich jetzt auf Radwege, wo die Kleinen wie die Großen ohne Stress ihre Lust an der Bewegung auslebten, zum Beispiel an den vieln Kanälen Frankreichs, auf den gut ausgebauten Treidelwegen. Wenn das keine bemerkenswerte Veränderung des Tourismus ist!

Ich habe im selben Zeitraum auch hautnah den Motorrad-Tourismus erlebt., und zwar in Burgund, wo ich seit einigen Jahren den Sommer verbringe. Dort ist vor allem der Morvan mittlerweile ein Hotspot, auch für Belgier und Holländer, die da sehr gerne auf ihren Verbrennern „cruisen“. „La moto“ ist ja unüberhörbar, und auch auf diesen Zweirädern war deutlich mehr los.

Doch wenn ich beim „Vélo“ von einer Demokratisierung sprach, der auch hin zu mehr sanftem Tourismus führt, dann sah ich beim „Moto“ eher eine „Selbstisolierung“ und „Virilisierung“. Warum? Weil dieses Gefährt recht einseitig mehr Männer in den Sattel holt; Männer, die für sanften Tourismus wohl eher nur ein müdes Lächeln übrig haben. Denn sie sind sehr oft sehr laut und wollen Landschaft nicht erleben – sie wollen sie benutzen.

Haben die Radtouristen eher die Langsamkeit im Programm und das hehre Gefühl, körperlich aktiv zu sein, muss es bei den „motards“ - so meine Einschätzung, nur unten herum richtig brummen.

Ihr Ding ist nicht die Suche nach einem idyllischen Picknickplatz irgendwo am Flussufer – wie sollten sie auch dahin kommen in ihrer schweren Lederkombi – nein, sie parken gezielt an den einschlägigen Biker-Lokalen, wo sie von der Terrasse ihre Boliden gut im Auge haben und wo es fertig serviert die großen Biker-Portionen gibt.

Haben auch bei den dicken Harleys und Ducatis die Frauen etwas hinzu gewonnen? Nein, würde ich sagen. Die wenigen Frauen in der Bikerszene, die ich erlebte: Sie sehen so aus wie Männer, tun so wie Männer, und nur ganz wenige steuern selber ein Motorrad - meistens dürfen sie nur hinten im Klammergriff mitfahren.

Müsste ich ein Resümee machen, da kämen die Fahrrad-affinen Frauen deutlich besser weg. (Männer, die sich neuerdings aufs Fahrrad trauen, natürlich ebenso) Sie alle gewinnen, auch weil keine Mechanikerausbildung mehr nötig ist, um ohne Angst vor Pannen auf eine Radtour zu gehen.

Die schweren Motorräder sind da eine deutlich höhere Hürde, schon kleidungsmäßig, aber auch fahrtechnisch und gruppendynamisch. Da wird durchaus ein gewisses Rocker-Image gepflegt. Harte Jungens, die einfach aus den Konventionen ausbrechen. Laut ihre Unangepassheit rausbrüllen. Sie selber hören das ja kaum unter ihren Integralhelmen – andere, die das Pech haben,in der Nähe beliebter Parcours zu wohnen, verfolgt das Aufheulen der Motoren bis in den Schlaf.

Keine Frage: In der Wahrnehmung und Betroffenheit der Außenstehenden gewänne vor dem Hintergrund eindeutig das Vélo. Sozialverträglich und unprätentiös versöhnt es die sportlich Ambitionierten mit Landschaft und Natur. Das Motorrad dagegen wird als aggressiv empfunden, mit seiner wummernden Beschallung als übergriffig und - da oft mehrere zusammen vorbeibrausen - in höchstem Maße störend..

Hinter beiden Varianten der Urlaubsgestaltung steht eine sehr aktive Industrie und Vermarktung. Die Franzosen geben viel Geld aus für ihr „moto“ - da fährt kaum eins unter Einsteigspreis 15 Tausend Euro vorbei. Und auch die Randonneur-Fahrräder mitsamt Touring-Ausstattung können leicht ein paar Tausender kosten.. Es wird also weiter beschleunigt auf den Zweirädern, den schweren wie den leichten – gut, dass das Land der Tour de France so groß ist und immer noch viel, viel Platz bietet für „les vacanciers“.



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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (22.09.25, 09:36)
Ob zutreffend oder nicht, kann ich nicht beurteilen, da ich lange nicht in Frankreich war. Klingt aber glaubwürdig und wird bestätigt durch parallele Tendenzen auch hier. 
Denn sie sind sehr oft sehr laut und wollen Landschaft nicht erleben – sie wollen sie benutzen.
Sehr gut, dieser Absatz über die "Virilisierung". Mein Schwager, der mal Motorrad fuhr (es auf Geheiß seiner Frau aufgegeben hat, als er Opa wurde) sagte, ein beschleunigendes Motorrad müsse "schreien". Für einen gelungenen Essay im montaigneschen Sinne fehlen nur noch Bezüge auf Dein eigenes Bewegungsverhalten in Frankreich!

 eiskimo meinte dazu am 22.09.25 um 13:02:
Danke, lieber Quoth, für Deine Anmerkungen. Ich mache mir mit der "Vermännlichung" sicher keine Freunde, aber hier im Morvan bündelt es sich.
Als Frankreichkenner ist Dir Johnny Haliday sicher ein Begriff, der große Rocksänger. Er ist für viele DAS Idol - der zeigte sich auch immer gerne auf so einer PS-Schleuder.
Ich selber fahre "randonneur". Gerne auf den beschriebenen "veloroutes", auch "Voie verte" genannt. Und mit dabei habe ich mein kleines Zelt und ein Minimum Zeugs,  um draußen zu übernachten, "sous la belle etoile", wie man hier sagt.
Da spüre ich, dass ich lebe.
Jetzt geht die Saison leider zu Ende. Bin bald wieder in Köln.
Vielleicht treffen wir und da noch mal wieder.
Bis dann
Eiskimo

 Regina (22.09.25, 11:28)
Da träume ich von einer Gesetzgebung, die das Motorrad verbietet, nicht in erster Linie wegen der Lärmbelästigung, sondern wegen der Selbst- und Fremdgefährdung durch Unfälle, aber dieser Traum wird sich nicht erfüllen, so lange sich die Kassen dank dieser blödsinnigen Freizeitbeschäftigung füllen. Motorrad gegen Traktor ist fast immer tödlich. Und das gibt es nicht nur in Frankreich.
Ich stehe unbedingt auf der Seite des Vélo!

 eiskimo antwortete darauf am 22.09.25 um 13:09:
Uiii, Regina! Du bist radikal. Aber mir wäre es recht.
Als erstes sollten Sie dann die monströsen Quads verbieten. Damit brettern hier hüftsteife Alte durch die schönen Wälder,  mit Höllenlärm...
Auch da steckt aber eine mächtige Lobby hinter.
Wenigstens haben wir gerade heftigen Dauerregen. Da ist man draußen unbelästigt.
LG

 Graeculus (22.09.25, 16:11)
Da beide Fortbewegungsweisen - Motorrad und Pedelec - nicht billig sind, dennoch, wie Du schreibst, populär und verbreitet, frage ich mich, was eigentlich los ist in Frankreich. Der Staat vor einem Schuldenberg, die Menschen im Protest auf den Straßen, weil sie ihren Lebensstandard durch Streichung von zwei Feiertagen und Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 64 bedroht sehen.
Die spinnen, die Gallier! Oder?

 eiskimo schrieb daraufhin am 22.09.25 um 17:58:
Ja, sie spinnen. Vor allem mögen sie es, alle Schwierigkeiten und Missstände auf den Staat zu schieben und ihre Unzufriedenheit auf die Straße zu bringen. Ablästern gegen die Politiker ist Volkssport. Wenn  ich dann frage, was konkret denn geschehen müsste und wie man das finanzieren soll - Upps...
Die ganze Finanzwelt sei sowieso "foutu", und dann mache es halt "boumm", und man müsste bei Null neuanfangen, so ein guter Bekannter, der gleichzeitig immer unsere deutschen Tugenden lobt, weil wir doch so gut organisiert seien..
Hier in meinem dörflichen Alltag herrscht Ruhe. Über Politik wird kaum geredet. Man arrangiert sich und feiert die Feste, wie sie fallen

Antwort geändert am 22.09.2025 um 18:08 Uhr

 Graeculus äußerte darauf am 22.09.25 um 23:53:
Gestatte mir, Dir einen neuen französischen Film zu empfehlen, den wir gerade gesehen und genossen haben: "Die Farben der Zeit" in der Regie von Cédric Klapisch. Wir waren geradezu gerührt. Photographie und Malerei spielen auf zwei Zeitebenen - heute und im späten 19. Jhdt. - eine Rolle. Lauter nette Menschen, kein einziger Bösewicht, und doch packend.
Ich hoffe, Ihr habt in Köln ein ähnlich gutes Programmkino wie wir in Pforzheim.

 Graeculus ergänzte dazu am 22.09.25 um 23:58:
Frz. Titel: "La venue de l'avenir". (2025)

 eiskimo meinte dazu am 23.09.25 um 09:42:
Danke für die Empfehlung. Das französische Kino kann einen immer wieder begeistern. Kino wird hier auch als Kunst respektiert.

 AchterZwerg (23.09.25, 07:33)
Was mir immer wieder auffällt, ist dass diese neu erwachte Liebe (noch) zutiefst urban ist.

In der hessischen Kleinststadt, in der ich lebe, würden die allermeisten ums Verrecken ihr Benziner-Auto nicht aufgeben - selbst wenn sie (alterstechnisch) gar nicht mehr in der Lage sind zu fahren.
 
Die öffentlichen Verkehrsmittel sind was für arme Leute und Ausländer.

 eiskimo meinte dazu am 23.09.25 um 09:38:
Da sagst du was! Die Bequemlichkeit hat absolute Vorfahrt, und da rücken die wenigsten von ab.
Umweltschutz darf nichts kosten.
Ich war jetzt eine Weile nur mit Rad und Eisenbahn unterwegs - ich habe nur gewonnen.
LG
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