Ernstes und Heiteres über das Vergessen

Aphorismus zum Thema Vergessen

von  EkkehartMittelberg

Dieser Text ist Teil der Serie  Aphorismen
Ernstes und Heiteres über das Vergessen

1a Vergessen können, ohne zu verdrängen, ist eine seltene Gabe.
1b "Nichts vergessen zu wollen, ist ein seltenes Glück" (Jack)
1c Vergessen können, ohne nachtragend zu sein, ist eine seltene und schöne Gabe" (Skandia)
1d "Vergessen wir wirklich einschneidende Ereignisse, wenn wir sagen „Vergessen wir, was war“? Ist es nicht eher die Gabe, einen Mantel darüber zu legen, der keine Schwere besitzt?" (Sigrun Al-Badri)


2. Sich selbst vergessen kann sowohl Ausdruck von Unbeherrschtheit als auch eine Form des Glücks sein.

3. Die Vergesslichkeit des Alters ist nicht gänzlich ein Unglück, weil auch vieles vergessen wird, das des Erinnerns nicht wert ist.

4. Es gibt Aufgaben, die sind so groß, dass man darüber das Essen, Trinken und Schlafen vergisst.

5. In der Jugend vergisst man Pflichten, im Alter die Leichtigkeit des Seins.

6. Es gibt Menschen, die aus dem Vergessen von Namen oder Zahlen eine Tugend machen und auch ohne diese sehr anschaulich erzählen.

7. Der Vetter von Dingsda heiratete die Gräfin Dings im Schloss Dingsbums. (Wenn man so weit gekommen ist, nützt das größte erzählerische Talent nichts mehr.)

8. Als der Gedächtnistrainer selbst vergesslich wurde, hielt er Vorträge über das Glück, vergessen zu können.

9. Was unterscheidet die Vergesslichkeit von Männern und Frauen? Frauen vergessen niemals den Hochzeitstag, Männer niemals den Tag ihres allerersten Kusses.

1o. Vergissmeinnicht am Wegesrand. Kann eine Mahnung liebenswürdiger sein?
Ekkehart Mittelberg, Januar 2012

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (05.01.12)
ad numerum 9)

ich kann mich gar nicht erinnern ... lothar

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Das liegt bestimmt daran, Lothar, dass du geküsst wurdest. Die beseligende Erfahrung hat dich die Zeit vergessen lassen...-)

 loslosch antwortete darauf am 05.01.12:
richtig. es war in einer kalten januarnacht an der mosel. und mein schal war sooo lang, dass er für zweie reichte ...

 Bergmann schrieb daraufhin am 05.01.12:
Ich widerspreche euch beiden: Von einer Frau geküsst werden ist das Unvergesslichste. Lothars ironische Relativierung gefällt mir nicht, aber ich habe Verständnis dafür ...
Jack (33) äußerte darauf am 05.01.12:
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 loslosch ergänzte dazu am 05.01.12:
@uli: ich hab doch mit meiner mosel-arie meine ironische position längst revidiert. lo

 Bergmann meinte dazu am 05.01.12:
lolo: Te absolvo
supernova (51)
(05.01.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Vielen Dank, Bea. Ich denke, so wie der Gedächtnistrainer gehen die meisten mit Defiziten um, die sie gern verändern würden, aber nicht können.
LG
Ekki
supernova (51) meinte dazu am 05.01.12:
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 Bergmann (05.01.12)
1-3, auch 4 und 5 finde ich richtig gut, auch hintergründig, wenn man die Aphorismen weiterdenkt; bei 7 würde ich Schloss Bums formulieren... 8-10 zeigen eine Entwicklungsreihe (Altern bzw. Erkenntnisfortschritt) - also insgesamt ein schöner Zyklus! (Viel besser als die letzten Aphorismen.) Bitte mehr davon zu anderen Themen! - Herzlichst: Uli

 loslosch meinte dazu am 05.01.12:
dings... bums ist ein witziger und guter vorschlag! lo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Dein Lob freut mich sehr, Uli. Ich werde mir Mühe geben. An dem Schloss Dinsbums möchte ich gern festhalten. Wenn schon Dings, dann konsequent Dings.
Herzlichst
Ekki

 Bergmann meinte dazu am 05.01.12:
Du bist nicht in meine kleine liebevolle Falle gegangen...
Klar, du willst kein Bumsdings.
Herzlichst: Uli
Jack (33)
(05.01.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Bezogen auf die sogenannte "hohe" Literatur hast du sicher recht, Jack. Dort wird Jugend häufig in Verbindung mit frühem Leid thematisiert. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung gilt sie im Vergleich zum Alter mit seinen Gebrechen eher als die weniger beschwerte Lebenszeit.
Es stimmt: Auch eine Frau vergisst den ersten Kuss nicht. Ich wollte ein bisschen provokativ formulieren.
"Nichts vergessen zu wollen, ist ein seltenes Glück" finde ich gelungen. Ich werde das Zitat als Ergänzung aufnehmen.
Vielen Dank
Ekki
Skandia (43)
(05.01.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Ich nehme deine wichtige Ergänzung zu 1 gerne mit auf, Skandia.
Diese und meine anderen Aphorismen entstehen in der Regel auf Spaziergängen. Das Themenstichwort ist meistens ein aktueller Anlass, den ich dann gedanklich dekliniere. (Wenn ich zurückgekehrt meine Einfälle nicht sofort aufschreibe, vergesse ich viel.)
Vielen Dank und herzliche Grüße zurück
Ekki
Scheester (80) meinte dazu am 05.01.12:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Vielen Dank, Detlef. Das kann einem auch mit Dummheiten gelingen. Dann hoffe ich Freunde zu haben, die mir rechtzeitg zum Schweigen raten.
Herzlichst
Ekki

 loslosch meinte dazu am 05.01.12:
@ekki: das funktioniert selten. denk an heinrich lübke ...

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Der hat am Ende doch vergessen, seine Freunde zum Rat zu bitten.

 ViktorVanHynthersin (05.01.12)
Zu 4:
Wenn das Essen und Trinken zu üppig ausfällt, vergisst man gerne und leicht seine Aufgaben. )

Immer wieder ist es ein Genuss, lieber Ekkehart, Deinen Gedanken und Aphorismen zu folgen.
Herzlichst
Viktor
magenta (65) meinte dazu am 05.01.12:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Vielen Dank, Viktor. Wie wahr ist deine Feststellung zum üppigen Essen und Trinken und wie tröstlich, dass wir uns die Aufgaben bei kv selbst stellen. Da darf man mal über die Stränge schlägen, mit dem Essen und Trinken, meine ich.
Heidrun, der ältere Herr, den du kanntest, hat sich bestimmt nie zu den Völlern und Alkoholikern gezählt. Vermutlich war sein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen.
magenta (65)
(05.01.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Herzlichen Dank, Heidrun. Aufrichtiges Lob zählt für mich, aufrichtige Kritik ebenso. Missgünstige Kritik kann ich immer besser vergessen, je älter ich werde. Ich vermute, es geht dir nicht anders. Es ist ein Vorteil des Älterwerdens, dass man wetterfühliger wird. Man spürt, woher der Wind weht.
LG
Ekki

 TassoTuwas (05.01.12)
Ich wollte jetzt was Kluges sagen,...ich habs vergessen.
LG TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Der Kandidat kann nicht mehr durchfallen, hat er doch das Thema nicht verfehlt.
LG
Ekki
SigrunAl-Badri (52)
(05.01.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
zu 1: Das hast du wundervoll ausgedrückt, Sigrun. Wir nennen es zwar Vergessen, aber bei genauer Betrachtung ist es das, was du mit deinem Bild sagst. Ich hoffe, du bist einverstanden, wenn ich es unter 1 mitzitiere.
zu 2: Ja, du meinst sicher das unbeherrschte Sichselbstvergessen.
zu 6: ist mir nie aufgefallen, aber darin besteht ja gerade die Kunst.
zu 9: Das mit dem allerersten Kuss gilt für Männer und Frauen gleichermaßen, sollte nur eine launige Ergänzung sein.
Ich danke herzlich fürs differenzierte Hinsehen, Sigrun.
Liebe Grüße
Ekki

 Lluviagata (05.01.12)
Ich bin sehr in Zeitnot, Ekki, aber ich lese und stimme zu. Fast immer! :-***

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Besonderen Dank, Andrea, dass du trotzdem schreibst. Der Mahlstrom der Zeit, ich kenne mich damit aus. Hoffentlich kannst du dich bald befreien.
Liebe Grüße
Ekki

 irakulani (05.01.12)
Bevor ich es vergesse, lieber Ekki,...
ich hoffe, es wird mir bei zunehmender Vergesslichkeit gelingen, den Situationen, dann doch noch etwas Heiteres abzugewinnen. Das, meine ich, ist "hohe Schule".

Einzig die Nummer 9 halte ich für ein Gerücht...

Herzliche Grüße, solange ich mich noch an das Gelesene und den Schreiber (sehr gerne) erinnere,

Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Vielen Dank für den feinen Kommentar und die Bewertung, Ira.
Du bist nicht die Einzige, die die Nr. 9 für ein Gerücht hält. Interessant ist, dass nichts so häufig kommentiert wird wie Gerüchte.
Herzliche Grüße
Ekki

 Georg Maria Wilke (05.01.12)
Lieber Ekki, habe vergessen, was ich schreiben wollte.
Gerne gelesen, ohne es wieder zu vergessen.
Liebe Grüße, Georg

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.01.12:
Ein raffiniertes Kompliment Georg. Vielen Dank.
Liebe Grüße
Ekki
Steyk (61)
(06.01.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.01.12:
Dein Kommentar, lieber Stefan, hat mich zu einem Paradoxon angeregt:
Man vergisst vieles nicht, was man vergessen will.
Man vergisst vieles, was man nicht vergessen will.
Herzlichen Dank und liebe Grüße
Ekki

 Corvus (05.02.12)
Volle Punktzahl für Nummer 2

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.12:
Vielen Dank, Corvus, ich wünsche dir Herzenswärme an diesem kalten Januarwochenende.
LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (20.02.13)
zu 1c.) Nicht vergessen können, ohne nachtragend zu sein, ist eine seltene und schöne Gabe.

...versuche ich gerade und es ist nicht einfach...

zu 4.) Es gibt Aufgaben, die sind so groß, dass man nur noch Essen, Trinken und Schlafen kann.

zu 10.) Ganz klar: Nein!
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