Alle Ampeln auf Rot. Was kümmert mich noch das Leben?

Text zum Thema Schmerz

von  ZornDerFinsternis

Für jedes deiner Worte, pflanze ich eine rote Wüstenblume in den bleichen Schnee. Bette sie behutsam ein, in dieses leichenblasse Kleid. Und so oft ich glaubte, ich hätte mich gefunden. Oder das, was als Zuflucht bekannt ist. Trat ein noch dunklerer Schatten aus dem Niemandsland meiner Seele hervor. Tabletten und Whisky sind lange nicht mehr das, was ich vor 13 Monaten noch dachte. Es legt sich niederdrückend auf mich. Im Schlaf. Morgens. Jetzt. Übermorgen. Nächstes Jahr. Verschenkt. Ein reines, freudiges Herz. Gutmütigkeit. Zerbrochenes Glas, Zigarettenglut, Einsamkeit... hat sich in mich verirrt. Und dieses narbenubersäte Fleisch atmet schwer. Der eisig-grüne See, auf dem Träume tanzten, trocknet langsam aber sicher aus. Gefühlsverlust. Es reicht nicht mehr aus, die Klinge ins Fleisch zu treiben, um das Leben zu spüren. Egal, wie stumpf, scharf, rein oder rostig... Ich empfinde den Schmerz nicht mehr, wie damals. Es lässt nach. Der körperliche Schmerz ist lächerlich klein und unscheinbar. Tabletten in Überdosierung, Alkoholexesse, verbranntes Fleisch... ein viel zu unbedeutender Schmerz. Zu winzig, das Leiden im Innern, zu verbannen. Über die Arme ziehen sich Narben und Schnitte. Bunte Farben und Namen. Kein Schmerz, den ich mir zuführe hilft mir zu vergessen. Selbst die Bilder aus früheren Tagen, bringen nur Tränen. Kennst du das...? Der Schmerz ist einfach zu groß. Die Schnitte nicht tief genug. Die Nacht nicht abgrundtief dunkel. So, als wäre es das schönste der Welt, an dich zu denken. Die Prügel. Die Erniedrigungen. Dein Lächeln. Am alten Güterbahnhof verbringe ich die Abende. Mit Kippen, Whisky und diesem Schmerz, der sich nun mehr weiter ausgebreitet hat und nicht mehr durch einfache Selbstverletzung zu minimieren ist. Und es ist beschissen. Ein verflucht mieses Gefühl. Ich habe oft gesagt, ich sei am Ende. Es ginge nicht mehr weiter. Es war schlimm genug. Unerträglich. Doch ich habe die nächste Phase dieses Leidens erreicht. Und wieder kann ich nichts tun. Muss schweigen. Ertragen. Aushalten. Durchstehen. Nach außen hin leuchten und die verkommene Welt um mich herum bejahen. Nicken. Den Kopf heben. In all diese ausdruckslosen, heuchlerischen Augen blicken. Guten Morgen. Guten Abend. Einen schönen Tag. Hallo. Ja, es geht mir gut. Wir sehen uns morgen. Pass auf dich auf. Ich hab‘ dich lieb. Schlaf gut. Und ja. Es ist erbärmlich. Dass ich nach all den Kriegen aufgebe. Ich habe meine Mauer nicht eingerissen. Nach all den Jahren. Nein. Aber es scheint doch einen Zugang in diesen Trakt zu geben. Ich suche wieder nach Nähe. Unterhaltungen. Unternehmungen. Spaß. Lächerlich. In Wirklichkeit hoffe ich auf Zurückweisung. Beleidigungen. Schläge. Schmerz. Tränen. Denn es ist wahr. Worte verletzen mehr, als all diese Messerschnitte. Ein knurrender Magen. Ein Kopf, den man gegen die Wände schlägt. Als Fäuste, die man in das Spiegelbild rammt. Und doch, ich lache. Ob nun über mich und meine Dummheit, oder die Tatsache, dass der Schmerz mich nicht vor Schmerz bewahren kann. Es fühlt sich an, als würde die Zeit gekommen sein. Lebewohl zu sagen. Die gepackten Taschen und das Leben im Haus stehen zu lassen. Die Tür hinter sich zu zu ziehen. Den Schlüssel stecken zu lassen. Die Hände nicht mehr in den Taschen der abgewetzten Jacke, zu Fäusten zu ballen. Einmal wirklich zwischen all diesen grau-schimmernden, fernen Menschen, die mich umgeben, laut ‚gen Himmel zu schreien. Die Faust in die Luft zu wirbeln. Den Joint im Supermarkt anzustecken. Die unfreundliche Kassiererin nicht nur in Gedanken als Hure anzuschreien. Die Peiniger am Schädel zu packen, ihnen ins Gesicht zu spucken und dann lächelnd weitergehen. Entschlossen. Mit erhobenem Haupt. Ja. Und es steckt eine Kippe in meinem Mundwinkel. Umspielt von einem verschmitzten Lächeln. Und es hat mich nie gekümmert, dass die Ampel an der Kreuzung auf Rot stand. Grün. Grün hat in mir immer mehr Aggressionen geweckt. Und es fühlt sich gut an, wenn der Regen einem direkt in die Wunden tropft. Heute setzte ich mich wieder an den Teich. Zu den Enten. Brot habe ich keines. Aber meine Zigarette leuchtet noch verstohlen in der Abenddämmerung. Ich habe Gänsehaut. Und mein Herz fühlt sich noch immer schwer an. Es zieht mich herunter. Tatsachen. Schmerz. Wahrheit. Ich lächle. Und greife in die Tasche. Ein Stück Papier, ein Feuerzeug, mein Messer. Anschließend fische ich die Packung Kochsalz heraus. Wind säuselt um meine Ohren. Ich schließe die Augen und versuche mit dem Duft des Aprilabends ein prunkvolles Bild in meinen Geist einzumeißeln. Nicht perfekt. Kein Picasso. Aber nah dran. Das Messer hat die Rosenblüten auf meiner Haut hinterlassen.  Regen und Blut verlaufen auf dem bleichen Untergrund. Lächelnd greife ich nach dem Salz. Eine gute Hand voll drücke ich in den tiefen Schnitt. Ich leere die Whiskyflasche und stolpere über meine ungeschickten Füße. Ja, ihr hattet Recht. Ich bring’s nicht. Am Morgen wird es kein Erwachen geben. Und während ich mit jedem Schritt tiefer im Teich versinke und sich das Wasser allmälig um meine Schultern schließt, führe ich das Messer an den Hals.

Heute sterbe nicht ich. Heute stirbt der Schmerz.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (27.04.12)
Ich lese es immer intensiv. Kommentare fallen mir schwer. LG

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 27.04.12:
Ich danke dir, von Herzen, für deine Spuren :) Fühl' dich gedrückt :)
KoKa (44)
(27.04.12)
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 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 27.04.12:
Ich habe keine Worte mehr für dich... Ehrlich nicht. Da ist nur diese Verbundenheit. Tiefe. In Worten. Tränen. Ich drück' dich. Danke :)

 princess (28.04.12)
Du bist die Regenbogenmalerin der Grautöne. Nachhaltig.

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 28.04.12:
Daaaaankeschön :))) -knuddel-
Dieter Wal (58)
(29.04.12)
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Dieter Wal (58)
(30.04.12)
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 RainerMScholz (23.07.12)
Das hat nichts zu bedeuten, aber das mit den Enten und Gänsen ist mir aufgefallen: Zu den Enten. Brot habe ich keines... Ich habe Gänsehaut.
Danke.
Grüße,
R.
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