Von Tragik umweht

Sonett zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  EkkehartMittelberg

Du schriebst in jungen Jahren schon Gedichte
und brachtest es als Literatin weit,
gestundet war in großem Wurf die Zeit,
im SPIEGEL las man die Erfolgsgeschichte.

Du fingst mit Strahlkraft große Dichter ein,
Celan und Frisch erlagen dem Genie,
doch Glück war nicht beschieden dem Esprit,
mit großen Preisen warst du krank allein.

Du konntest Lyrik, Hörspiel und Erzählung,
für Romane fehlte nicht der Schwung,
allein das Schicksal wollte nur „Malina“.

Im Brand der Leidenschaften stets gefangen,
„Undine geht“, auch du bist früh gegangen,
doch umso stärker ist der Nachruhm da.




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Kommentare zu diesem Text


 Aron Manfeld (22.08.24, 07:38)
Eine gehörige Portion Ekki hätte ihr gutgetan, werter Ekkehart, dann wäre ihr Leben glücklicher verlaufen ...

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.08.24 um 15:41:
Merci, Aron, 
leider kann man das Glück nicht befragen.  Aber ich denke, dass es sehr individuell ist.

 Aron Manfeld antwortete darauf am 22.08.24 um 18:57:
Die Frage ist, ob wir auf der Welt sind, um glücklich zu sein ...

 franky (22.08.24, 08:24)
Hi lieber Ekki 

"für Romane fehlte nicht der Schwung,?

Schönes Sonett, gerne gelesen. 

Grüße von Franky  

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 22.08.24 um 15:43:
Gracias, Franky,
du hast feine Ohren für den Rhythmus.

LG
Ekki

 Saira (22.08.24, 10:39)
Lieber Ekki,

wieder ein sehr schönes Sonett von dir.

Nebelland (1954) von I.B.

Im Winter ist meine Geliebte
unter den Tieren des Waldes.
Daß ich vor Morgen zurückmuß,
weiß die Füchsin und lacht.
Wie die Wolken erzittern! Und mir
auf den Schneekragen fällt
eine Lage von brüchigem Eis.

Im Winter ist meine Geliebte
ein Baum unter Bäumen und lädt
die glückverlassenen Krähen
ein in ihr schönes Geäst. Sie weiß,
daß der Wind, wenn es dämmert,
ihr starres, mit Reif besetztes
Abendkleid hebt und mich heimjagt.

Im Winter ist meine Geliebte
unter den Fischen und stumm.
Hörig den Wassern, die der Strich
ihrer Flossen von innen bewegt,
steh ich am Ufer und seh,
bis mich Schollen vertreiben,
wie sie taucht und sich wendet.

Und wieder vom Jagdruf des Vogels
getroffen, der seine Schwingen
über mir steift, stürz ich
auf offenem Feld: sie entfiedert
die Hühner und wirft mir ein weißes
Schlüsselbein zu. Ich nehm’s um den Hals
und geh fort durch den bitteren Flaum.

Treulos ist meine Geliebte,
ich weiß, sie schwebt manchmal
auf hohen Schuh’n nach der Stadt,
sie küßt in den Bars mit dem Strohhalm
die Gläser tief auf den Mund,
und es kommen ihr Worte für alle.
Doch diese Sprache verstehe ich nicht.

Nebelland hab ich gesehen,
Nebelherz hab ich gegessen.

 
Ich liebe dieses Gedicht von ihr. Ihre Tablettensucht führte letztlich zu ihrem viel zu frühen tragischen Tod.

Sie war eine beeindruckende Schriftstellerin.

Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 22.08.24 um 16:45:
Vielen Dank, Sigi,
mehr als alle Theorie sagt ihre Lyrik, aus der du treffsicher ausgewählt hast. Manche wissen nicht, dass sie auch hervorragende politische Lyrik geschaffen hat. Hier ein Beispiel:

Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.
Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.
Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.


Herzliche Grüße
Ekki


 plotzn (22.08.24, 11:03)
Servus Ekki,

ganz stark finde ich

Im Brand der Leidenschaften stets gefangen,
„Undine geht“, auch du bist früh gegangen,
Kommt es mir nur so vor, oder scheiden tatsächlich überportional viele berühmte Künstler früh aus dem Leben?


Liebe Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 22.08.24 um 17:06:
Merci, Stefan, es gibt noch viele weitere Dichter und Schriftsteller, die viel zu früh verstorben sind. Hier sind einige von ihnen:

  1. Sylvia Plath: Die amerikanische Dichterin und Schriftstellerin Sylvia Plath nahm sich im Alter von 30 Jahren das Leben. Ihre Werke, darunter “Die Glasglocke” und ihre Lyrik, sind bis heute bekannt und beeinflussen viele Menschen.

  2. Arthur Rimbaud: Ein französischer Dichter des Symbolismus, der bereits im Alter von 37 Jahren aufhörte zu schreiben und später verstarb. Seine Gedichte sind jedoch weiterhin einflussreich.

  3. John Keats: Ein englischer Romantiker, der im Alter von nur 25 Jahren an Tuberkulose starb. Seine Poesie, wie “Ode to a Nightingale”, wird oft als Meisterwerk betrachtet.
  4. Unter den deutschsprachigen Dichtern fallen mir ohne Recherche Novalis,  Büchner und Trakl ein.
  5. Liebe GrüßeEkki

 harzgebirgler (22.08.24, 11:12)
Hallo Ekki,

was ich besonders interessant finde: Sie hat 1949 über Heidegger promoviert, ohne wohl je was von ihm in Gänze im Original gelesen zu haben...

https://www.spiegel.de/kultur/bachmann-ueber-heidegger-a-826b628d-0002-0001-0000-000013517030

Beste Grüße
Henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.08.24 um 17:18:
Gracias Henning, ich finde das ebenfalls sehr bemerkenswert.
Hier ist eine Zitat aus dem von dir3 zitierten SPIEGEL:
"Lange Zeit war Ingeborg Bachmanns Doktorarbeit über Heidegger (Wien 1949) ein kaum überprüfbares Gerücht; die Autorin selbst fand später, das Werk sei in einer »erbarmungswürdigen akademischen Diktion« verfaßt. Jetzt, zwölf Jahre nach dem Tod der Dichterin, ist die Dissertation doch noch als Buch erschienen: »Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers« (Piper Verlag, München). Schwierigkeiten machten bei der Herausgabe die zahlreichen ungenauen, offenbar aus zweiter Hand übernommenen Heidegger-Zitate im Text. Der Wiener Philosophiedozent Friedrich Wallner schließt daraus in seinem Nachwort »mit ziemlicher Sicherheit, daß Ingeborg Bachmann weder 'Sein und Zeit' noch ein anderes Werk Heideggers zur Gänze im Original gelesen hat«. Dennoch findet er, »gemessen am Standard von Dissertationen der Nachkriegszeit«, sei die Bachmann-Arbeit »überdurchschnittlich«."
 




Feedback

 harzgebirgler meinte dazu am 22.08.24 um 18:28:
"überdurchschnittlich" erscheint mir arg geschmeichelt - heutzutage wäre die mit pauken und trompeten durchgefallen und deine dissertation, lieber ekki, deucht mich da regelrecht summa cum laude sprich preiswürdig.

lg
henning

 Graeculus (22.08.24, 16:08)
Danke!
"Malina" halte ich für nicht gelungen, wohl aber dieses Gedicht:

ERKLÄR MIR, LIEBE

Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten im Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn ...
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

[Ingeborg Bachmann: Gedichte – Erzählungen – Hörspiel – Essays. München 61981, S. 48 f.]

Jedem, der sagt, ein Komma sei doch eine Nebensächlichkeit, kann man dieses Gedicht entgegenhalten.

Kommentar geändert am 22.08.2024 um 16:10 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.08.24 um 17:28:
Ein wunderbares Gedicht, Graeculus.
Es gibt übrigens einen Überschneidungsbereich von Liebe und Poesie. Beide entziehen sich letztlich der Erklärung.

 Graeculus meinte dazu am 22.08.24 um 18:15:
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

Das klingt, wenn man an ihr Ende denkt, schon ... eigenartig.

Interpretieren kann man schon, bei der Poesie wie der Liebe.

Bei diesem Gedicht liegt die Besonderheit vor, daß sich die Verfasserin persönlich zur Deutung des Textes geäußert hat. Ihr Brief aus Rom von 9. Juli 1957 stützt und erweitert die bisher formulierte Interpretation: „In der ersten Strophe beobachtet das ‚Ich’ ... einen anderen Menschen, der liebt, diesen Zustand, in dem sich jener befindet und der ihm merkwürdig erscheint und ihn die Liebe um eine Erklärung bitten lässt. In den nächsten beiden Strophen wird das Bild erweitert; die Tiere, die Natur werden bemerkt, ihre Liebes-fähigkeit, und am Ende der zweiten dieser Strophen verrät der Autor mit den Worten: ‚hätt ich nur seinen Sinn’, daß ihm die Möglichkeit, auf diese Weise zu lieben, fehlt.“

[aus einer Rezension in der FAZ vom 24.9.2005]
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