Es gibt zahlreiche Augenzeugen-Berichte von Orakelbefragungen im tibetischen Buddhismus. Beispielsweise von Lama Govinda, der Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Tibet kam:
Kurz vor Mittag hörten wir das Dröhnen von Kesselpauken ... und sahen eine Menschenmenge sich dem Eingang des Orakeltempels zu drängen. ... wir mischten uns unter die Menschenmenge. ... Bevor wir wussten, wie uns geschah, standen wir vor dem Thron des Großen Orakels 1
Auf dem Thron saß, prachtvoll gekleidet mit einer goldenen Tiara auf dem Haupte, der Orakelpriester von Dungkar Gompa. Es folgte nun eine öffentliche Anrufung der Schutzgötter Tibets durch einen Mönchschor:
Die Menge stand wie versteinert im Bann dieses feierlichen Augenblicks. Alle Augen waren auf die majestätische Person auf dem goldenen Thron gerichtet. ... Plötzlich aber schien ein Vibrieren, vom Boden ausgehend, die Füße und Beine (des Orakelpriesters) zu erfassen, ... , bis schließlich die ganze Person von konvulsivischen Zuckungen erschüttert wurde. ... Dieser Kampf zwischen dem menschlichen Körper und der unheimlichen Macht, die von ihm Besitz ergriff und ihn in ein dämonisches Wesen verwandelte, war ein beängstigender Anblick. 2
Es trat dann ein Mönch vor den Thron und stellte ein Frage bezüglich der Zukunft Tibets. Woraufhin der Orakelpriester sich erhob, ein Schwert aus dem Waffenbehälter griff und damit in alle Richtungen Hiebe austeilte, mit unvorstellbarer Geschwindigkeit und Wucht, offensichtlich nicht mehr Herr seiner Sinne ... sechs kräftige Mönche versuchten ihn auf den Thron zurückzuziehen:
Der Priester schien sie aber überhaupt nicht zu bemerken und schüttelte sie ab wie eine Schar Kinder. ... er schließlich schwer atmend und völlig erschöpft in sich zusammensank. ... Der Schaum stand ihm vor dem Mund und er gab seltsame Laute von sich als versuchte er zu sprechen. 3
Kurz darauf näherte sich ein Mönch mit einer Schreibtafel und schrieb die sich auf den Lippen formende, geflüsterte Botschaft des Orakelpriesters, den Rat der Schutzgottheit, auf.
Abschließend noch kurz die Reaktion der Menge:
... sie drängten wieder dem Throne zu und warfen sich dem Orakel zu Füßen ... auch wir fühlten, wie wir aus unserem eigenen Bewusstsein herausgehoben und aufs tiefste ergriffen wurden, so dass wir uns wie alle anderen dem Orakel zu Füßen warfen, alles um uns vergessend, außer der Wirklichkeit einer Macht jenseits unseres Verstehens. 4
Fazit
Erstaunlich, dass Govinda hier selber das Dämonische ins Spiel bringt. Er tat es in dem Buch mehrfach. Und doch unterwarf er sich dieser "Gottheit" gänzlich, obwohl er sich in seiner Jugend ausführlich mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt hatte. Wie ist so etwas erklärbar?