Deine geistigen Kräfte lassen nach

Text zum Thema Selbstbild/Selbstbetrachtung

von  EkkehartMittelberg

Du weißt es schon lange.

Aber es fällt so schwer,

es dir einzugestehen.


Für den Kreativen ist diese Einsicht besonders frustrierend,

weil er wie früher gestalten möchte

und auf seine Unzulänglichkeiten stößt.


Du kannst dir mit routinierten Fertigkeiten helfen,

die vielleicht eine Zeitlang über deine Schwächen hinwegtäuschen.

Du vermeidest das unsichere Terrain neuer Versuche

und reproduzierst Bewährtes.


Du weißt aus Erfahrung um die blendende Wirkung sprachlicher Konnotationen,

aber das Frische, Unverbrauchte, Originelle fehlt.

So gleitest du Schritt für Schritt ins Triviale hinab,

es sei denn, du entscheidest dich für die schmerzliche Konsequenz des Verzichts.



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Kommentare zu diesem Text


 IngeWrobel (03.01.22, 03:15)
Ein schmerzender Prozess – wieder durchaus  nachvollziehbar für mich. 

Erinnert mich an Tucholskys Stufen: "Sprechen - Schreiben - Schweigen" 

Praedemente Grüße von der Inge, die fest daran glaubt, dass in diesem Jahr ALLES besser wird. (Däumchendrück!) 

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 11:40:
Grazie für die Empathie, Inge. Es geht darum, den Zustand kreativer Erschöpfung möglichst früh zu antizipieren.

Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg (03.01.22, 05:32)
Das ist mit Sicherheit die schlimmste aller Einsichten.
Der voraussehbare Verzicht lässt sich ein wenig abmildern, indem man sich verstärkt mit Werken anderer auseinandersetzt,

vermutet der8.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 03.01.22 um 11:46:
Merci, Piccola, auch ich sehe darin eine vertretbare Abmilderung, weil die kognitiven Kräfte nicht so schnell schwinden wie die komplexeren kreativen.
Liebe Grüße
Ekki

 harzgebirgler (03.01.22, 09:42)
für mich ein verzicht der der zeit kaum verzeiht
wie doch die endlichkeit fast zum himmel schreit.

lg
henning

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 03.01.22 um 11:57:
Das stimmt, Henning. Deshalb
Lass uns versuchen, die Schmerzlichkeit des Verzichts zu überlisten,
um ausgeglichen die letzten Jahre zu fristen.

LG
Ekki
Jo-W. (83)
(03.01.22, 09:55)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 03.01.22 um 12:01:
Gracias, Jo.

Das Schlimmste ist, die Augen zu verschließen,
weil aus Erkenntnis neue Ideen sprießen.

LG
Ekki
Browiak (67)
(03.01.22, 10:57)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 03.01.22 um 12:16:
Grazie, Browi,
dein Beispiel von dem Verzicht des Liebhabers finde ich sehr stark
Man kann auch lernen, sich nicht immer an sich selbst zu messen. Nur so entsteht eine Lockerheit, die Grundvoraussetzung für Kreativität ist. Auch Selbstironie scheint mir hilfreich zu sein, vorausgesetzt, dass sie nicht ausgenutzt wird.
Liebe Grüße
Ekki
Dieter Wal (58)
(03.01.22, 11:35)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 12:21:
Vielen Dank, Dieter, du zeigst, dass sinnvolle Nischen der Gestaltung auch dann noch bleiben, wenn tatsächlich die geistigen Kräfte schwinden
Verlo (65)
(03.01.22, 12:04)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 12:33:
Vielen Dank, Verlo, deine Feststellung trifft grundsätzlich zu.- Leider sind die Kreativen oder vermeintlich Kreativen besonders sensibel, wenn sie sich eingestehen müssen, dass ihre Kräfte schwinden.

 Beislschmidt (03.01.22, 12:12)
Nicht umsonst sagt man "Auf der Höhe seines Schaffens" .... das Eingeständnis sich im Rückwärtsgang zu bewegen, ist bitter und frustrierend. Das kommt in deinem Text deutlich rüber.

Was tun? Etwas Neues zu wagen, heißt Anteil nehmen an etwas. Neugierde ist etwas, was man haben sollte und manche hatten es nie. Nur durch Neugierde oder auch Lust an Erkenntnis schläft man nicht ein. Altes aufzuwärmen, wie Phil Collins' trauriges Schicksal gezeigt hat, wird immer ein schaler Aufguss bleiben, wie ein Drummer, der seine Einsätze verpasst. Beislgrüße

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 12:40:
Merci, Beislschmidt, lasst uns die Neugier pflegen. Sie ist eine der wichtigsten Quellen der Kreativität.

 TassoTuwas (03.01.22, 13:05)
Lieber Ekki,
die Erkenntnis, dass alles seine Zeit hat, gilt auf allen Feldern.
Tröstlich ist, im musischen Bereich kann die schöpferische Periode bis ins hohe Alter anhalten und manchmal sogar noch reifen!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 17:16:
Lieber Tasso,
ich möchte gerne glauben, was du schreibst. Vielleicht findet sich hier ein Leser, der deine Aussage belegen kann. Das wäre sehr tröstlich.
Herzliche Grüße
Ekki

 Graeculus (03.01.22, 14:35)
Darüber kann man viel nachdenken und vieles sagen; manches ist schon von den anderen Kommentatoren gesagt worden. Am Alter kommt niemand vorbei, es sei denn, er stirbt jung; am Tod überhaupt niemand.
Ich neige nicht dazu, diesen Umstand schönzureden oder zu verdrängen.
Vielleicht ist es ein Trost, daß es allen so geht - auch den derzeit jungen Leuten, die jetzt vielleicht die Nase hoch tragen.
Man kann sich glücklich schätzen, wenn der unleugbare Rückgang der Fähigkeiten spät eintritt, und man kann länger als auf die eigenen kreativen Fähigkeiten auf die von anderen (z.B. lesend) zurückgreifen.
Mit immerhin 80 Jahren schrieb Sophokles:

Nicht geboren zu sein, das geht
über alles; doch, wenn du lebst,
ist das zweite, so schnell du kannst,
hinzugelangen, woher du kamest.
So bald schwindet Jugend hin,
leicht, von Sorglosigkeit beschwingt:
wer dann noch lebt von Mühsal frei,
wer in steter Bedrängnis nicht?
Und Mißgunst, Aufruhr, Zwietracht, Krieg,
Morde! Und das immer gescholtne kommt dann hinzu als
Letztes: das kraftlose, freundlose Alter,
ungesellig, bei dem die gesamten
Übel der Übel hausen.
(Ödipus auf Kolonos, V. 1224-1238)


Nietzsche nannte dies einen "Pessimismus der Stärke". Wir werden das durchstehen, und wir werden nicht zu jammern beginnen! Oder?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 17:31:
Lieber Graeculus, wieder etwas Neues! Die Verse aus Ödipus auf Kolonos kannte ich nicht. Nein wir werden nicht jammern. Ich hätte auf diesem Forum auch keinen Grund dazu; denn ich bemerke dankbar, wie einfühlsam die Kommentare sind. Das habe ich nicht erwartet..

 Graeculus meinte dazu am 03.01.22 um 17:48:
Mit 80 Jahren hat Sophokles sich daran gemacht, seinen "König Ödipus" fortzusetzen: "Ödipus auf Kolonos". Dieses "Das Beste ist, nicht geboren zu sein" war in Griechenland ein weit verbreitetes Sprichwort - man rechnet es zum sog. griechischen Pessimismus.

Übrigens lohnt es sich auch, auf die Vorzüge des Alters zu schauen. Cicero hat ein eigenes Büch darüber geschrieben: "Cato maior de senectute".
Darin zitiert er auch die folgende, von Platon überlieferte Sophokles-Anekdote:

Vor allem kann ich [sc. Sokrates] mich berufen auf den Dichter Sophokles. Ich war nämlich einst Zeuge, wie er von jemand gefragt wurde: „Wie, Sophokles, steht es  mit dir in Hinsicht auf die Liebesfreuden [ἀφροδίσια]? Bist du noch imstande einem Weibe beizuwohnen?“ „Wahre deine Zunge“, erwiderte er, „mein Bester. War es mir doch die größte Wohltat davon loszukommen, als wäre ich einen rasenden und wilden Herrn losgeworden. [Εὐφήμει, ἔφη, ὦ ἄνθρωπε. ἁσμενέστατα μέντοι αὐτὸ ἀπέφυγον, ὥσπερ λυττῶντά τινα καὶ ἄγριον δεσπότην ἀποδράς.]“ Das schien mir schon damals ein treffendes Wort und jetzt erst recht.
(Platon: Politeia 329 b-d)


Wir sind den Wirrungen der Sexualität entronnen!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 20:07:
Vielleicht ist es heute leichter als in der Antike, im offenen Gespräch der Sexualität etwas von ihren Wirrungen zu nehmen.
Ciceros Buch "Cato maior de senectute" habe ich gelesen und seine Ausgewogenheit des Urteils bewundert.

 AZU20 (03.01.22, 14:44)
Verzicht kommt ja wohl nicht in Frage. LG

 eiskimo meinte dazu am 03.01.22 um 15:58:
Wir sind ja auch Beispiel, lieber Ekki.  Wir müssen den Jüngeren zeigen, dass es lohnend ist, sich zu fordern, immer weiter, geistig wie körperlich.
LG
Eiskimo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 17:38:
Lieber Armin, bloße Rhetorik ist es nicht, Ich hoffe noch ein paar Nischen zu finden, in denen ich etwas Anregendes sagen kann. Aber der Gedanke an Verzicht wird mich stets kritisch begleiten.
LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 17:47:
Lieber Eiskimo, es ist in unserer Zeit sehr schwierig,  mit Jüngeren ins Gespräch zu kommen, weil Werbung und Gesellschaft ihnen stets suggerieren, dass wir alten Zausel ihnen nichts mehr zu sagen hätten. Ich wage es nur dann, wenn ich mir sicher bin, dass ich nicht aufdringlich wirke.

 Didi.Costaire (03.01.22, 15:39)
Hallo Ekki,

vielleicht hilft ja die Erfahrung aus dem bereits durchlebten Nachlassen der körperlichen Fitness...

Liebe Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 17:53:
Merci, Didi, alles, was geeignet ist, das Selbstbewusstsein zu stärken, ist hilfreich.

liebe Grüße
Ekki

 GastIltis (03.01.22, 16:51)
Lieber Ekki,
wenn man einen Pfeil abschießt, und die Pfeile der Zeit unserer Tage sind in der Lage, um die ganze Welt zu fliegen, stehen im Zielbereich die Naiven, im Glauben, dass es den Schützen trifft. Aber dessen Pfeil streut. Und so werden die Naiven ge- und sind betroffen und sie werden überlegen, ob es nicht besser ist zu schweigen. Ob das deine Intention war? Wenn es so wäre, scheinen mir viele meiner Mühen der Vergangenheit noch als streunende Pfeile unterwegs zu sein. Wohin auch immer? Lass dich streifen von vielleicht einem.
Herzlich Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 18:05:
Merci Gil, das mit den Pfeilen, die noch unterwegs sind, verstehe ich gut. Aber diesmal wollte ich keinen treffen, um ihn betroffen zu machen. Das Gedicht ist aus einer elegischen Stimmung entstanden. Umso besser natürlich, wenn jemand das kritische Potenzial reflektiert.
Herzliche Grüße
Ekki

 tulpenrot (03.01.22, 21:26)

das Frische, Unverbrauchte, Originelle fehlt.
So gleitest du Schritt für Schritt ins Triviale hinab,
es sei denn, du entscheidest dich für die schmerzliche Konsequenz des Verzichts.
Ich weiß nicht, Ekki, ob ich das unterschreiben kann. Ist es denn nicht so, dass es Zeiten gibt, in denen man kreativer, kraftvoller unterwegs ist als zu anderen Zeiten? Unabhängig vom Alter. Nur weil man jung ist schreibt man doch nicht frischer, unverbrauchter oder origineller. Nur weil man alt ist, gleitet man doch nicht ins Triviale ab. Diese von dir beschriebene Zwangsläufigkeit  sehe ich nicht. Und die Schlussfolgerung ist grausig. (Dann sollte ich z.B. meinen Mund halten. Bin zwar alt aber noch ist ja Zeit. Sarkasmus aus.) Ich kann deine Gedanken zwar gut nachvollziehen, bin selber nicht frei davon und möchte all mein Tun manchmal am liebsten an den Nagel hängen, bevor es peinlich wird. Aber ist es "den Alten" nicht auch vergönnt, zu großartigen Leistungen fähig zu sein, zu einem gereiften Alterswerk?  Das ist vielleicht etwas hochtrabend ausgedrückt, aber das Licht unter den Scheffel zu stellen, gilt nicht, und sich/seine Begabung verschämt zu verstecken, ist keine Lösung.  Ich bewundere all die Hochbetagten, die trotz des Alters noch immer "am Ball bleiben", ihre Stimme erheben und sich einklinken, für sie Neues wagen oder Bewährtes ausbauen. Also????? Machst du mit?

Aufmunternde Grüße
Tulpi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.01.22 um 21:57:
Liebe Tulpi, ich danke dir dafür, dass du die Diskussion noch einmal belebst.. Aber hier geht es nicht um alle Fälle, sondern um einen besonderen. Selbstverständlich kann ein hochbetagter Autor noch sehr kreativ sein. Ich habe aber einen vor Augen, dessen geistige Kräfte tatsächlich stark nachlassen und der weiß, dass seine Kreativität ausgebrannt ist.  Das muss nicht eine dramatische Krankheit sein wie bei Walter Jens. Mir steht das allmähliche Nachlassen der kreativen Kräfte eines Autors vor Augen, der sich an seinem hohen Anspruch früherer Tage misst und nicht bereit ist, Triviales zu schreiben. Ich finde, man sollte respektieren, dass so einer sich entscheidet zu schweigen. Das muss keine Lösung für jeden sein. Vielleicht finden auch die, die trotz des Schwindens ihrer Kräfte weiterschreiben, einfühlsame Leser.

 Saira (10.01.22, 18:36)
Ein Text, der zum Nachdenken anregt, lieber Ekki. Sich selber einzugestehen, dass der eigene Geist, aus welchen Gründen auch immer, einer größer werdenden Leere weicht und uns nicht mehr leben lässt, wie wir es uns wünschen und ersehnen, kann nur Ohnmacht hinterlassen. Wer sich dann für die Konsequenz entscheidet, Grenzen zu ziehen, um sich keine öffentliche Blöße -ich vermute, diese ist gemeint- zu geben, wird sich höchstwahrscheinlich frustriert und traurig zurückziehen.
 
Diese Konsequenz kann ich nachvollziehen, überlege jedoch, ob so ein totaler Rückzug sein muss. Vielleicht kann die Kreativität, wenn auch eingeschränkt, weitergelebt werden. Ein eng Vertrauter, der sich mit dem Schreiben auskennt, könnte Korrektur lesen, bevor Texte an die Öffentlichkeit gelangen.

Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.01.22 um 20:40:
Vielen Dank, Sigi, die von dir aufgezeigte Lösung mit dem engen Vertrauten halte ich für praktikabel und sinnvoll.
Herzliche Grüße
Ekki
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