Man muss Komplimente verstehen

Fabel zum Thema Fortschritt

von  EkkehartMittelberg

Eine Schnecke bewegte sich mühsam auf ihr Ziel zu. Sie hatte gelernt, ihre Langsamkeit zu akzeptieren und hätte weniger gelitten, wenn sie nicht immer wieder dem Spott anderer Tiere ausgesetzt gewesen wäre. Gerade rief ihr ein Windhund zu: „Hallo. du Pfeilschnelle, pass auf, dass du beim Überholen den Wind nicht beleidigst!“

Ein paar bittere Tränen fielen in ihre Kriechspur. Da hörte sie von hinten zwei Menschen, die sich angeregt unterhielten, und gerade sagte der eine:“ Der Fortschritt ist eine Schnecke.“ „Genau das ist auch gut so“, antwortete der andere; „denn so hat er Zeit sich zu etablieren.“ Da begriff die Schnecke; dass man ihr ein imposantes Kompliment gemacht hatte, weil sie mit dem Fortschritt gleichgesetzt wurde, dessen Langsamkeit als stabilisierend erklärt wurde.

Ein heiteres Lächeln wollte den ganzen Tag nicht mehr von ihr weichen.




Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Regina (04.05.23, 09:50)
Wenn dann mal der sogenannte Fortschritt nicht dem Krebs ähnelt, der geht rückwärts.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.05.23 um 10:17:
Merci Regina, dein Kommentar passt zu dem ironischen Grundton der Fabel.

 harzgebirgler (04.05.23, 10:52)
:) :) 
aber:
zur schnecke macht man gern die post
der'n schneckentempo nerven kost't! :( 

lg
henning

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 04.05.23 um 11:04:
Gracias, Henning, ich tröste mich damit, dass Zahlungsaufforderungen vom Finanzamt auch diesem Schneckentempo unterliegen. :)

LG
Ekki

 TrekanBelluvitsh (04.05.23, 11:33)
Geschwindigkeit ist immer relativ. Mit Atomwaffen kann man z.B. eine Region ganz schnell in die Steinzeit zurückbomben

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 04.05.23 um 13:39:
Merci, Trekan,  so ist es. Daran gemessen ist das Schneckentempo des Fortschritts rasant hoch.
Agnete (66)
(04.05.23, 12:04)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 04.05.23 um 13:43:
Vielen Dank, Monika. Was mit heißer Nadel genäht wird, kann anbrennen.

LG
Ekki

 Oops (04.05.23, 12:23)
Das ein Langsamer im Grunde schnell ist je nachdem wie seine Langsamkeit bzw. Schnelligkeit betrachtet wird. Das klingt erst einmal sehr nett. Eine Ironie kann ich da nicht herauslesen. 

LG Oops

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 04.05.23 um 13:47:
Grazie, Oops. Die Ironie liegt darin, dass der Langsame wie die Schnecke die relative Aussage fast immer als Kompliment und nicht als Kritik verstehen wird.

LG
Ekki

 Saira (04.05.23, 12:46)
Eine schöne Fabel, lieber Ekki. Ich sehe die lächelnde Schnecke vor mir.
 
Welch ein Glück, dass sie die Unterhaltung der beiden Menschen falsch verstanden hat.
 
Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.05.23 um 13:52:
Gracias, genau Sigi, wir haben es hier mit dem Paradoxon des hilfreichen Missverständnisses zu tun. Falls Graeculus das zufällig liest, kann er bestimmt noch weitere Beispiele dafür liefern.

Liebe Grüße
Ekki

 AlmaMarieSchneider (04.05.23, 13:54)
Eine schöne Fabel. Mir fressen sie derzeit im Garten meine Jungpflanzen weg. Das geht richtig fix, da sind sie sehr schnell.
Sie haben es ja auch nicht leicht. Klimawandel, lange Trockenperioden und jetzt sollen sie sogar noch für die Schönheit herhalten
Ihre Langsamkeit ist da das kleinere Übel.

Ein Lächeln
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.05.23 um 17:07:
Grazie, Alma Marie. Das mit der Schönheit wusste ich noch nicht. Vielleicht sollte ich mir auch ein paar Schneckerl anschaffen. :)
Lächelgrüße Zurück
Ekki

 TassoTuwas (04.05.23, 18:18)
Lieber Ekki,
ob man Komplimente verstehen muss, kann ich nicht sagen!
Ein Kompliment ist für mich ein sprachliches und gesellschaftliches und vor allem geistreiches Kunstwerk, es könnte ein eigenes Genre sein!
Ein Kunstwerk, das durch die mit Vehemenz betriebene Verkümmerung der Sprache zum Aussterben verurteilt ist.
Schade drum.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.05.23 um 01:04:
Wir stimmen überein, mein Freund.
Soüveräne Menschen beflügeln die Kunst des Kompliments.
Herzliche Grüße
Ekki

 Tula (04.05.23, 23:47)
Ja Ekki, leider lässt sich der 'wahre' Fortschritt sogar noch mehr Zeit als das Altern ...
LG Tula

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.05.23 um 01:09:
das stimmt, Tula, lass uns mit der Gelassenheit des Alters dennoch den Fortschritt erwarten.
LG
Ekki

Antwort geändert am 05.05.2023 um 07:32 Uhr

 plotzn (09.05.23, 14:55)
Servus Ekki,

eine Medaille hat immer zwei Seiten und "Entschleunigung" ist die positive Art, Langsamkeit zu beurteilen. Schön "verfabelt"!

Liebe Grüße
Stefan

 RainerMScholz meinte dazu am 09.05.23 um 23:27:
Ja, Langsamkeit ist genau das, was wir jetzt brauchen nach 40 Jahren Untätigkeit, nein, nicht Untätigkeit: Verfeuerung, Brand und Verheizung.
Tun wir alten Leute doch nicht so, als würden wir ein bestelltes Haus hinterlassen und niemand müsse sich sorgen.
Grüße,
R.

Antwort geändert am 09.05.2023 um 23:37 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 10.05.23 um 19:59:
Vielen Dank, Stefan und Rainer.
Rainer, die Fabel ist kein Plädoyer für Langsamkeit. Es geht um das Verständnis von Komplimenten.

LG
Ekki

 JohannPeter meinte dazu am 22.05.23 um 17:51:
Äääähh, mal so... - wessen Tränen fielen denn da in ihre Kriechspur?  :O

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.05.23 um 17:42:
ihre eigenen, lieber JohannPeter.

 Redux (30.05.23, 19:13)
Wahre Worte, wunderbar präsentiert.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram