Aus meinem Leben: Kindliche Grausamkeit

Ansprache zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  EkkehartMittelberg

Als Kind verbrachte ich meine Ferien bei Verwandten auf einem Bauernhof. Damit verband ich lange nur Harmonie. Tun und lassen, was man wollte und Spiele, in die kein Erwachsener hineinredete. Das dauerte so lange, bis die Erntemaschine dem Hofhund ein Pfote nahezu abschnitt. Ich hatte mich bis dahin nicht um das Tier gekümmert, fand jetzt aber eine Blutspur, die zu seiner Hütte führte.

Meine bäuerlichen Verwandten hatten keine Zeit sich um solche Vorfälle zu kümmern. Entweder heilte die Wunde des Hundes ohne ihr Zutun aus oder er wurde durch einen neuen ersetzt. Ich fand das herzlos und hatte alle Zeit der Welt, mich um das verwundete Tier zu kümmern, das ich tränkte und fütterte und dessen Wunde ich nach Gutdünken mit Umschlägen versorgte. Ich habe noch heute den dankbaren Blick des Hundes vor Augen, der mir natürlich die Hände leckte, wenn ich kam, und der am Ende der Sommerferien wieder auf drei Beinen laufen konnte.

Ich kam mir wie ein kleiner Samariter vor, als ich mit dieser Erinnerung nach Hause fuhr. Auf meiner Straße spielten meine Kameraden Hockey mit selbst gebastelten Stöcken. Sie machten gerade eine Pause, als einer einen Frosch entdeckte, der aus dem Straßengraben auf das Spielfeld gehüpft war. Es bildete sich schnell ein Kreis um das Tier, das alle neugierig anstarrten. Das dauerte aber nur einige Augenblicke, dann nahm der Anführer seinen Hockeyschläger und ließ ihn auf den Frosch niedersausen. Keiner sagte ein Wort und die anderen Spieler schlossen sich ihm blitzschnell an. Nach ein paar Sekunden war der Körper des Tieres auf der Straße zerfetzt. Ich war geschockt und schäme mich heute noch, dass ich dem Gemetzel nicht Einhalt gebot.

Wenn jemand die Kinder gefragt hätte, warum sie sich an dem Tier vergriffen, hätten sie es wahrscheinlich nicht sagen können.



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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (01.05.23, 02:33)
Kinder müssen erst lernen ihre eigenen Verfehlungen zu erkennen. 
Sie folgten dem Handeln des "Anführers". Ein einzelner hätte das vermutlich nicht gemacht, außer er hätte eine Veranlagung dazu.

Ja, die Härte der Landbevölkerung bekam auch ich zu spüren. Einen Arzt lernte ich erst im Erwachsenenalter kennen. Der arme Hofhund hatte darauf wohl kaum Aussicht. 

Ob sich die Zeiten wenigstens etwas geändert haben?
Ich glaube sie sind für die Tiere unerträglicher geworden.
Hühnerhaltung, Schweinemästerei ganz schlimm.

Herzlichst
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 10:21:
Vielen Dank, Alma Marie, ein Anführer kann viel Unheil anrichten.
Du siehst auch richtig, dass ein Teil der Grausamkeit, die wir heute erleben, der Ökonomie geschuldet ist.

Herzlichst
Ekki
Verlo (65)
(01.05.23, 06:22)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 01.05.23 um 10:26:
Danke deiner Nachfrage, Verlo. Er hat trotz meiner Pflege die vierte Pfote verloren, aber noch einige Jahre auf drei Pfoten überlebt.

 uwesch (01.05.23, 06:30)
Gedankenlose Brutälität kommt leider oft mal wieder vor. Eindrückliche Schilderung.
LG Uwe

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 01.05.23 um 10:28:
Merci, das stimmt, Uwe. Die Gesellschaft neigt freilich dazu, Grausamkeit von Kindern nicht wahrhaben zu wollen.
LG
Ekki

 Regina (01.05.23, 07:35)
Kinder, vor allem in Gruppen, können oft grausamer zuschlagen als Erwachsene. Sie sollten eben nie ganz ohne Anleitung durch vernünftige Erwachsene sich herumtreiben. Betreuungsnotstand betraf auch den Hund.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 01.05.23 um 10:34:
Gracias, Gina, Jugendbücher verklären die von dir realistisch gesehene Tatsache meistens. Ich weiß nicht, inwieweit seriöse Psychologen von der Grausamkeit von Kindern auf die Natur des Menschen schließen.

LG
Ekki

 DanceWith1Life ergänzte dazu am 01.05.23 um 20:01:
ich finde, wir sollten uns da ein wenig bremsen, und selbst an die Leine nehmen. Siehe road rage, Fußballschlachten, Überholspuraggressionen, kann sein, dass das schon hilft, da sie uns nur nachahmen. Von Videospielen will ich gar nicht erst anfangen, das ist ein Desaster, mit was da wegen "ein paar Dollar mehr"....

 AchterZwerg (01.05.23, 07:52)
Lieber Ekki,
dass sind Erfahrungen, die wohl jeder einmal oder öfter in seinem Leben macht.
Grausamkeit gegenüber Schwächeren oder Hilflosen ist weit verbreitet. Unter Kindern, unter Soldaten, unter Rassisten ...

An sich ist der Mensch ein ekles Wesen. Doch manchmal zu großmütigen Taten fähig.

Herzliche Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 10:39:
Grazie, Piccola, mich würde sehr interessieren, inwieweit die in unterschiedlichen Gruppierungen verbreitete Grausamkeit eine Reaktion darstellt. Das würde sie nicht besser, aber verständlicher machen.

Herzliche Grüße
Ekki
Taina (39)
(01.05.23, 09:24)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 10:52:
Ich kann dir nur zustimmen, Taina. Man macht einen großen Fehler, wenn man die in der Natur vorhandene Grausamkeit ausblendet.
Teolein (70)
(01.05.23, 09:52)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 19:48:
Merci, mein Freund, es ist wohl komplizierter. Warum befiel die anderen nicht eine Schockstarre wie mich. Sie geboten dem Anführer nicht nur keinen Einhalt, sie machten mit. Vielleicht steckt in der menschlichen Psyche ein atavistischer Trieb zur Grausamkeit, der nur von dünner Tünche der Zivilisation überdeckt wird.
Pessimistische Grüße
Ekki

 Tula (01.05.23, 10:30)
Moin Ekki
Es ist leider nicht selten, dass Kinder 'aus Spaß' gedankenlos Tiere quälen. Ich denke an meine Kindheit, als manche davon berichteten, wie man Katzen ein paar Blechdosen an den Schwanz bindet, damit sich diese vor Angst zu Tode hetzt. Als ich in der Schule noch Knirps war, gab es in einem Jahrgang weit über mir ein paar Typen, die die Katzen auf dem Schulklo ersäuften. Widerlich.
Bei den Bauern ist das natürlich etwas anderes. Deren praktische Sichtweise auf den Nutzen von Leben und Tod der Tiere kann ich als Städter zwar verstehen, aber emotional dennoch nicht nachvollziehen. 
Als unsere Hündin damals 8 Welpen warf, durften nur 4 überleben. Keiner aus der Familie war aber imstande, zur Tat zu schreiten. Wir mussten Opa holen, der hatte Karnickel im Stall und wusste, wie man denen das,Fell über die Ohren zieht. Er erledigte den 'schmutzigen Job'.

LG
Tula
kipper (34) meinte dazu am 01.05.23 um 10:35:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 19:57:
Gracias Tula, wenn ich es richtig sehe, teilst du meine pessimistische Sicht. Ich denke sogar, dass die Schwächsten in der Hierarchie der Leidenden am ehesten dazu neigen, den auf sie ausgeübten Druck an unschuldige Tiere weiterzugeben.
LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 20:14:
Hallo Kipper,
diesmal danke ich dir besonders. Wenn du nicht gerade den Überlegenen raushängen lassen willst, sind deine differenzierenden Kommentare sehr hilfreich. Ich kann mir diesmal kaum eine weitere Erhellung deines Kommentars vorstellen. Wünschenswert wären lediglich Hinweise auf empirische Studien, die belegen, was evident erscheint. Aber das kann man von einem Kommentar nicht erwarten.
Agnete (66)
(01.05.23, 10:35)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 20:48:
Gracias, Monika. Auch ich lobe mir die Biohöfe. Es ist sehr interessant, dass man den Umgang mit Tieren positiv verändern kann, wenn man ökonomische Anreize für einen humaneren Umgang mit ihnen schafft.

LG
Ekki

 plotzn (01.05.23, 10:39)
Servus Ekki,

die Unterscheidung, was gut ist und was böse, erlernen die Kinder erst durch Prägung, Erziehung und Nachahmung. Ich nehme an, dass die spielenden Kinder schon so groß waren, dass sie wussten, dass dieses Töten nicht in Ordnung war, aber dann kommt der Gruppenzwang dazu und nur wenige sind da schon so stark und moralisch gefestigt, dem entgegenzutreten. Das Reflektieren, warum man etwas Böses getan hat, kommt erst viel später (wenn überhaupt

Liebe Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 21:03:
Vielen Dank, Stefan, dem kann ich nicht widersprechen. Ich denke aber, dass in der Folge von Rousseau unser Bild von der kindlichen Psyche noch zu optimistisch ist. Es gibt nämlich auch hochintelligente grausame Kinder, die nicht deshalb grausam sind, weil sie etwas weitergeben, was ihnen selbst zugefügt wurde.

Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (01.05.23, 11:15)
Das sollte mich heute nicht mehr belasten. Damals hättest Du eingreifen sollen, oder? LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 21:10:
Gracias, schon richtig, Armin. Die Motivation für meinen Text sind auch weniger Schuldgefühle als die Frage, ob das allgemein verbreitete Bild von den lieben, unschuldigen Kindern nicht zu optimistisch ist.
LG
Ekki

 GastIltis (01.05.23, 16:13)
Hallo Ekki,
sehr interessanter Text von dir! Als Junge habe ich mich eigentlich mehr für Pferde als für Hunde interessiert. Pferd und Wagen waren zu meiner Zeit etwas Besonderes. Später habe ich erlebt, dass man Hunde als Zugtiere zum Futterholen vor den Handwagen gespannt hat, die sich sehr gequält haben, um die Last zu ziehen. Als Junge wurde ich mehrfach von Hunden gebissen; in die Beine und einmal in die Hand. Heute wäre man wahrscheinlich aufgebracht und vermutete Tollwut. Damals nicht. Das waren normale Vorgänge. Übrigens habe ich später mal beobachtet, wie eine Ringelnatter eine ausgewachsene Kröte verschlingen wollte. Da habe ich sie auseinander gezogen! Und? Nach einiger Zeit ging der verzweifelte Kampf weiter, dessen Ende ich nicht mehr ansehen wollte! Aber es stimmt, es ist eine Erziehungsfrage, wie man mit Tieren und miteinander umgeht. Da spielt das Vorbild in der Familie eine große Rolle.
LG von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 21:34:
Lieber Gil,
wir, auf dem Lande sozialisiert, haben die Grausamkeit der Natur oft beobachten können und gelernt, sie unter Tieren als natürlich hinzunehmen. Ist sie beim Menschen eine nur gelegentlich auftretende Deformation, die wir durch Erziehung in den Griff bekommen können, oder müssen wir immer damit rechnen, dass sie in Kriegszeiten wie eine Pestbeule aufbricht?
Herzliche Grüße
Ekki

 Saira (01.05.23, 19:03)
Lieber Ekki,
 
dein Erlebnisbericht macht mich sehr traurig. Es ergeht mir immer so, wenn ich von Quälereien an Menschen und Tieren, die sich nicht wehren können, lese, höre, sehe und immer frage ich mich nach dem „Warum?“ Kleine Kinder verletzen Tiere manchmal aus einem Übereifer beim Spiel. Die Kinder, die Spaß am Quälen empfinden, haben in meinen Augen, ein empathisches Defizit.
 
Ich grüße dich herzlich
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.05.23 um 21:46:
Grazie, Sigi,
Grausamkeit, schon bei Kindern, ist ein Grund für große Traurigkeit. Die beste Trauerarbeit ist wohl, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und die Fälle nicht zu beschönigen, wo Kinder Freude an der Grausamkeit haben, die sich nicht bei den Erwachsenen verliert.
Herzliche Grüße
Ekki

 harzgebirgler (02.05.23, 10:35)
'ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der mensch' heisst's in 'antigone' -
selbst menschens kinder sind davon nicht ausgenommen und gegebenenfalls kaum ohne...

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.05.23 um 11:57:
Vielen Dank, Henning, deine Belesenheit in der klassischen Literatur erstaunt mich immer wieder aufs Neue.

LG
Ekki

 AngelWings (25.05.23, 17:30)
Was denke was ich früher gemacht habe. Marienkäfer gefangen,Schmetterling, Heuschrecken. Als Kind wusste man nicht, dass aus Wirkung hat. Und heute habe ich ein Gerasse für Schmetterling, und Käfer Paradies. Und meine Kind gelernt, dass man Tier nie einsperren soll, du möchte auch frei sein.
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