Makabre Reiseerinnerung

Bericht zum Thema Gemeinsamkeit

von  eiskimo

Merkwürdiger Empfang, wenn man beim Betreten einer Kirche im ausgetrockneten Weihwasser-Becken eine tote Schwalbe liegen sieht.

La Ferté-Loupière ist ein französisches Dorf im Département Yonne (Bourgogne) mit 536 Einwohnern. Die kleine Kirche Saint-Germain stammt aus dem 15. Jahrhundert, und typisch für die dortige Landschaft der Puisaye ist das „gelbe Gold“, das man dort abbaute: Reiner gelber Ocker. Durch Kalzifikaton (Einlagerung von Kalk) färbt er sich auch rot – wunderbare Polychromie, um Wandmalereien zu gestalten.

Saint-Germain ist voller Wandmalereien, und Kunsthistoriker kennen natürlich diese einmaligen Zeugnisse, die hier Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden. Zu sehen sind der Papst, der Kaiser, Jongleure, Spielleute, einfache Bauern und Tagelöhner in einer bunten Prozession. Allerdings stehen zwischen ihnen in unterschiedlichsten Körperhaltungen halb mumifizierte Kadaver, skelettähnlich. Sie halten sich fest an den Lebenden. Drei stehen allein als Musikanten-Trio, ihre goldenen Instrumente in Vorhalte, scheinbar fröhlich aufspielend.

Auf über 25 Meter erstreckt sich diese Prozession, zu der der Kirchenbesucher gebannt aufschauen kann. „Danse macabre“ heißt so ein Werk bei den Kunsthistorikern. Dieser Tanz erinnert daran, dass wir alle gleich sind vor dem Tod. In Frankreich gibt es nur sehr wenige so gut erhaltene „Danses macabres“. 

Beim Verlassen von Saint-Germain war die tote Schwalbe, die da im ausgetrockneten Weihwasserbecken gelegen hatte, immer noch da. Der Tod sucht sich seine Tanzflächen überall.

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Anmerkung von eiskimo:

Die Fotos zeigen mein Reisetagebuch. Wer Lust hat auf die Gegend: Die Loire ist nicht weit, Chablis, der Morvan.....

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (05.03.24, 13:14)
Interessanter Text. Einschließlich der toten Schwalbe. LG

 eiskimo meinte dazu am 05.03.24 um 13:18:
Ja, das war beeindruckend. Der Tod zum Greifen nah.
LG
Eiskimo

 franky (05.03.24, 16:33)
Deine Beschreibung war so intensiv,
dass in meinem inneren Auge bunte Bilder entstanden sind.
Die Prozession mit den Lebendigen und den Toten.
Und den farbenfroh beschriebenen Musikanten.
Ganz toll gemacht.
 
Grüße von Franky

 eiskimo antwortete darauf am 05.03.24 um 16:38:
Danke, Franky!
Deine Rückmeldung finde ich auch ganz toll!
 Diese Prozession in Saint-Germain ist schon krass....
LG
Eiskimo

 AchterZwerg (05.03.24, 17:21)
Ein passender Titel mit passender Metapher: die Schwalbe, die sich in den Himmel erhebt - und scheitert.
Ausgerechnet im Weihwasserbecken.
Vielleicht, weil sie daraus getrunken hat.

 eiskimo schrieb daraufhin am 06.03.24 um 08:28:
Der Heilige Geist wird ja gerne als Taube dargestellt, in einem strahlenden Kranz, allerdings nicht greifbar, meist hoch überm Altar, und dann fix.
Die Schwalbe ist den Menschen viel näher. Sie irrt herum, verfängt sich. Wie Du schreibst: Sie scheitert.
Das Weihwasser-Becken mutet dann allerdings fast zynisch an.
Oder soll uns das eine Warnung sein?
weihevolle Grüße
Eiskimo

 Graeculus (05.03.24, 23:30)
Ein kunsthistorisch interessanter Bericht ... mit dazu passender Schwalbe. Die hat vielleicht keinen Weg mehr raus gefunden aus der Kirche.

 eiskimo äußerte darauf am 06.03.24 um 08:33:
In Deutschland kann man beim Amtsgericht ausdrücklich und juristisch verbrieft aus der Kirche austreten. Die französischen "Schwalben"  sind steuerlich nicht erfasst. Ob kirchennah oder kirchenfern - sie schwirren frei herum. In den Kirchen sind nur wenige; es gibt überall noch Kirchen, sehr schöne oft, aber das sind Museen. Die Weihwasser-Becken ... ausgetrocknet.

 Quoth (06.03.24, 09:26)
Bei so viel geringerer Lebenserwartung durch Unfälle, Seuchen,  Kriege und Hunger war den Menschen der Tod viel näher als uns, die wir ihn mit Hilfe der Schulmedizin und der Kliniken immer weiter von uns wegschieben ...
Totentanz(Dans macabre)-Fresken gibt es auch bei uns, z. B. in Basel. Der in der Lübecker Marienkirche fiel dem Krieg zum Opfer.
Ockerbrüche kenne ich aus dem Lubéron, insbesondere Roussillon in der Vaucluse. Ist das dort geologisch noch dasselbe Gebirge?
Beneidenswert Dein zweites Zuhausesein in Frankreich! Schöner Text!

 eiskimo ergänzte dazu am 06.03.24 um 10:28:
Danke für Deinen kenntnisreichen Kommentar! Die anderen Ockerbrüche kenne ich auch , sie sind etwas rötlicher, und ich denke, gehören geologisch zu anderen Schichten.
Mein Faible für Frankreich bezahle ich mit einer großen Unkenntnis Deutschlands. Da wäre ja auch so viel Tolles zu entdecken.
C' est la vie.
LG
Eiskimo

 ginTon (06.03.24, 22:09)
vllt. war es ein Zeichen, darüber schon mal nachgedacht?  :P der Frühling fiel ins trockene Weihwasser, möglich, der Winter ja auch schon... ;)

 Judas (27.03.24, 11:50)
Empfehlung allein schon wegen des ersten Satzes.

 eiskimo meinte dazu am 27.03.24 um 13:52:
Danke! 
Die Eingangssituation vereint in der Tat einiges...
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