Schulgeschichten. Morgens kommt ein kleiner Chinese

Erzählung zum Thema Schule/ Studium

von  EkkehartMittelberg

Anfang der siebziger Jahre fuhr ich auf der Donau nach Wien mit einem 10. Schuljahr, dessen Schülerinnen und Schüler weder in einer Großstadt noch in einem Hotel gewesen waren. Man kann sich vorstellen, wie aufgeregt die jungen Menschen auf dem Schiff in Erwartung von Abenteuern  hin und her liefen. Ihre Fragen, die sich besonders auf das Hotel bezogen, in dem wir nächtigen wollten, wurden mir allmählich lästig. So rief ich sie alle zusammen, um ihre Fragen erschöpfend zu beantworten, nicht ohne sie ein wenig zu ironisieren.
Ich sagte: „Ihr freut euch zu Recht auf das Hotel, das aus der Biedermeier-Zeit stammt, zum Teil noch verblichene Abbildungen von mythologischen Szenen an den Wänden hat und dessen Decken mit schöner Stuckatur verziert sind. Morgens klopft ein kleiner Chinese an die Türen und fragt:`Wünschen die Herrschaften Tee oder Kaffee?´“ Das mit dem Chinesen wollten mir die Schüler nicht glauben, und sie gaben zurück, dass ich mich über sie lustig mache. Ich grinste nur und meinte, sie würden schon sehen.
Als wir dann bei dem Hotel ankamen, gingen wir durch eine Drehtür, und wer stand dahinter, um uns lächelnd auf unsere Zimmer zu führen? Ein kleiner Chinese. Ich konnte es selbst nicht fassen. Dieser Zufall verstärkte aber meine Glaubwürdigkeit bei den Schülern, und ich beschloss, es bei zukünftigen Scherzen mit der Wahrheit genauer zu nehmen.
Schon bald musste ich feststellen, dass ich die Naivität dieser Schulklasse überschätzt hatte. In Wiener Hotels der von uns besuchten Kategorie wurden damals ein paar Zimmer an Bordsteinschwalben vermietet. Ich wollte vermeiden, dass meine provinziellen Jugendlichen damit konfrontiert wurden. Nach einem gemeinsamen Besuch in Grinzing überließ ich meiner Frau die Führung der Klasse, fuhr voraus und erreichte bei dem Rezeptionisten des Hotels das Versprechen, dass er die leichten Mädchen außer Sichtweite der Jugendlichen halten würde. Als diese dann ins Hotel zurückkamen, war auch keine von den Gunstgewerblerinnen zu sehen, und ich war stolz auf meine geschickte Verhandlung, zumal ich die leichten Mädchen bis zum Ende unserer Reise nicht mehr sichten konnte.
Auf dem Rückweg fuhren wir mit der Bahn.  Als ich im Nachbarabteil ein ungewöhnlich lautes Gelächter vernahm, wollte ich der Fröhlichkeit auf den Grund gehen. Bevor ich die Bordsteinschwalben wahrgenommen hatte, hatten meine Schüler sie schon entdeckt und fotografiert, und nun gingen die Fotos von Hand zu Hand, verbunden mit der neckischen Stichelei, dass die Damen auf dem nächsten Elternabend bestimmt ein ergiebiger Gesprächsgegenstand sein würden.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (29.05.18)
Teacher plans, pupils laugh.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Merci, so ist es, und in diesem Falle tut es der Heiterkeit der Komödie keinen Abbruch.
Nimbus (43)
(29.05.18)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 29.05.18:
Grazie für Empfehlung und Favorisierung, Heike. Dein Kommentar blättert die nachdenkliche Seite meiner heiteren Geschichte schön auf.
LG
Ekki

 Dieter_Rotmund (29.05.18)
"nicht mehrt"?

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 29.05.18:
Sagst du Bescheid, wenn du deinen eigenen Kommentar verstanden hast, Dieter?
Nimbus (43) äußerte darauf am 29.05.18:
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 29.05.18:
Danke, Heike. Ich hoffe, dass Dieter zukünftig eine PN schreibt, wenn es sich nur um einen Flüchtigkeitsfehler handelt.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 29.05.18:
Nein, sorry.

Guten Tag allerseits!

 Didi.Costaire (29.05.18)
Das sind Ereignisse, die im Gedächtnis bleiben. Schön zu lesen!
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Merci, Didi, die freundliche Reaktion wird dazu beitragen, dass sie im Gedächtnis bleiben.
Liebe Grüße
Ekki
Marjanna (68)
(29.05.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Grazie, Janna, meine Absicht war zu unterhalten.
Liebe Grüße
Ekki
Sweet_Intuition (34)
(29.05.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Vielen Dank, Stefanie, der Anblick der Bordsteinschwalben hat meinen Schülern bestimmt nicht geschadet. Ich meine auch, dass sie zu einer lebendigen Großstadt wie Wien dazu gehören.
Damals haben sich übrigens in Wien noch andere amüsante Episoden ereignet Ich werde das nächste Mal darüber berichten.
Liebe Grüße
Ekki

 Habakuk (29.05.18)
Ha. Was man als Lehrer so alles erlebt. Aber woher wusstest du, dass die Mädchen leicht waren? Hattest sie mal probeweise auf dem Arm. Gib es zu.

H.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Spassibo, Habakuk. Nur weil du es bist, werde ich es verraten: In Wien gibt es schwere Jungen, die die leichten Mädchen für sich laufen lassen.

 GastIltis (29.05.18)
Ekki, Ekki! Stell dir vor, du hättest damals gesagt, morgens klopft ein kleiner Neger usw. Das wäre ja zu der Zeit noch nicht anstößig gewesen. Heute hättest du es mit Erklärungsnöten zu tun bekommen. Eine nachträgliche Vorladung vors Kollegium vielleicht? Oder eine Verwarnung des Integrationsbeauftragten? Ich mache mir so meine Gedanken. Übrigens hätte ich gern gewusst, war der Chinese aus Taiwan (Formosa) oder aus der Volksrepublik? Oh oh! Fragende Grüße von Gil.

Kommentar geändert am 29.05.2018 um 13:28 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Danke, lieber Gil, da habe ich wirklich Glück gehabt, dass ich auf den kleinen Chinesen gekommen bin; denn Naive wie ich tappen gerne in die eine oder andere Falle.

 ManMan (29.05.18)
Wer Gunstgewerblerinnen kunstvoll fotografiert, kann daraus nach der Schule ein Kunstgewerbe machen.

 Jorge meinte dazu am 29.05.18:
Die Geschichte gefällt mir und die drei Kommentare über mir erheiterten mich sehr.
Ein leichter Blick über leichte Mädchen schadet auch keinem Jugendlichen.
--- strichweise Saludos
Jorge

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
@ManMan: Danke, oh Mann, oh Mann, wenn meine Schüler das gewusst hätten, hätte ich ihnen mit dem Stephans-Dom nicht mehr zu kommen brauchen
@ Jorge: Ja, vielen Dank; Jorge, wenn man die richtigen Kommentatoren hat, kann eine Geschichte über leichte Mädchen schwer zu Buche schlagen.
Sätzer (77)
(29.05.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Merci, Uwe, eigentlich kann man nur psäsent sein oder nicht. Aber du hast recht, Bordsteinschwalben können präsenter sein.
LG
Ekki
Sin (53)
(29.05.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.05.18:
Gracias, Sin. Gott sei Dank gehörte das Hotel damals noch nicht den Chinesen, denn dann wäre der kleine Chinese unter seinesgleichen gar nicht aufgefallen.
LG
Ekki

 TassoTuwas (30.05.18)
Da muss ich doch schmunzeln.
Wie die Zeit doch vieles verändert.
Was gestern noch ein Skandal war, ist heute ein Beruf mit Rentenanspruch!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.05.18:
Merci, Tasso, ich nehme an, dass du ihnen so wie ich die Rente gönnst.
Herzliche Grüße
Ekki
Hilde (62)
(30.05.18)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.05.18:
Grazie, Hilde, es freut mich sehr, dass mein Erzählstil diese Wirkung hat.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (30.05.18)
Ja, so rächt es sich, wenn man zu sehr leichte Dinge vermeiden will LG.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.05.18:
Vielen Dank. Armin, ich konnte die Rache verschmerzen. )
LG
Ekki

 harzgebirgler (08.06.21)
entwicklungsgestört weder film noch fotografen -
schnappschüsse die voll ins schwarze trafen.

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 08.06.21:
hallo Henning,

wer hätte das gedacht,
am Ende haben Eltern, Schüler und ich gelacht.

LG
Ekki
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