Wie Sie sich nachhaltig in Erinnerung bringen

Anekdote zum Thema Erinnerung

von  EkkehartMittelberg

Zur Zeit meines  Studiums (1958-1964) hatten Professoren schon Hunderte von Hörern und es war ein Glücksfall, wenn sie einen Studenten im Examen kannten und ihm deswegen gewogen waren.
Ich hatte damals einen sehr befähigten Professor, der Latein lehrte und wegen seiner hohen Anforderungen im Examen gefürchtet war. Der Mann hatte ein schlechtes Personengedächtnis und deswegen war es sehr schwierig,, sich seiner Erinnerung einzuprägen. Er war noch wegen der dritten Eigenschaft bekannt, sehr weltfremd zu sein.
Wir machten uns Gedanken darüber, wie wir uns bereits vor dem Examen bei ihm in positive Erinnerung bringen könnten. Uns fiel jedoch nichts ein und wir ließen den Vorsatz fallen, glaubte ich jedenfalls.
Doch mein Freund hatte ihn nicht vergessen. Unsere Universitätsstadt hatte sehr schmale Bürgersteige. Auf einem begegnete der Professor uns eines Tages. Er schaute  in Gedanken versunken zu Boden und mein Kommilitone dachte gar nicht daran, ihm auszuweichen. So blickte er ganz überrascht auf, als wir auf Tuchfühlung vor ihm standen. Mein Begleiter schaute ihm strahlend auf die Füße und sagte: „Herr Professor, Sie haben aber schöne Schuhe.“
Der weltfremde Gelehrte war über diese scheinbar naive Äußerung ganz verwirrt, fragte, ob wir seine Hörer seien, und er wollte unsere Namen wissen. Er hatte offensichtlich in seinem Leben noch kein Kompliment für seine schönen Schuhe bekommen.
In der nächsten Seminarsitzung kannte er unsere Namen und hat sie bis zu unserem Examen, in dem wir seinen Ansprüchen genügen konnten, nicht vergessen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (05.02.21)
Eine Doktorandin riet mir, fast schon penetrant in die Sprechstunden zu gehen und beständig Leistung zu fordern.

Etwas betulich, aber gerne gelesen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.21:
Merci, wie ist das gemeint? Hat sie dir geraten, du solltest Leistung deiner Kommilitonen einfordern?

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 07.02.21:
Nein. Sie ging oft in die Sprechstunde und forderte vom Professor Leistung ein!

 Borek (05.02.21)
Lieber Ekki,
es ist nicht immer leicht sich einfallsreich in Erinnerung zu bringen.
So bin ich, je weiter ich darüber nachdenke, erinnerungslos durch die Lebensstraßen geglitten
Diejenigen die sich gern meiner erinnerten waren die Fianzämter,…..
und das waren oft schmerzliche Erinnerungen.
Liebe Grüße, gern gelesen
Borek

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 05.02.21:
Vielen Dank, Borek. Deine schmerzlichen Erinnerungen an die Finanzämter kann ich bestätigen. Ich habe jede Menge Schulbücher geschrieben, die einen Stundenverdienst von durchschnittlich drei DM erbrachten. Diese mussten brav versteuert werden, während die Arbeit für Volkshochschulen steuerfrei war. Das hat mich lange geärgert.
Liebe Grüße
Ekki

 harzgebirgler (05.02.21)
oft springt das gedächtnis an
wenn man wen verblüffen kann
abseits seiner profession
denn da kennt er alles schon.

lg
henning

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 05.02.21:
Gracias, Henning, du hast es erfasst. Mein Freund hat den Professor abseits seiner Profession verblüfft.
LG
Ekki

 AZU20 (05.02.21)
Mein Professor fuhr mit mir und meiner Ente gerne durch die schöne Eifel. LG

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 05.02.21:
Merci, Armin, wie hast du ihn dazu gebracht, in deine Ente einzusteigen?

 AZU20 meinte dazu am 05.02.21:
Es war der große Carl Troll. Ich hatte vor, bei ihm zu promovieren. Leider starb er zu früh und ich brach ab. LG.

 GastIltis (05.02.21)
Lieber Ekki,
ein Text, der Erinnerungen wachruft. Zum Beispiel die, dass mein Studienfreund Peter M, mit dem ich während des gesamten Studiums die „Bude“ teilte, durch Ehe mit Familie gleich im zweiten (von fünfeinhalb) Studienjahr immer in finanziellen Schwierigkeiten war, obwohl sein Vater selbständiger Bäcker und Konditor war, während meine Verhältnisse eigentlich viel schlechter waren. Aber ich bekam Stipendium (190,00 M/Monat), er nicht (nur 200,00 M von seinem Vater). Irgendwann hat er dann unserem Professor sein Leid geklagt. Prof. Karl-Franz B. war einsichtig und sagte zum Ende des Gespräches zu ihm: „Herr M., sie können sich jede Woche von mir ein Brot abholen.“
Zur Orientierung: die „Bude“ kostete 50,00 M/Monat, d.h. 25 je Person, die Straßenbahn für alle Linien: 7,50 M/Monat, ein Drei-Pfund-Vollkornbrot 33 Pfennige, das Mittagessen in der Mensa 1,50 M/Portion, die billigere Version schon 0,80 M. In der billigsten Kneipe am Postplatz bekam man eine Bratwurst mit Kartoffeln und Sauerkraut für 1,45 M, das teuerste Essen war das Paprikaschnitzel für 1,85 M. Wobei die Bratwurst besser war.
Sei herzlich gegrüßt von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.21:
Vielen Dank, Gil. Es ist hoch interessant die damaligen (1962-1964) Preise in der DDR und der BRD zu vergleichen. Ich zahlte für meine möblierte Bude 60 DM und für das Mensaessen 1,30 DM. Die Preise für die billigste Bratwurst mit Beilage waren nahezu identisch. Das überraschende Fazit. Damals lagen die Preise für Miete und Grundnahrungsmittel nicht so weit auseinander, wie man vielleicht vermutet hätte. Mein Monatlicher Wechsel betrug 250 DM.
Herzliche Grüße
Ekki

 LottaManguetti (05.02.21)
Mein Lieblingsprof kannte meine Vorliebe für Sor Juana und Neruda. Rate mal, worüber ich in der Prüfung referieren durfte. :)
Wir hatten eben denselben Geschmack.

Hab mich gern während des Lesens deines Textes daran erinnern lassen.

Lotta

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.21:
Merci, Lotta, ich rate, dass du über beide referieren durftest.
Liebe Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (05.02.21)
Vorbildlich, lieber Ekki. Der Professor brauchte euch die guten Manieren nicht einmal selbst beibringen.

Schöne Grüße,
Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.02.21:
Merci. Du hast schon recht, Dirk. Es war tolldreist, was wir uns da geleistet haben. Aber wir hatten das Glück bei dem nicht uneitlen Gelehrten einen sensiblen Punkt getroffen zu haben.
Liebe Grüße
Ekki

 Graeculus (05.02.21)
Ich schätze, daß es nur wenige Verhaltensweisen gibt, durch die man sich auch einem Menschen mit schlechtem Personengedächtnis einprägt: wenn man ihn mit etwas sehr überrascht, wenn man ihm Angst macht oder wenn man ihn dazu bringt, sich in einen zu verlieben. Hier kam natürlich nur eine der drei Möglichkeiten in Betracht. Gut gemacht!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.02.21:
Grazie, Graeculus, vielleicht steckte außer ein bisschen Eitelkeit auch noch etwas Kindliches in diesem Manne.

 eiskimo (06.02.21)
Ich war auch in jungen Jahren schon sehr Fahrrad-verrückt. Habe meinen Lateinlehrer einmal total beeindruckt, als ich ihm - als er dringend zu einem Termin an einer anderen Schule radeln wollte - in wenigen Minuten das defekte Radl wieder flott machte.
Das hat dann auch meine Note "repariert".
cyclopedische -Grüße
Eiskimo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.02.21:
Merci, Eiskimo, es ist immer wieder amüsant zu sehen, wie Praktiker Theoretiker verblüffen.
LG
Ekki

 eiskimo meinte dazu am 06.02.21:
Um ein guter Praktiker zu sein, muss man praktische Intelligenz haben. Das ist etwas Tolles, denn es nützt!
Die Intelligenz der Theoretiker ist meist sehr praxisfern, oft leider auch nutzlos.
LG
Eiskimo

 TassoTuwas (06.02.21)
Hallo Ekki,
freundliche und humorvolle Schlagfertigkeit bleibt im Gedächtnis haften!
Dumm, dass man nur die Freundlichkeit erlernen kann!
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.02.21:
Gracias, du hast recht, mein Freund. Freilich hat der, der überzeugend freundlich ist, Schlagfertigkeit weniger nötig.
Herzliche Grüße
Ekki
Hilde (62)
(06.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.02.21:
Vielen Dank, Hilde, wenn eine Anekdote einen Schmunzler hinterlässt, ist sie gelungen.
Herzliche Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(07.02.21)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.02.21:
Merci, so ist es, Uwe. Das Sprichwort "Wer nichts wagt, der nichts gewinnt" bestätigt das.
LG
Ekki
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