Die Gefahr im Gras

Bild zum Thema Absurdes

von  alter79

Eben war ich in der örtlichen Sparkasse, um Geld zu holen. 

Es war meine persönliche Nagelprobe – denn wie einst bediente Frau Schulze an der Kasse; die mich aber wohl nicht erkannt hatte... weil, so wie ich jetzt aussehe, gegenüber früher, als ich 30 Kilo mehr auf den Rippen hatte, ständig schwitzte und meine Haare lang und strähnig waren... Ja, wie sollte sie auch, nach all der Zeit. Was mich dennoch verwundert, dass sie mein Name nicht stutzig machte. Ich bemerkte lediglich ein (fast) unmerkliches Zucken um ihre Mundwinkel, weiter nichts, das mir Anlass zur Sorge hätte sein können. Trotzdem nehme ich mir vor, einen PC zu kaufen, um meine Bankgeschäfte in Zukunft online zu tätigen. Auch eine Kreditkarte wäre nicht schlecht – doch zuvor eine Wohnung. Und die weit genug weg von dem unheiligsten Ort meiner frühen Jugend.
Ja, ich habe mich verändert. Wie ihr euch verändert habt. Einzig meine unglaubliche Gier ist gleich geblieben. Wie eure Abscheu vor mir. Ich weiß es. Doch nicht deshalb habe ich all die scheußlich schmeckenden Medikamente abgesetzt. Nein, ich brauche einen Kick. Einen wie früher. Jetzt. Und sofort!

Ich drücke fest zu. Ganz fest. Mit beiden Händen. Allen Fingern. Beiden Daumen. Bin ganz Auge. Nase. Ohr. Und Mund. Bin Bildhauer. Maler. Schriftsteller. Musiker. Ein Künstler. Bin Ich. Mein Gott. Der erst vor Stunden aus der Psychiatrie als unauffällig und nicht rückfallgefährdet entlassen wurde. Doch nun liegt dieser Junge unter mir – auf dem Rücken. Ich hocke auf ihm. Drücke weiter fest zu. Blicke in seine Augen. Sehe ihn an, in ihn hinein – so weit ich nur kann ... Ergründe sein Gesicht. Wie es schwitzt. In ihm stöhnt. Zuckt. Wie der Mund schreien will. Seine Augäpfel aufquellen. Und brechen. Wie sein Körper krampft. Und bemerke seine Erektion?

 
Genau davon habe ich all die Jahre geträumt. Von glitzernder Sternenfülle im Sonnenschein. Dem voll gelben Mond hinter zerfetzten Wolken. Diesen jagenden Hunden der Nacht. Rieche Erde. Den Wald in mir. In dem ich ein Wind in den Zweigen bin. Und, dass mein Herz rast. Die Lunge sticht. Mein Blut kocht. Das mir das Hirn an die Schläfen drückt. Und die Welt am Ziel ist. Doch ich weiß auch, ihr werdet mich für all das hassen ... Spätestens ab morgen, wenn die Zeitungen voll davon sind: Junge verschwunden! Doch das ist mir jetzt egal. Ich drehe ihn um. Presse ihm weiter unerbittlich den Atem ab. Sehe mich satt an seinem makellosen Körper, der nun entkleidet vor mir liegt. Der von allem Überflüssigen befreit zu sein scheint. Wie ich mich von mir befreien sollte ... Eigentlich. Doch nun auch einerlei. Denn er ist für mich bereit und – ich – ich nehme ihn in mir auf. Weil ich es will. Und zwar JETZT. Wie ein Tier ein anderes. Wie es all die Verlierer normaler Paarungszeit tun.

 
Ach, ich weiß doch – ihr – ihr – die Normalen – werdet mich so oder so hassen. Mich, den rückfälligen Kinderschänder – wie ihr mich nennen werdet. Doch am meisten hassen wird mich nun Doktor Schütz II, mein Gutachter. Der seine Reputation meinetwegen verspielt hat. Der sich in mir irrte. Und nun mitschuldig geworden ist. Mehr noch als ich es je war und sein werde. Ja, ihr – ihr – ihr – werdet ihn mehr verabscheuen als mich. Ihr ... die unseligen Fachleute für ALLES und NICHTS. Ihr, die ihr Öffentlichkeit spielt. Entrüstet seid. Ihr, die Täter an sich.


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Kommentare zu diesem Text


 mrakkkk (30.03.23, 10:58)
Hi,

Du hast vielleicht denselben Podcast gehört, den ich auch eine Weile verfolgt habe, zu Serienmördern und ihren Taten, ihrer Psyche, ihren Hintergründen, etc.

Hier scheint es so zu sein, dass der Protagonist aus der frühen Zurückweisung (Frau Schulze) seiner Mitmenschen heraus zu dem Täter geworden ist, als der er hier beschrieben wird. Oder ist Frau Schulze eine Person, die sich an ihn erinnern sollte, weil sie über seine Taten Bescheid wissen müsste? Das wurde mir nicht klar.

Der Gedanke an den irrenden Gutachter ist schaurig. Mir persönlich fehlt noch ein wenig mehr Persönlichkeit des Protagonisten, der noch lebendiger sein könnte - was natürlich auch an meiner Fantasie liegen kann. Der Ekel der Gesellschaft, der ist greifbar, erlebbar.

Ja, die Menge, die sich entrüstet und in der sich doch lt. Statistiken auch wieder der oder die eine oder andere befinden muss, .... Schänder... kommt von Schande über jemanden bringen, so als sei das Opfer nun zwar unverschuldet, aber immerhin doch beschmutzt, unrein, als müsse es sich nun fortan schämen für die Schande... und das dann noch in Verbindung mit Argumenten, wie "warum war denn der Junge um die Uhrzeit alleine dort im Wald unterwegs..." oder das Röckchen zu kurz oder, oder... da haben wir die schönste Täter-Opfer Umkehr.

In der letzten Zeile seit/seid vertauscht.

Viele Grüße!

 alter79 meinte dazu am 30.03.23 um 15:49:
thx für deine wertvolle rezi. ich kann damit gut was anfangen. nicht nur im kopf, sondern auch mit dem finger, mit dem ich zur zeit einzig schreibe. 

meine sämtlichen prot. sind mir übrigens selber begegnet. und es waren nicht unbedingt die gewalttäter, als die ich die darstelle...


dir nm. ganz herzl. dank
cu
Mi.

 LotharAtzert (30.03.23, 16:17)
Aufgequollene Augäpfel werden in Gourmetkreisen gut bezahlt. Laß dich nicht übers Ohr hauen.
Ich grüße dich.

 alter79 antwortete darauf am 30.03.23 um 16:59:
shit - und ich habe eben meinen letzten heller für einen diesel -ohren- roll- stuhl  ausgegeben

mlgr. re
thx
Mi:-)

 AngelWings (30.03.23, 17:41)
Und jetzt schlümpft du in die Rolle des Devils!

 alter79 schrieb daraufhin am 31.03.23 um 07:10:
:-)
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