Der Garten als Lebensspender

Erzählung zum Thema Lebensbetrachtung

von  EkkehartMittelberg

Nutzgärten waren schon den Germanen bekannt, und es hat sie bis zur Nachkriegszeit immer gegeben. Aber in den Nachkriegsjahren waren sie besonders populär, denn die meisten Menschen hatten damals Hunger, und der Erwerb eines Nutzgartens, wenn sie ihn nicht schon früher besaßen, bot sich als naheliegende Möglichkeit an, dem abzuhelfen,
Ich gewann schon als Grundschüler eine nachhaltige Vorstellung davon, wie wichtig den Deutschen in der Nachkriegszeit ihr Garten war. Mein Vater war damals Geschäftsführer einer Firma, die Sämereien an Kleingärtner verkaufte. Ich habe ihn einige Male in dem Verkaufsladen besucht, in dem vor und auch nach der Währungsreform die Kunden Schlange standen. Sie kauften zunächst fast ausschließlich den Samen für alle nur denkbaren Gemüsesorten und später, als es ihnen wirtschaftlich besser ging, auch Blumensamen, weil in den Fünfziger Jahren allmählich die Vorgärten in Blumengärten umgewandelt wurden.
Auch wir hatten in den ersten Nachkriegsjahren zunächst nur Nutzland und davon 2000m². Ich wusste zwar, wie sehr dieser große Garten dazu beitrug, unsere Küche zu bereichern, aber ich verfluchte ihn, weil mein Vater mich schon als Zehnjährigen dazu heranzog, diesen ungewöhnlich großen Garten zu bearbeiten und ihm bei der Ernte zu helfen. Ich schlich mich oft davon, um mit meinen Kameraden auf der Straße Fußball zu spielen. Aber schon bald erschien er mit einer Trillerpfeife am Haustor und rief sehr akzentuiert meinen Namen. Was sollte ich machen? Ich musste mich fügen.
Zwei Arbeiten waren mir besonders verhasst, das langweilige Jäten des Unkrauts – man verwendete damals kaum Unkrautvernichtungsmittel - und das Graben von sog. Riolen. Dabei stand man zunächst frontal vor dem umzugrabenden Land, wie das wohl alle Leser kennen, und grub danach in der Furche noch einmal seitlich voranschreitend. Diese Methode lockerte den Boden intensiver und brachte die in der Tiefe befindliche bessere Erde nach oben, aber sie dauerte länger und war sehr anstrengend. Ich versuchte natürlich meinen Vater davon abzubringen, aber er konnte mir bei Sonntagsspaziergängen nachweisen, dass unser Gemüse üppiger gedieh als bei den Nachbarn.
                                                                              Um Freude an der Gartenarbeit zu  wecken, gab mir mein Vater ein kleines Stück Land, das ich nach meinem Gusto bearbeiten durfte. So sehr mir die Gartenarbeit, die den größten Teil meiner Freizeit „fraß“, verhasst war, kann ich nicht leugnen, dass ich in meinem eigenen Gärtchen  immer wieder begierig schaute, ob nach dem Einsäen die ersten zarten Pflänzchen sprießten. Insgeheim hatte ich auch mein Vergnügen an den Tomaten aus dem väterlichen Garten, die damals besonders gut und intensiv dufteten. Das galt auch für unsere Pfirsiche, die ein wundervolles Aroma hatten und so köstlich schmeckten wie niemals die später für teures Geld in Läden gekauften.
Mein Vater hatte Anfang der Fünfziger Jahre ein Bassin mit Fließwasser gebaut, aus dem mit Kannen Wasser zum Gießen geschöpft wurde. Er erlaubte mir darin Fische auszusetzen, die ich mit einem Käscher aus einem nahe gelegenen Bach gefangen hatte. Ich gab mein Taschengeld für Wasserflöhe als Fischfutter her, die ich in einer Zoohandlung gekauft hatte, und lief jeden Morgen aufgeregt zu dem Wasserspeicher, um zu sehen, ob meine Fische überlebten. Das wäre vielleicht gelungen, wenn ich eine Pumpe gehabt hätte, wie man sie heute in Aquarien einsetzt. So aber endete dieses Experiment traurig.
Heute weiß ich jedoch, dass unser Garten, der mir als Kind viel Verdruss bereitete, dafür gesorgt hat, dass meine Geschwister und ich in einer entbehrungsreichen Zeit gesund ernährt aufwuchsen.

© Ekkehart Mittelberg, November 2017

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (14.11.17)
Meine Großeltern hatten immer einen Garten, auch wenn der Weg zur Gartenanlage gar nicht so kurz war. Einen Nutzgarten natürlich. Das dieser Nutzen zu bestimmten Zeiten größer war, als er es z.B. heute ist, kann ich leicht verstehen. Erstaunlich ist jedoch, mit welcher Hingabe vor allem meine Oma noch bis in die 80er Jahre diesen Garten bearbeitete. Dabei hatte sie in ihrer Jugend in Oberschlesien schwerste Feldarbeit leisten müssen. Nutzen hin oder her, irgendwie muss es ihr auch Freude bereitet haben.
Arbait_Müller (48) meinte dazu am 14.11.17:
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Graeculus (69)
(14.11.17)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 14.11.17:
@Trekan: "Nutzen hin oder her, irgendwie muss es ihr auch Freude bereitet haben. " Merci, Trekan, diesere Kommentar trifft auf sehr viele Gärtner zu.
Mein Schwiegervater hatte auch einen Nutzgarten, der so wie der meines Vaters in der Nachkriegszeit angelegt wurde und damals unentbehrlich war. Der Schwiegervater wurde 99 Jahre alt und machte sich noch in seinen letzten Lebensjahren in dem Garten zu schaffen. Es hat ihm Nutzen hin oder her immer Freude bereitet, obwohl die Gartenarbeit in den letzten Jahren sehr anstrengend für den Greis war.
@ Graeculus: Ja, meine Vater hattesich schon Gedanken gemacht, wie er mir die schwere Gartenarbeit erleichtern konnte. Doch was hätte ich damals dafür gegeben, wenn ich die Freiheit meiner Spielkameraden gehabt hätte. Weißt du Graeculus, das Gymnasium, das ich damals besuchte, verlangte sehr viel von uns . Hinzu kam verlorene Zeit als Fahrschüler, sodass die selbstbestimmte Freizeit sehr gering. war.
Merci, dein Kommentar ist dennoch gerecht, denn mein Vater hat sich ja bemüht.

Antwort geändert am 14.11.2017 um 01:02 Uhr

 jennyfalk78 (14.11.17)
Nun, ich habe seid 4 Jahren meinen Garten und ich hasse ihn, im Frühling, liebe ihn im Sommer, kann im Herbst mit ihm leben und der Winter bleibt verborgen. Aber er versorgt uns mit Leben!
Herzlichst die Jenny

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 14.11.17:
Danke Jenny, ja, man muss die Jahreszeiten unterscheiden, wenn man lästige Arbeit und Vergnügen in einem Garten bewerten will.
Herzliche Grüße
Ekki
Sinshenatty (53)
(14.11.17)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 14.11.17:
Merci, Sin, die fanatische Akribie von Kleingärtnern ist ein Thema für sich. Da hat sich nicht viel geändert. Einige können heute noch nicht über ihren Gartenzaun sehen.
LG
Ekki

 Didi.Costaire (14.11.17)
Vieles davon kenne ich auch noch, inklusive eigenem Beet und erfolglosen Versuchen, den Tierchen aus dem nahegelegenen Tümpel ein besseres Leben in sauberem Wasser zu ermöglichen. Allerdings wurde der elterliche Garten in meiner Jugend schon zu einem beträchtlichen Teil als - wie man heute sagen würde - Wellness-Oase genutzt.
Mein Opa hatte übrigens die meisten Möhren. Er hat aber auch viel gedüngt...
Liebe Grüße, Dirk

 Annabell ergänzte dazu am 14.11.17:
Mein Opa hatte die besten Tomaten weit und breit, sein Kompodthaufen für das übrige Gemüse tat sein Bestes. Nie wieder habe ich so intensiv riechende Tomaten gefunden, da kann ich jeden Supermarkt und auch viele Gemüsestände abklappern. Sie riechen alle nach Nichts.
Schön geschrieben lieber Ekki.
LG Annabell

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
@Didi:An das übermäßige Düngen kann ich mich noch gut erinnern. Es gab damals zwei Extreme: Man nutzte als Kleintierhalter im Übermaß den eigenen Mist oder man spritzte auf Teufel komm raus. E 605 hieß das wiet verbreitete gefährliche Gift gegen Ungeziefer.
Danke und LG
Ekki
@ Annabell: Auch ich habe noch den wundervollen Duft der Tomaten von damals in der Nase. Heute sehen die Tomaten in den Supermärkten zwar makellos aus, aber sie riechen nach nichts, wie du sagst.
Grazie und LG
Ekki

 Sylvia (14.11.17)
Hallo Ekki, deine Erfahrung, die du im Text vermittelst, gefällt mir. Ein Nutzgarten ist sinnvoll, finde ich, da es besser schmeckt, was man quasi erarbeitet hat mit den Händen. Viele Erfahrungen/ viel Wissen der älteren Generationen verschwinden, z. B. Obst/ Gemüse einkochen/ essbare Kräuter erkennen usw.. Ist das gut? Ich denke nicht.
Gesund ernährt aufwachsen in der heutigen Zeit ist fast Mangelware.
Gerne gelesen
LG Sylvia

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
Liebe Sylvia
ja, leider verschwindet das Fachwissen der älteren Generationen. Meine jüngeren Nachbarn haben keine Lust mehr auf Gartenarbeit. Selbst die Blumenbeete verschwinden zugunsten eines monotonen Rasens. Da brauchen wir von gesunder Ernährung mit dem Garten nicht mehr zu reden.
Merci und LG
Ekki

 TassoTuwas (14.11.17)
Oh, das weckt Erinnerungen.
In Mutters Garten gab es fast alles.
Gemüse, Beerensträucher, Obstbäume, sogar drei Spargelbeete und an der Hauswand einen Spalierpfirsich.
Eines habe ich gehasst, das Pflücken der schwarzen Johannisbeeren.
Herzliche Grüße
TT

Kommentar geändert am 14.11.2017 um 11:14 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
Danke, Tasso. Wenn ich an die Pfirsiche denke, läuft mir noch heute das Wasser im Mund zusammen. Anders sind die Erinnerungen an unsere zahlreichen Sträucher mit Johannis- und Stachelbeeren, Mir schien es damals so, als würden die Erntestunden nie ein Ende nehmen, während sich meine Spielkameraden im Schwimmbad tummelten.
Herzliche Grüße
Ekki

 LotharAtzert (14.11.17)
Da gibt es tatsächlich einige Parallelen - auch ich musste diese Arbeiten leisten und hätte doch so gern Fußball gespielt. ...
Heute nenne ich diesen Garten mein eigen. Was sich seit damals grundlegend änderte: früher war alles von den Großeltern akkurat mit der Richtschnur gezogen, quadratisch, rechteckig, praktisch. Heute, nachdem ich all die Betonmäuerchen, die die Gartenwege einsäumten, mit viel Schweiß und Vorschlaghammer wieder zertrümmerte, ist alles rund bzw. oval angelegt. Die Betonbrocken, ich hatte da bereits kein Auto mehr zum Abtransportieren, habe ich aus Not alle so aufgeschichtet, als stünden noch einige alte Ruinen. Das sah anfangs sehr häßlich aus. Doch der Plan ging auf, die Natur half mit: heute ist jeder Brocken mit dickem Moosteppich überwachsen, Tiere und Pflanzen wohnen darin und scheinen sich allem Anschein nach recht wohl zu fühlen.
Eine Besonderheit ist, daß sich eine Schmetterlingsart - der seltene "Admiral" - offenbar so wohl fühlt, daß sie im Sommer ohne jede Scheu sich auch auf mir niederlassen, sobald sie genug Nektar aus dem Sommerflieder geschlürft haben. Das erfüllt mich immer wieder mit Freude und Dankbarkeit.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
Lieber Lothar,
was die Gestaltung eines Gartens angeht, scheinen unsere Vorstellungen wohl ähnlich oder sogar gleich zu sein. Auch ich mag die quadratischen und rechteckigen Formen nicht und bevorzuge ovale und runde und ich meine auch, dass man nicht zu viel in die Natur eingreifen soll, sondern ihr die Möglichkeit geben möge, sich an der Gestaltung zu beteiligen, wie du es am Beispiel der "alten Ruinen" beschrieben hast.
Wenn sich dann noch eine seltene Schmetterlingsart in dem Garten heimisch fühlt, ist das wirklich ein Grund, froh und dankbar zu sein.
Sabira (58)
(14.11.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
Grazie, liebe Sabira, dein Kommentar trifft meine Gefühle von damals ganz genau. Natürlich habe ich heute noch mehr Verständnis für das von der Vernunft geleitete Denken meines Vaters, aber du sagst es sehr schön: Die Ungezwungenheit der Spiele einer Kinderzeit kommt nie wieder..
LG
Ekki

Antwort geändert am 14.11.2017 um 16:24 Uhr

 AZU20 (14.11.17)
Ja, Gartenarbeit. Heute mache ich sie tatsächlich freiwillig. Damals war sie eher lebenswichtig, wie Du mit Recht sagst. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
Dnke, Armin, du gehörst zu der Generation, die in der Nachkriegszeit den Hunger erlebt hat und deshalb aus Erfahrung weiß, wie wichtig ein Garten sein kann.
LG
Ekki

 Martina (14.11.17)
Das mit den Fischen kenne ich auch, war jedesmal traurig, wenn sie nicht überlebten. Aber....ein Stichling hat mal paar Tage in einer Schüssel unter einer Hecke überlebt, ich rannte auch jeden Tag hin, dann wär er pötzlich verschwunden....wohin auch immer.
Vielleicht auch besser, als ihn tot vorgefunden zu haben. Lg Tiina.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.11.17:
Merci, Martina, Stichlinge benötigen sauerstoffhaltigess Wasser besonders. Du hast also Glück gehabt, wenn einer in einer Schüssel mehrere Tge überlebte. Ich kann nachempfinden, wie traurig du warst, als er verschwunden war.
LG
Ekki

 Martina meinte dazu am 15.11.17:
Dann war es fast schon ein kleines Wunder =)

 GastIltis (14.11.17)
Hallo Ekki, natürlich will ich es bei der Empfehlung nicht belassen. Warum? Weil ich nach wie vor einige Quadratmeter Gemüse und Kräuter anbaue. So Stangen- und Buschbohnen, Zwiebeln (wegen des Lauchs), auch Etagenzwiebeln, Tomaten, Rucola, Pfefferminze, Johannisbeeren, Zucchini (die esse ich aber nicht). Petersilie, Dill und andere Kräuter lohnen nicht; da gehen die Blattläuse rein. Ansonsten Blumen über Blumen, dieses Jahr musste ich über 150 Tulpenzwiebeln stecken. Wahnsinn!
Stangenbohnen sind übrigens Ehrensache. Haben schon mein Großvater in der Altmark und ebenso meine Mutter angebaut. Letztere hat zig Gläser eingeweckt. Solche Delikatessen gibt es heute kaum noch.
Aber wenn ich sie um elf Uhr pflücke, dann wasche und schnippele, und sie kommen dann gekocht auf den Tisch (mit Bohnenkraut), das ist einmalig. LG von Giltis.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.11.17:
Grazie, Giltis, ich stelle wieder einmal fest, dass du eine Genießer bist, mit den Augen und mit der Zunge, und für die sind Gärten schließlich geschaffen in Zeiten, wo nicht der Hunger die Kultur bestimmt.
LG
Ekki

 harzgebirgler (15.11.17)
durch selbstversorgung aus dem eig'nen garten
hat man in harten zeiten bess're karten
und auch in zeiten wo sehr viel chemie
im schwange ist - kaum was geht ohne die.

herzliche abendgrüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.11.17:
Vielen Dank, Henning. Das unterschreibe ich gerne.
Herzliche Grüße
Ekki
Festil (59)
(17.11.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.11.17:
Danke, Festil, dem stimme ich vorbehaltlos zu.
Liebe Grüße
Ekki
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