Blaise Pascal - wie ein brillanter Kopf seinen Frieden fand

Essay zum Thema Wahrheit

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)

Im Jahre des Heils 1654.
Montag, 23.November, Tag des heiligen Clemens, des Papstes und Märtyrers, und anderer im Martyrologium.
Vigil des heiligen Chrysogonus, des Märtyrers, und anderer.
Seit ungefähr halb elf Uhr abends bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht.
Feuer.
Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs,
nicht der Philosophen und der Gelehrten.

Gewissheit, Gewissheit, Empfinden, Freude, Frieden. Der Gott Jesu Christi.
Deum meum et deum vestrum.
Dein Gott ist mein Gott.
Vergessen der Welt und aller Dinge, nur Gottes nicht.
Er ist allein auf den Wegen zu finden, die im Evangelium gelehrt werden.
Größe der menschlichen Seele.
Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich.
Freude, Freude, Freude, Freudentränen.
Ich habe mich von ihm getrennt.
Dereliquerunt me fontem aquae vivae.
Mein Gott, wirst du mich verlassen?
Möge ich nicht auf ewig von ihm getrennt sein.
Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.
Jesus Christus.
Jesus Christus.
Ich habe mich von ihm getrennt, ich habe mich ihm entzogen, habe ihn verleugnet und gekreuzigt.
Möge ich niemals von ihm getrennt sein.
Er ist allein auf den Wegen zu bewahren, die im Evangelium gelehrt werden.
Vollkommene Unterwerfung unter Jesus Christus und meinen geistlichen Berater.
Ewige Freude für einen Tag der Mühe auf Erden.
Non obliviscar sermones tuos. Amen." (Einen Zettel mit diesem Text fand man nach seinem Tode  im Futter des Pascalschen Gehrocks eingenäht)
Vielleicht war Blaise Pascal (1623 -62) einer der bedeutendsten Philosophen aller Zeiten. Denn er, von Hause aus eigentlich eher Mathematiker als Philosoph, zeigte sehr gut nachvollziehbar die Grenze zwischen Vernunft und Glaube auf.
    Oder wenn man so will, zeigte erst einmal der mathematisch-naturwissenschaftlich basierten Vernunft  ihre Grenzen auf: „Wir erkennen die Wahrheit nicht mit der Vernunft allein, sondern auch mit dem Herzen!“
   
Vielleicht müsste man das sogar noch mehr präzisieren. Die Dinge, die wissenschaftlich abgesichert als wahr bezeichnet werden  können, sind vielleicht nur ein recht kleiner Teil einer weitaus größeren transzendenten Wahrheit, die sich auf diesem (naturwissenschaftlichen) Wege nicht erschließen und beweisen lässt.
  Pascal sprach da vom intuitiven Erkennen der Wahrheit. Kurzum, da wo das naturwissenschaftliche Erkennen an seine Grenzen kommt, muss für den menschlichen Geist und seine Intuition noch lange nicht Schluss sein.

Nun könnte man natürlich behaupten, dass aber eine nicht wissenschaftlich abgesicherte Intuition einen auch in die Irre leiten kann. Oder vermutlich sogar wird!
    Man sich im Grunde genommen -  wegen der fehlenden wissenschaftlichen Beweise - nie sicher sein kann, ob der intuitive Weg wirklich zielführend war. Das unmittelbar Erlebte wirklich auch der Wahrheit entspricht. Insbesondere wenn es um transzendentale  Fragen geht!
    Vielleicht hat auch an Pascal dieser Zweifel genagt. Könnte ihn seine Intuition in Bezug auf  die persönliche Gotteserkenntnis nicht doch getäuscht haben?
   
Er wollte sich wohl Gewissheit verschaffen, als er sich am Abend des 23. November 1654  in Gebet und Meditation versenkte.  Das eingangs zitierte Memorial, welches man nach seinem Tode eingenäht in seinem Gehrock  fand, zeugt von einem durchschlagenden Erfolg. Ein brillanter Kopf kann sein Glück kaum fassen. Hier noch einmal in Kurzform:

„FEUER! … Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten ... der Gott Jesu Christi, nur auf den Wegen, wie ihn das Evangelium lehrt, ist er zu finden. … Freude! Tränen der Freude! … Friede... totale Unterordnung unter Jesus Christus … Ewig in Freude für einen Tag Übung auf Erden!“

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (30.04.21)
Erstaunlich, daß Du Dir Pascals berühmte "Wette" entgehen läßt: eine mathematische Argumentation für den Glauben an Gott und zugleich ein Meilenstein in der Wahrscheinlichkeitstheorie.

Für Fortgeschrittene dann die Widerlegung dieser Argumentation bei Stanislaw Lem in seinem Buch "Die vollkommene Leere".

 Bluebird meinte dazu am 30.04.21:
Ich habe dazu vor Jahren mal einen Text geschrieben:  hier

 loslosch antwortete darauf am 30.04.21:
lernst du nicht mehr dazu? lies bitte den wiki-artikel zur pascalschen wette.

dr manfred lütz, bestsellerautor und vatikanberater, war in einem vortrag begeistert von pascals idee. abgesehen vom wiki-artikel ist auch folgendes zu bedenken. gott, der allwissende, würde jeden geheimen gedanken erkennen und eine opportunistische geisteshaltung konstatieren.

 Graeculus schrieb daraufhin am 01.05.21:
Sollte sich Pascal - wie Du - auf eine subjektive Gewißheit des Erlebens Gottes berufen, dann fiele er - wie Du - hinter das Argument des Descartes zurück: die Möglichkeit eines "deus malignus", eines bösen Gottes, der uns (systematisch) täuscht.

D.h. jede 'Offenbarung' Gottes könnte das Werk eines Betrügers sein. Ihr mögt das für unwahrscheinlich halten, aber unmöglich ist es nicht - und so wird es nichts mit der Gewißheit.

 Bluebird äußerte darauf am 01.05.21:
@losloch

Sich sein Heil gemäß der göttlichen Spielregeln sichern zu wollen, wäre Ok! Da darf und soll(te) sich jeder selbst der Näxhste sein!

@Graeculus

Das Argument des "deus malignus" (es könnten auch mehrere sein) benutze ich gerne, um allzu selbstsicher auftretende Christen mal etwas in die Schranken zu weisen ... wende ich aber bevorzugt auf die Offenbarungen der Götter in den anderen Religionen an

 loslosch (30.04.21)
wenn bluebird jemals eine ELO von über 2.800 gehabt hätte, wäre ich geneigt, ihn mit Blaise Pascal zu vergleichen.

der wiki-artikel über B.P. ist deutlich erweitert. sehr lesenswert.

"Moderne Kritiker wie der sonst vergleichsweise zurückhaltende Aldous Huxley gingen in ihrer Kritik weiter, allerdings in psychologisierender Weise. Pascal habe aus seiner Not – seinen körperlichen Gebrechen sowie seiner Unfähigkeit, echte Leidenschaft zu empfinden – eine Tugend gemacht und dies mit heiligen Worten getarnt. Schlimmer noch: er habe seinen beachtlichen Verstand dazu benutzt, um andere dazu zu ermuntern, eine gleichermaßen diesseits-feindliche Weltanschauung einzunehmen."

Kommentar geändert am 30.04.2021 um 12:02 Uhr

 loslosch ergänzte dazu am 30.04.21:
B. P. war ein fulminanter Mathematiker! philosoph? nä!

er ist der wegbereiter der modernen wahrscheinlichkeitstheorie. hat leibniz auf die idee der integralrechnung gebracht. was hätte er ohne versenkung in die mystik noch alles entdecken können!

es geht das gerücht um, franziskus in rom plane den prozess seiner seligsprechung.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 30.04.21:
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 FrankReich meinte dazu am 30.04.21:
Pascal war ein körperliches Wrack, seine asketische Lebensweise, die Hand in Hand mit seiner Zuwendung zum christlichen Glauben ging, tat ihr Übriges, schon für damalige Verhältnisse ist er deshalb nicht besonders alt geworden.
Nun, Böhmes Erleuchtungen zugrunde gelegt, könnten einige von Pascals Erlebnissen schon als mystisch durchgehen, aber einmal davon abgesehen ist es schon erschreckend, dass sich eine so helle Kappe dermaßen verstricken kann. 🤔

 Bluebird meinte dazu am 01.05.21:
Die "Mystik" ist eine gefährliche Spielwiese, auf der sich auch viele falsche (betrügerische) Geister tummeln.
Die Pascalsche Gotteserfahrung halte ich allerdings für echt
Dieter Wal (58) meinte dazu am 01.05.21:
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Dieter Wal (58) meinte dazu am 01.05.21:
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 loslosch meinte dazu am 01.05.21:
@RR: danke für den hinweis auf böhmes erleutungen. Jacob Böhme war mir bisher unbekannt. wenn man ihn liest, wirkt er wie aus der zeit (frühes 17. jh.) gefallen. der mystische philosoph und autodidakt kann heute noch ob seiner sprachgewalt menschen in seinen bann ziehen. beim studium des wiki-beitrags beeindruckte dieser passus:

"Auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel wurde durch Schelling mit Böhmes Gedankenwelt vertrauter. Hegel würdigte in Böhmes Spekulationen trotz deren „barbarischer“ Sprache die in ihnen enthaltenen dialektischen Ansätze. Er nannte ihn den „ersten deutschen Philosophen“, weil er als erster in deutscher Sprache schrieb. Selbst Newtons Gravitationslehre wurde mit Böhmes „Dialektik“ in Zusammenhang gebracht."
Dieter Wal (58) meinte dazu am 01.05.21:
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