„Der schönste Platz ist immer an der Theke“. Alkoholkonsum in der BRD von 1948 – 1960.

Erzählung zum Thema Lebensbetrachtung

von  EkkehartMittelberg

Die Zeit, von der ich Ihnen erzählen möchte, war trinkfreudig. Otto Michael Lesch und Henriette Walter bestätigen in ihrem Standardwerk „Alkohol und Tabak. Springer: Wien New York, o. J.“ für die fünfziger Jahre einen zunehmenden Alkoholkonsum für Mitteleuropa und führen diesen insbesondere auf die steigende wirtschaftliche Prosperität zurück (Vgl. S.31), die bekanntlich für die Jahre des Wirtschaftswunders in Westdeutschland besonders zutraf.
Es war aber nicht nur der steigende Wohlstand, der den Konsum von Bier und besonders von Spirituosen in allen sozialen Schichten der BRD gesellschaftsfähig machte, sondern auch das Gefühl, aus den Gefahren des Zweiten Weltkriegs davon gekommen zu sein, das Bewusstsein, mit Alkohol die schlimmen Erinnerungen an den Krieg betäuben zu können und der Glaube, sich damit nach den großen Entbehrungen Lebensfreude kaufen zu können. Warnende Stimmen vor den gesundheitsschädigenden Wirkungen von Alkohol hatten damals nur geringe Chancen, gehört zu werden, und man musste viel mehr trinken als heute, bevor man Gefahr lief, als Alkoholiker bezeichnet zu werden. Außerdem wurde das Trinken am Arbeitsplatz weit weniger sanktioniert. Doch davon später.
Der ungenierte Genuss von Alkohol in diesen Jahren spiegelte sich in den Texten der Schlager, allen voran der Karnevalsschlager. Hier eine kleine repräsentative Auswahl, die den von mir gewählten Titel von 1950 ergänzt: „Blauer Montag, weil heute die Woche beginnt, liegt der Sonntag uns noch in den Knochen (1948), „Wer soll das bezahlen?“ (1949) „Heute blau und morgen blau und übermorgen wieder“ (1957), „Schnaps, das war sein letztes Wort, da trugen ihn die Englein fort“ (1960).
Wie gesagt, das Trinken war damals in allen Schichten und Berufen verbreitet. Als besonders trinkfest galten Bergleute und Bauarbeiter. Unweit von meiner Wohnung gab es eine Kneipe, die besonders von Bergleuten aufgesucht wurde. Als Primaner kehrte ich dort gelegentlich gegen 22/00 Uhr ein, weil mich authentische Berichte über die Arbeitsbedingungen von Bergmännern schon damals sehr interessierten. Die tranken an Alltagen hauptsächlich Bier aus 0,2 - Liter- Gläsern. Es kam häufiger vor, dass sie um die o. a. Uhrzeit schon 30 Striche auf ihrem Bierdeckel hatten und dennoch relativ nüchtern wirkten. Auf mein erstauntes Fragen, wie sie das schafften, war eine typische Antwort: „Junge, da mach dir ma keine Sorge. Dat geht alles inne Füße.“ Der immense Bierkonsum erklärte sich natürlich auch durch den hohen Feuchtigkeitsverlust bei der Arbeit in den heißen Schächten. Aber der wurde nach der Schicht eben mit Alkohol ausgeglichen und nicht mit Wasser.
Über das Trinkverhalten von Bauarbeitern erfuhr ich mehr durch Ferienarbeit 1954 - 1956. Am Bau wurde damals nicht exzessiv getrunken, aber dafür regelmäßig. Einige nahmen ihr erstes Bier schon zur Frühstückspause um 9/00 Uhr ein. Es war nichts Besonderes, dass ein Maurer mehrere Flaschen Bier täglich trank. Ich habe nie erlebt, dass ein Polier dem Einhalt gebot, obwohl der Bierkonsum zum Beispiel für Handlanger nicht ungefährlich war. Die Maurer standen auf den Gerüsten und riefen lauthals nach Speiß. Dieser wurde mangels Fließbändern mit sog. Speißvögeln auf Leitern hoch getragen. Ich habe während meiner Ferienarbeit keinen alkoholbedingten Unfall erlebt. Aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis ein striktes Alkoholverbot auf Baustellen der potentiellen Gefahr entgegenwirkte.
Das Bürgertum beteiligte sich auf öffentlichen Festen, wie zum Beispiel Schützenfesten und Kirmessen, an Trinkgelagen, aber auch von der Öffentlichkeit abgeschirmt im eigenen Haus.
Wie feucht-fröhlich es dabei zugehen konnte, erlebte ich als Zwölfjähriger in meinem Elternhaus.  Wir hatten 1952 eine Haushaltshilfe, die sich mit einem Roma verlobte, der dem Klischee entsprechend feurige Zigeunermusik auf der Geige spielen konnte. Meine Eltern richteten das Verlobungsfest aus, und er war sich als Bräutigam nicht zu schade, die Gäste in Stimmung zu bringen, getreu der Operettenmelodie „Komm Zigan, spiel mir was vor“. Dabei blieb es nicht aus, dass Bier, Schnäpse und Likörchen für die Damen reichlich flossen.  Ich konnte bei dem Party-Lärm nicht schlafen, schlich mich unbemerkt ins Wohnzimmer und entdeckte, dass ein besonders reputierlicher Gast sang-und klanglos auf dem Teppich eingeschlafen war. Die Stimmung war so locker geworden, dass man Herrn Knigge, der bei solchen Anlässen sonst eine große Rolle spielte, vergessen hatte.
Heinz Erhardt, die unbestrittene Ikone der Unterhaltungsmusik jener Zeit, wischte mit dem Schlager von 1959 „Linkes Auge blau, rechtes Auge blau...“ (https://www.youtube.com/watch?v=EA3P7mysVMs ) nur gelegentlich auftretende moralische Bedenken wegen des Konsums von Spirituosen und alkoholbedingter Handgreiflichkeiten hinweg.
Die akademische Jugend, soweit sie in studentischen Verbindungen korporiert war, ging schon immer sehr freizügig mit Alkohol um. Heinrich Mann hat das bekanntlich in seinem Roman „Der Untertan“ für die Wilhelminische Zeit satirisch aufgespießt. Ich war selbst Ende der 50er Jahre kurzfristig Mitglied einer studentischen Verbindung und kann aus eigener Erfahrung bestätigen, dass sich die von Heinrich Mann geschilderten Trinksitten nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholten. Ein Satz, der auf einem Kommersabend häufiger zitiert wurde, war: „Darf ich Herrn Fuchsmajor zuprosten?“ Die teilweise exzessiven Trinkgewohnheiten wurden durch das Liedgut geadelt. Ein in unterschiedlichen Verbindungen beliebtes Trinklied begann so:

„1. Wütend wälzt sich einst im Bette
Kurfürst Friedrich von der Pfalz;
Gegen alle Etikette
Brüllte er aus vollem Hals:
|Wie kam gestern ich ins Nest?
 Bin scheint’s wieder voll gewest! :|

2. Na, ein wenig schief geladen,
Grinste drauf der Kammermohr,
Selbst von Mainz des Bischofs Gnaden
Kamen mir benebelt vor,
|War halt doch ein schönes Fest:
 Alles wieder voll gewest!“ :|
...
(August Schuster 1887)

http://ingeb.org/Lieder/wutendwa.html

Man darf davon ausgehen, dass es für trinklustige Deutsche der 50er Jahre nicht leicht war, unter den populären Politikern ihrer Zeit abstinente positive Vorbilder zu finden. Man sympathisierte eher mit jenen, von denen bekannt war, dass sie etwas vertragen konnten.
„Im Vergleich zu früher jedoch, das sagt nicht nur Peter Altmaier, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, `hat sich einiges geändert’. In den übrigen Fraktionen sieht man das ähnlich. Früher lallte Franz Josef Strauß mehr als einmal in die Kamera, über Willy Brandts Trinkgewohnheiten gibt es viele Geschichten.“
http://www.sueddeutsche.de/karriere/alkoholismus-unter-politikern-unter-druck-und-an-der-flasche-1.1120397
Heute scheint festzustehen, dass die sog. SPIEGEL- Affäre 1957 ihren emotionalen Auslöser bei einem Trinkgelage im Hause Augsteins fand, wo der alkoholisierte und deshalb mitteilsame Franz Josef Strauß die politischen Erwartungen Augsteins nicht erfüllen wollte.
„Augstein erkannte, dass Strauß taktische Atomwaffen in eigener Verfügungsgewalt anstrebte, um die Sowjets von einem örtlichen Vorstoß abzuschrecken. Strauß hegte, darin de Gaulle vergleichbar, ein tiefes Misstrauen gegen die Amerikaner. Sollte Moskau es nur auf Deutschland abgesehen haben – würden dann die USA das selbstmörderische Risiko eines nuklearen Weltkriegs eingehen? Wohl bedingt durch seine Kriegserfahrungen war Augstein ein Mann, der sich schnell fürchtete und immer mit dem Schlimmsten rechnete. Die Pläne des Verteidigungsministers beunruhigten ihn zutiefst, und deshalb schrieb er eine Titelgeschichte, in der er mit dem CSU-Vorsitzenden abrechnete. Dieser Artikel war eine Kriegserklärung.“
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.essay-ueber-die-spiegel-affaere-der-untote-obrigkeitsstaat-page2.793d6f6a-a9ac-48dd-82ee-0b9e8a217a03.html
http://www.morgenpost.de/kultur/tv/article127538738/Die-Spiegel-Affaere-zeigt-das-Duell-von-Augstein-und-Strauss.html
Jüngere Leser werden mit der SPIEGEL-Affäre wenig oder vielleicht nichts verbinden. Sie werden durch die Lektüre meiner Quellenangaben über deren Hintergründe umfasssend informiert.
Ich wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, darauf hinzuweisen, dass manchmal Saufen auch Geschichte macht.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (03.06.16)
Ich musste gerade daran denken, welch ein Theater um den Drogenkonsum von Politikern gemacht wird - Alkohol ist dabei ausdrücklich nicht gemeint. Ich sach man ... nix!

Natürlich nicht aus eigenem Erleben, aber aus Erzählungen der Älteren kenne ich Geschichten, dass zu jener Zeit - der Lohn wurde damals noch in bar in der sprichwörtlichen "Lohntüte" ausgezahlt - die Ehefrauen ihre Männer am Zahltag nach Schichtende vor der Zeche abholten - es sollte nicht alles in des Wirtes Tasche fließen.

All das klingt ziemlich lustig. Mein Vater berichtete mir immer wieder davon, dass auch zu seiner Zeit bei der Bundesbahn ordentlich gesoffen wurde. Und die Erzählungen über einzelne Personen endet dann nicht selten: "Der ist schon seit über 20 Jahren tot." Denn man Prost ...
(Kommentar korrigiert am 03.06.2016)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
Da haste aber Recht, daste nix sachst, denn über Selbstverständlichkeiten redet man nicht.
UnterTage wurde nicht getrunken, das war viel zu gefährlich. Wäre es anders gewesen, hätten sich die Kumpels noch einreden können, dass ihre Frauen, die sie abholten, sie noch immer liebten. So aber blickten sie vermutlich durch und stimmten meistens ihren Frauen wortlos zu.
Ja, ordentliche Säufer entkommen dem Jammertal früh. ,-))
Merci Trekan.
Lance (52)
(03.06.16)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 03.06.16:
Merci, Lance, da sagst du etwas Wahres. Viele quatschen sich mit dem Smartphone besoffen.
LG
Ekki
Sätzer (77) schrieb daraufhin am 03.06.16:
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starfish8305 (55)
(03.06.16)
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 loslosch äußerte darauf am 03.06.16:
am ultimo sprachen die damen ihre männer mit herr an: "her(r) mit dem geld."
Gerhard-W. (78) ergänzte dazu am 03.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
@starfish8305: Danke, Ralf, der Schlager ist zeittypisch für die 50er Jahre. Ich habe mehr als einmal gesehen, dass Männer, die an der Theke Wurzeln zu schlagen drohten, von ihren Frauen heimgeholt wurden, bevor sie der Alkohol fällte.
@ Lothar: Dabei verlor so mancher die Be-herr-schung.
@Gerhard-W.: Ein Wirt, der seine Kniepe damals Wasserfall nannte, war zur Selbstironie fähig. Es stürzte so mancher Trunk die Kehle hinunter, aber Wasser, das war eher etwas für Kranke.;-)) Danke euch beiden.

 AZU20 (03.06.16)
Ich kann mich noch daran erinnern, wie Strauß -stark alkoholisiert- kaum noch ein gerades Wort im Fernsehen nach einer Wahl von sich gab. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
Danke, Armin, ich auch: Heute würden zwei solcher Auftritte reichen, die Karriere eines Politikers zu beenden. Man musste es damals schon sehr toll treiben, bis man als Alkoholiker stigmatisiert und ausgegrenzt wurde. Man war auch mit Künstlern sehr nachsichtig, zum Beispiel mit Harald Juhnke bis zu dessen bitteren Ende.
LG
Ekki
michaelkoehn (76)
(03.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
Vielen Dank für die Verse über Bolle, Michael, die in den 50ern jung und alt köstlich amüsierten. Wie oft haben wir sie damals auf Klassenfahrten gesungen. Sie passen inhaltlich übrigens gut zu Heinz Erhardts "Linkes Auge blau, rechtes Auge blau."
LG
Ekki
Graeculus (69)
(03.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
Oja, Graeculus, das exzessive Rauchen war in den 50er Jahren vom Alkoholkonsum nicht zu trennen. Man rauchte, was das Zeug (oft selbst angebauter Tabak) hielt und verharmloste die gesundheitlichen Schäden fast total. Da das Rauchen aber nahezu allgegenwärtig war. sind mir einige zeittypische Episoden in Erinnerung. Ich werde darauf zurückkommen. Danke für die Anregung.
Agneta (62)
(03.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
liebe Monika,
ich stimme deiner Kritik am schrankenlosen Saufen vorbehaltlos zu, sofern es sich nicht um die von dir sehr wohl gesehene Krankheit des Alkoholismus handelt, die vielfältige gesellschaftliche Ursachen hat, die der Kritik mehr bedürfen. Die Erkrankten benötigen eine gute Therapie.
Deine Vermutung, dass alkoholabhängige Politiker sich als dreschende Ochsen nicht selber das Maul verbinden, halte ich für sehr wahrseinlich. )
Nachdenklich Grüße, nicht ohne zu zwinkern
Ekki
Agneta (62) meinte dazu am 03.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
Ich finde es verantwortungsbewusst, Monika, dass du die Rolle der Mahnerin übernimmst, denn gerade Literaten neigen dazu, sich bei dem Genuss von Rauschmitteln jeder Art zu überschätzen und Mahner in die Ecke der Spießer zu stellen.
Einer meiner Freunde, ein Mediziner, hat eine gut beherrschbare Suchtstruktur und raucht mit mir gelegentlich einen guten Zigarillo. Ich weiß, dass er das jederzeit einstellen kann und genau bedenkt, bei welchen Gelegenheiten er mitmacht.
Es ist andererseits unbestritten, dass unter dem Einfluss von Suchtmitteln jeder Art Literatur entstanden ist, die es andernfalls nicht gäbe, aber so mancher Autor hat später unter einer nicht mehrzu kontrolliernden Sucht schwer gelitten.
Agneta (62) meinte dazu am 04.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.06.16:
Agneta, ich weiß nicht, ob berauschte Dichter im Suff oder bekifft ihre besten Werke geschrieben haben. Meine These lautet etwas anders: Sie haben in diesem Zustand Werke geschrieben, die anders nicht entstanden wären.
Agneta (62) meinte dazu am 04.06.16:
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chichi† (80)
(03.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
merci, Gerda,
vielleicht kann man das Saufen von Politikern als offenes Geheimnis bezeichnen. Der folgende Text scheint dies zu bestätigen:

"Berlin. Wolfgang Kubicki weiß genau, warum er nicht länger im Bundestag sitzt. „Ich würde in Berlin zum Trinker werden“, hat der FDP-Mann mal gesagt. Wer nicht mehr dazu gehört oder wer widerstanden hat, redet leichter darüber. In Wahrheit ist Politik und Sucht weiterhin ein Tabu.

Andreas Schockenhoff ist nicht der Gegenbeweis, obwohl der CDU-Mann gerade öffentlich bekannt hat: „Mir ist bewusst, dass ich alkoholkrank bin.“ Was nach Tabubruch klingt, ist doch eher eine Flucht nach vorn. Der baden-württembergische Abgeordnete war mit Alkohol am Steuer, 1,1 Promille, erwischt worden, zum zweiten Mal im übrigen, und ohnehin ein Fall für den Staatsanwalt. Unter der Decke halten? Ging nicht mehr.

Man muss nicht so weit gehen wie der Grüne Joschka Fischer 1983, als er – ein Frischling im Hohen Haus – ausrief: „Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung.“ Ob der Anteil der Suchtkranken in der Politik überdurchschnittlich groß ist, darüber kann man allenfalls spekulieren. Aber in den Fraktionen wissen sie ziemlich genau Bescheid, wer immer eine Fahne hat oder wer auffällig viel bechert, wer von seinen Leibwächtern regelmäßig ins Haus getragen wird.
Vor der Ampel eingeschlafen

Es sind meist die selben Namen, die über Jahre genannt werden, und doch muss schon viel passieren, bis eingegriffen wird, bis sich die Fraktionsführung einschaltet. Etwa, wenn einer angeschickert am Pult steht – legendär beim FDP-Mann Detlev Kleinert oder beim CSU-Chef Franz-Josef Strauß – oder aus dem Verkehr gezogen wird. Schockenhoff ist kein Einzelfall. Heinrich Lummer (CDU) hatte 1,96 Promille, Otto Wiesheu (CSU) verursachte unter Alkoholeinfluss einen Unfall, bei dem ein Mann starb. Kürzlich wurde André Stephan, Wahlkampfmanager der Grünen-Politikerin Renate Künast, erwischt. Er war alkoholisiert vor einer Ampel eingeschlafen.[...]"

Politik und Alkohol – ein Tabu wackelt | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/politik/politik-und-alkohol-ein-tabu-wackelt-id4860703.html#plx1389738036
wa Bash (47)
(03.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.06.16:
Merci, wa Bash, vielleicht hast du auch Zweifel an der Bezeichnung "Trinkkultur". Wenn es eine ist, so ist sie hinsichtlich der wachsenden Zahl von Alkoholikern sehr gefährlich. Ich gehöre und das ist kein Verdienst zu den Menschen, die mit Alkohol gut umgehen können und deswegen habe ich bis auf sehr wenige Ausnahmen in der Jugend so lange getrunken, wie mich der Alkohol lockerte und dann bewusst aufgehört. Ich verdanke dem frohe und heitere Stunden. Aber ich denke nicht, dass es eine Frage des Willens allein ist, mit Alkohol so umgehen zu können, dass man keinen Schaden nimmt.

 TassoTuwas (04.06.16)
Hallo Ekki,
so war es in der aufstrebenden Bundesrepublik.
Die BR hätte auch VBR heißen können, VB =Voll-Beschäftigung, VR = Voll-Rausch.
Es wurde eben gearbeitet und gefeiert.
Das Gute an der damaligen Zeit, es gab kaum soziale Spannungen.
"Damit ham sie kein Glück
in der Bundesrepublik
wir tanzen lieber Tango...." )))
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.06.16:
Merci Tasso, das mit dem Vollrausch kann man auch metaphorisch verstehen. Man war berauscht vom Erfolg des Wirtschaftswunders und deshalb verfing auch Erhards Spruch von der formierten Gesellschaft, obwohl durch die bleibenden Werte von Immobilien einer Minderheit die absolute Gleichstellung aller durch die Währungsreform eine Utopie war.
Herzliche Grüße
Ekki
Festil (59)
(05.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.06.16:
Gracie für den interessanten Kommentar und dieEmpfehlung und die Favorisierung, Festil. Es war mir bewusst, dass Kohl sich mit bequemen Jasagern umgeben hat, aber dass er potentielle Kandidaten für einen Posten einem Trinktest unterzog, ist mir neu. Vielleicht ist diese Methode tatschlich hilfreich, um die Verschwiegenheit eines Mnschen zu prüfen, aber für mein Empfinden ist sie hinterhältig.
Kohls Bemerkung über den Charakter finde ich witzig.
Liebe Grüße
Ekki

 DerHerrSchädel (05.06.16)
Wieder ein sehr interessanter Blick in die Gebräuche der Vergangenheit. Betrunkene Politiker kenne ich nur noch aus derartigen Reminiszensen. Aber als Kind vom Land, aufgewachsen in einer Gaststube, kenne ich die traditionellen Stammtische noch sehr gut. Die Generation meines Großvater traf sich regelmäßig Sonntagmorgens ab 10:30 und becherte bis zum Mittag alles, was man so trinken konnte, wobei einige dafür ein spezielles Bierglas hatten.Noch vor 20 Jahren hatte dieser Stammtisch über 20-30 Mitglieder, inzwischen sind es nur noch zwei oder drei, max. vier unverwüstliche sonntagmorgendliche Kampftrinker zu Gast. Schon in der Generation der Nachkriegsgeborenen war das nicht mehr üblich.

Es gab und gibt immer noch Stammtische, aber diese typische Altherrenrunde, die regelmäßig zu immer gleichen Urzeit in die Kneipe kommt und sich mit Bier, Wein und Schnapps die Birne wegschießt, ist in dieser Form zumindest bei uns ein Auslaufmodell.

LG

DerHerrSchädel

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.06.16:
Ich habe einen Freund, der wie du in der Gaststube aufgewachsen ist
und mir schon vor deinem Kommentar haargenau dasselbe erzählte. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass man deine Beobachtungen für Stammtische verallgemmeinern kann.
Ich nehme an, dass wir es beide begrüßen, dass die traditionellen Stammtische ein Auslaufmodell sind. Merci.
LG
Ekki

 DerHerrSchädel meinte dazu am 07.06.16:
Ich trauere dem Milieu, dass sich dort dereinst versammelt und im Suff seine politischen Weisheiten von sich gab, in der Tat nicht hinterher. Durfte mir derlei als Schankwirt oft genug zu Gemüte führen.

Gerade was den Sonntag-Morgen betrifft, haben die jüngeren Generationen inzwischen sinnvollere Methoden zwecks Freizeitgestaltung entwickelt. Aber die mussten sich auch nicht mehr von Messe/ Gottesdienst erholen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.06.16:
Wie wahr!

 Didi.Costaire (07.06.16)
Hallo Ekki,
solche zeitgenössischen und gleichermaßen persönlichen Berichte aus Jahren, die ich selbst nicht erlebt habe, finde ich sehr interessant und ich stelle fest, dass man damals einiges schlucken musste...
Ob der Alkoholkonsum seitdem zurückgegangen ist, weiß ich gar nicht mal (nur dass der Bierumsatz um ca. ein Drittel eingebrochen ist), aber das Trinken gehört heute nur noch selten zum guten Ton. Bezeichnenderweise ist das neueste mir in den Ohren verbliebene Trinklied keineswegs trocken, jedoch sehr defensiv formuliert: Kein Alkohol ist auch keine Lösung.
Beste Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.06.16:
Merci, Didi, unter den vielen negariven Nachrichten derzeit gibt es wohl eine positive: Die heutige Gesellschaft scheint vernünftiger mit Alkohol umzugehen. Ich denke auch, dass darin die Lösung liegt, nicht im totalen Verzicht.
Beste Grüße zurück
Ekki

 TrekanBelluvitsh (10.06.16)
Ich melde mich hier noch einmal: Wer meine Texte und Kommentare etwas kennt, dem wird klar sein, dass ich nicht wirklich in Verdacht geraten kann, CSU-Befürworter zu sein.

Nun gibt es den nächsten Skandal: CSU-Mann Georg Schlagbauer ist von allen Ämtern zurückgetreten. Verdacht auf Verstoß gegen das Betäubingsmittelgesetz, sprich: Kokain. Ich will hier nicht zu Debatte stellen, ob das ein Grund für einen Rücktritt ist oder nicht. Was mich eigentlich ärgert ist, wie bigott hier reagiert wird. Dein gut recherchierter Artikel, lieber Ekki, zeigt ja, wie locker der Umgang mit dem Alkohol zu Beginn der Bundesrepublik war. Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese Ansichten großflächig geändert haben, aber ich bin ja auch ein Pessimist. Dennoch bleibt die Frage, wann jemals über betrunkene Politiker berichtet wird, geschweige denn dass Alkohol ein Rücktrittsgrund wäre. Der eine fällt besoffen vom Podium, der andere sitzt angesäuselt in einer Talkrunde. Reaktion: Totschweigen oder grinsen.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass es ein Stillhalteabkommen zwischen Presse und Politik gibt, was das Thema Alkohol betrifft. Wahrscheinlich säuft MANN und FRAU ja auch oft genug zusammen. Allerdings muss man die Beteiligten hier auch "in Schutz nehmen". Die Verlogenheit der mächtigen Schluckspechte wird ja in allen gesellschaftlichen Schichten geteilt. Darum war der Herr Schlagbauer einfach dumm. Hätte er sich doch lieber zwei Flaschen Mariacron in die Birne gehauen, da hätte dann keiner etwas gesagt.
Jack (33) meinte dazu am 10.06.16:
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 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 10.06.16:
"Bekannte Tatsache" heißt hier, dass es von den Protagonisten - zumindest auf Seiten der Presse - zugegeben wird, selbst von "aktiven Mitgliedern", aber erst recht von jenen, die nicht mehr zu jenem Zirkel gehört (ich habe im Augenblick keine Lust, die herauszusuchen, aber darüber sind auch schon Bücher erschienen, deren Inhalt von niemand angezweifelt wurde, weil niemand etwas dazu sagt). Es gibt durchaus welche, bei denen das zu Alkoholismus geführt hat

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 10.06.16:
Ich würde in Berlin zum Trinker werden.

(Wolfgang Kubicki) Quelle:  Hier.
Jack (33)
(10.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.16:
Danke, Jack, ich konnte nicht früher antworten, weil ich zu einem Klassentreffen verreist war.
Deine Perspektive auf die UdSSR ist interessant, weil sie ein in den westlichen Medien verbreitetes Stereotyp zu bestätigen scheint.
Kannst du erklären, warum in der UdSSR nach dem Kriege kaum gesoffen wurde? Ich hätte vermutet, dass man schwarz brannte. Oder praktizierten die Funktionäre der kommunistischen Partei eine Doppelmoral, indem sie selber soffen und die einfachen Parteimitglieder aufs Schärfste und furchteinflößend kntrollierten?
Jack (33) meinte dazu am 12.06.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.16:
Danke für diese für mich nachvollziebare Erklärung.

 RainerMScholz (25.11.16)
Der Liedtext von August Schuster kam genealogisch auf mich, ohne dass ich mir bis heute Gedanken gemacht hätte, wer der Verfasser sei, was nichts mit meinen Trinkgewohnheiten zu tun hat.
Danke,
R.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.11.16:
Es scheint so, als habe dir nicht nur der Liedtext von August Schuster gefallen. Merci und LG
Ekki

 Dieter_Rotmund (03.09.19)
Sehr, sehr ungewöhnliche Uhrzeitdarstellung.

 harzgebirgler (25.02.22, 15:25)
der weingeist löste straußens zunge
prompt dachte augstein "!JUNGE JUNGE
was der so von sich gibt besoffen
lässt gutes kaum für deutschland hoffen
und spricht nun wahrlich bände
drückt der gar mit besoff'nem kopf
womöglich auf den roten knopf
ist ende im gelände!"

toll geschrieben, gerne gelesen!

lg
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.22 um 22:18:
Merci, Henning, hochinteressant, ich kann mich noch gut an die Spiegel-Berichterstattung über dieses Besäufnis bei Augstein erinnern.
LG
Ekki
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